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Bayreuth (ddp). Richard Wagners Bühnenweihfestspiel «Parsifal» wird in diesem Jahr die 97. Bayreuther Festspiele eröffnen. Sein Debüt auf dem Grünen Hügel gibt dann der 1970 in Oslo geborene Regisseur Stefan Herheim. Er gilt als herausragender Opernregisseur seiner Generation.
Mit turbulenten, oft umstrittenen Bildrevuen machte der Wahlberliner an den großen Häusern in Deutschland und Österreich auf sich aufmerksam und wurde zum «Regisseur des Jahres 2007» gekürt. Über Provokationen auf der Opernbühne, Wagners magische Zauberkraft und den Schock, als Wolfgang Wagner ihn anrief, sprach ddp-Korrespondentin Angelika Rausch mit Herheim.ddp: Herr Herheim, gehört die Musik Richard Wagners eigentlich zu Ihren persönlichen Vorlieben?
Herheim: Von Haus aus bin ich eigentlich mit Mozart groß geworden - über dem Kreuz im Herrgottswinkel hing immer ein Bild von Wolfgang Amadeus, den mein Vater, Orchestermusiker im Osloer Opernhaus, über alles schätzt. Eine Wertung musikalischer Vorlieben aufzustellen, bedeutet immer erst einmal, Kriterien zu definieren.
ddp: Wie ist Ihre Wagner-Sozialisation in Norwegen verlaufen?
Herheim: Durch meinen Vater habe ich schon sehr früh aus dem Orchestergraben in Oslo viele Werke gehört und als Kind bei einer «Tristan und Isolde»-Aufführung jede Anbindung zu Raum und Zeit der Wirklichkeit verloren. Als Statist an diesem Hause habe ich dann Oper auch von der Bühne aus kennengelernt und konnte so meine Faszination immerhin ansatzweise ausleben. Eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Wagner fand dann während meines Studiums in Deutschland statt.
ddp: Was war Ihr erster Gedanke, als Festspielchef Wolfgang Wagner Sie anrief?
Herheim: Jetzt hat er sich verwählt... Aber ernsthaft: Ich hatte vielmehr Schmetterlinge im Bauch als Gedanken im Kopf!
ddp: Sie haben selbst mal gesagt, Oper sei «das Absurdeste, Irrationalste, was es gibt». Warum wollen die Menschen trotzdem hin?
Herheim: Gerade deshalb! Das haben Oper und Gral gemein: Gurnemanz beantwortet Parsifals Frage nach dem Wesen des Grals mit «Das sagt sich nicht kein Weg führt zu ihm durch das Land zum Raum wird hier die Zeit» - d.h. erst in der Auflösung von Rationalität, von Sprache, von den konstanten Anschauungen kann man sich dem Gral nähern. Oper kann Sinn mit einer Sinnlichkeit geben, die genau entgegen den Kategorien gesetzt ist, mit denen wir unseren Alltag zu bestreiten haben.
ddp: Im Vorfeld Ihrer Premiere ist schon von einer «radikalen Neudeutung» des «Parsifal» die Rede. Was erwartet den Zuschauer?
Herheim: Das habe ich nie gesagt, und der Gedankenansatz wäre mir völlig fremd. Den Zuschauer erwartet das von Wagner so genannte Bühnenweihfestspiel: Mit Bühne und Spiel wird der theatrale Erzählrahmen gezimmert, in dem dann das Bild eines überhöhten und überhöhenden Weihfests gehalten wird. Wir versuchen die psychologisch ausgestaltete Biografie des reinen Toren und die kulturgeschichtlich vergrößerte Identitätsfindung der deutschen Nation zu erzählen. Bei beiden Erzählsträngen geht es um die Versprechen und Perversionen des Kernbegriffs Erlösung.
ddp: Welche Geschichte erzählen Ihnen die Personen im «Parsifal»?
Herheim: Eigentlich erzählt «Parsifal» die Geschichte von Männlichkeit und von alten patriarchalischen Machtstrukturen. Diesen begegnen wir in immer wieder unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht: Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, die durch die Grenzüberschreitung von Raum und Zeit ineinander fallen und sich zum Begriff Erlösung positionieren. Kundry ist ihre Projektion von Weiblichkeit, die als «Andere» überwunden werden muss. Dabei geht es nicht um Emanzipation, um gesellschaftlich realisierbare Befreiung, sondern um Erlösung, um gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustand durch eine höhere Macht.
Doch das hört sich sehr theoretisch an - sobald sich der Vorhang hebt, ist man in einer magischen Kindergeschichte des 19. Jahrhunderts, in der viel Unheimliches passiert.
ddp: Sind wir nicht heute längst immun für solche Stoffe aus Weltflucht und Erlösung? Warum funktioniert der «Geniestreich der Verführung», wie Friedrich Nietzsche den «Parsifal» nannte, dennoch?
Herheim: Wagner hat mehrfach beschrieben, wie Weltflucht erst zur Entstehung des «Parsifal» führte - doch das ist bestimmt kein Phänomen des 19. Jahrhunderts allein. Ich will jetzt gar nicht über medial-banale Mittel zur Weltflucht sprechen oder von den künstlich erzeugten Erlösungsfantasien, die dann ein Markenetikett bekommen, oder downzuloaden sind. Eduard Hanslick berichtet von der Uraufführung in Bayreuth als einer «höheren Zauberoper, eine theatralische Vorstellung voll dekorativer Wunder» und genau darin liegt die Verführungskraft und Wirkung des Werkes. Es ist nicht die vermeintlich erlösende Wagnersche Religionsstiftung, sondern vielmehr die verzaubernde Kunstschöpfung, die als Musiktheater inszeniert auch heute die Suche nach Erlösung sinnlich erfahrbar machen kann.
ddp: Unterscheidet sich eine Wagner-Regie eigentlich von anderen Arbeiten?
Herheim: Natürlich! Ich fange bei jeder Inszenierung ganz von vorne an - beim ersten gemeinsamen Aufschlagen der Partitur mit meinem Team, ganz egal ob es sich um Wagner oder Rossini handelt. Bei Wagner nimmt die kultur- und geistesgeschichtliche Auseinandersetzung sicher einen besonderen Raum ein - wie schrieb Wagner selbst doch einst: «Ich bin der deutsche Geist!»
ddp: Wie gehen Sie eigentlich mit Buh-Rufen auf der Bühne um? Sie haben da ja in den vergangenen Jahren so einiges erlebt.
Herheim: Ich möchte mit meinen Inszenierungen kommunizieren. Wenn dazu auch das Enttäuschen von Erwartungen gehört, kann ich Missfallsbekundungen verstehen. Es geht im Theater ja um das Miteinander-ins-Gespräch-Kommen über ein Werk. Bei anschließenden Diskussionen oder Rahmenveranstaltungen, die es immer noch viel zu selten gibt, kann man sich dann auf verbal ausgefeilteren Ebenen unterhalten. Oft pressen Menschen ihre Emotionen durch Buh-Rufe erst einmal ins Auditorium hinein und es kommt nachträglich im Gespräch zu einer differenzierteren Auseinandersetzung.