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60 Jahre und kein bisschen leise: Joe Cocker feiert ohne Alkohol - Rockstar überstand musikalische Moden und seelische Krisen
Berlin (ddp). Zwei Schachteln Zigaretten am Tag und jede Menge Alkohol - das ist nicht unbedingt ein Programm, das ein langes Leben verspricht. Joe Cocker, dem Sänger mit der geteerten Reibeisenstimme, konnte ein solch ungesunder Lebenswandel bisher aber nichts anhaben. Runde 35 Jahre ist der Mann mittlerweile im Geschäft. Und nach jeder seiner 20 Plattenveröffentlichung musste man befürchten, es könnte seine letzte sein. Doch Cocker hat sich wacker gehalten: Am Donnerstag feiert er seinen 60. Geburtstag. Einen Sektempfang wird es zu diesem Anlass allerdings nicht geben.Joe Cocker ist ein Phänomen: Um seinem Malocher-Job bei einer Gasfirma zu entkommen, versuchte John Robert Cocker es unter dem Pseudonym Vance Arnold zunächst mit süßlichen Popsongs. Sein stimmliches Organ trainierte er danach - ebenso wie seine robuste Leber - als Sänger in Pubs. Dann kam der August 1969: Woodstock. Vor einer halben Million Menschen stimmte Cocker den Beatles-Song «A little Help from my Friends» an. Seine energiegeladene Performance elektrisierte die Massen: Das gleichnamige Album wurde zum Bestseller.
Und schon ging alles ganz schnell: Im Herbst des gleichen Jahres erschien die zweite Hit-Platte «Joe Cocker!», 1970 gelang ihm mit dem Box-Tops-Remake «The Letter» der Durchbruch in Amerika. Mit der ausgedehnten «Mad Dogs & Englishmen»-Tour zementierte der Sänger aus der britischen Stahlarbeiterstadt Sheffield seinen Status als Ausnahmekünstler.
Es begann ein steter Wechsel aus Abstürzen und wundersamen Wiederauferstehungen: Joe Cocker begann zu trinken, bekam massive psychische Probleme und wurde von windigen Geschäftemachern ausgenommen. Immer wieder jedoch kehrte Cocker zurück in die Charts -ganz egal, was gerade musikalische Mode war. So wurde sein Duett mit Jennifer Warnes «Up where we belong» zu Beginn der 80er Jahre ein wahrer Kracher, und das gerade als sich die Popmusik für ein ganzes Jahrzehnt abzuwenden begann von der Ästhetik des Handgemachten.
Joe Cockers Erfolgsrezept ist ebenso simpel wie genial: Der Interpret verlässt sich auf altbewährtes Material. Die Mehrzahl seiner Hits besteht aus Coverversionen. Dass das funktioniert, liegt an Cockers unverwechselbarer Stimme: Cocker braucht nur ein Mikrofon und ein paar merkwürdig zuckende Gesten - und schon hat er dem jeweiligen Song seinen Stempel aufgedrückt. Das gelingt sogar mit einem Repertoire, das eigentlich gar nicht zu ihm passt: Aus dem harmlosen Pop-Shuffle «Never tear us apart» von INXS machte er einen eindrucksvollen R&B-Stampfer. Selbst wenn Cocker mit «Sail away» eine Bierwerbung singt, geht nichts von seinem Charisma verloren.
Er selbst hat dem Teufel Alkohol offenkundig abgeschworen. Mit seiner Frau Pam wohnt er zurückgezogen auf einem Anwesen in Colorado, führt die Hunde Chili und Chunk aus, züchtet Rennpferde und geht angeln. Seinen tugendhaften Lebensstil will er aber nicht weiterempfehlen: «Ihr dürft mich erschießen, falls ich mal einer dieser Predigertypen werden sollte, die euch allen erzählen, worauf ihr verzichten müsst.»
Boris Fust