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In der Hamburgischen Staatsoper gab es am Sonntagabend bislang nicht gehörte Töne: Zum ersten Mal brachte das Haus Georg Friedrich Händels 1735 uraufgeführte Barockoper «Alcina» auf die Bühne.
Hamburg (ddp). Mit einem herausragenden jungen Sängerensemble, einer fantasievollen Inszenierung und unter der musikalischen Leitung des englischen Händel-Experten Ivor Bolton wurde TAlcinat zu einem gefeierten Publikumserfolg.Die Geschichte um die Zauberin Alcina (beeindruckend: Veronique Gens) stürzt den Zuschauer zunächst in große Verwirrung: Wer ist Mann, wer ist Frau? Alcina ist ganz die bedrohliche Schönheit, überragt ihre Höflingsschar (Frauen? Männer?) im blutroten Kleid und mit dramatischem Dekolletee um Haupteslänge. Sie herrscht über ein wundersames Inselreich und lässt ihre Liebhaber, zuvor umschmeichelt und in ihren Bann gezogen, zu Stein erstarren oder verwandelt sie in Tiere. Nie hat sie lange Gefallen an ihren Verehrern und wartet schon auf den nächsten. Mit Bradamante und Ruggiero kommt aber endgültige Verwirrung auf die ferne Insel. Denn Ruggiero (Maite Beaumont), der Verlobte von Bradamante (Antigone Papoulkas) ist ebenfalls Alcina verfallen. TWir alle lieben ohne Hoffnungt, singt das junge Ensemble.
Die jungen Stimmen machen auch die alte Oper wieder jung. Für die meisten der Sängerinnen und Sänger ist es die erste Händel-Oper, die sie aber mit großer Spielfreude und viel Engagement in Stimme und Gestik meistern. In der Inszenierung von Christof Loy gelingt ihnen eine spielerisch-witzige Auflockerung des prunkvollen Aufwands. Eine verbissen ernsthafte Aktualisierung der Oper findet nicht statt. Die Zauberinsel ist, wie der Garten im barocken Theater, das Symbol für die erotische Liebe. Helden wie Ruggiero verlassen die zivilisierte Welt und verlieren sich im Labyrinth sinnlicher Lust.
Als Ruggiero Alcina droht, sie zu verlassen, wird sie zu einer Furie mit wehendem Haar und schwarzem Umhang. TStirb oder kehre zu mir zurückt, singt sie bedrohlich. Sie ruft ihre Geister, die sich ihr aber nur noch rückwärts gewandt nähern. Ihr Zauber ist verflogen. An dieser Stelle hat Händel der Oper wieder ein eindrucksvolle Ballett-Szene hinzugefügt, was für seine Werke typisch ist.
Für den dritten Akt hat der Regisseur einen Zeiten- und Kostümwechsel vorgenommen. Die Befreiung der Zauberinsel von Alcinas Allmacht findet in Nato-Kampfuniformen statt. Der Zauber ist vorbei und damit auch die Zeit der großen Kostüme. In den Einheitsuniformen ist die Verwirrung nun zunächst vollkommen: Wer ist Mann (mit Frauenstimme), wer ist wirklich Mann? In der Zeit des Barock war es üblich, die Tuneindeutigent Partien mit Kastraten oder Counter-Tenören zu besetzen. Doch Talles wendet sich zum Guten und die Liebe siegtt, singen am Schluss alle gemeinsam und feiern Ruggiero als Befreier.
Georg Friedrich Händels Laufbahn als Opernkomponist begann an der Hamburger Oper am Gänsemarkt. Die meisten seiner über 40 Opern aber entstanden in England, wo sich Händel endgültig 1712 niedergelassen hatte. Die dortige Uraufführung von TAlcinat wurde derart erfolgreich, dass sie in derselben Spielzeit über 30 Mal gegeben wurde. Die deutsche Erstaufführung fand 1738 statt, dann geriet die Oper aber nach und nach in Vergessenheit. Erst in den letzten 20 Jahren kehrte sie ins Bühnenbewusstsein zurück. In Hamburg soll TAlcinat der Auftakt zu einer neuen Serien von Barockopern werden.
Angelika Rausch