Hauptrubrik
Banner Full-Size

Konwitschny: «90 Prozent aller Opernaufführungen sind Schrott»

Publikationsdatum
Body

Berlin (ddp). Peter Konwitschny ist der erfolgreichste Opernregisseur der vergangenen Jahre im deutschsprachigen Raum. Mehrfach wurde er zum «Opernregisseur des Jahres» gekürt, im
September wurde die Hamburgische Staatsoper «Opernhaus des Jahres», ausgezeichnet für das lange gemeinsame Wirken von Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher und Regisseur Konwitschny. Hier ein Interview mit dem 60-Jährigen über seine neueste Arbeit in Berlin und das Asoziale in der Oper.

ddp: Sie haben an der Komischen Oper in Berlin am 20. November Premiere mit Mozarts «Cosi fan tutte». Warum finden Sie diese Oper erzählenswert?

Konwitschny: Ich inszeniere die «Cosi» zum ersten Mal. Ich habe zwar fast 70 Werke gemacht inzwischen, doch dieses noch nicht. Das Thema in der «Cosi» ist ja eines, das uns alle betrifft: Ich glaube nicht, dass wir durch die Sexwelle alle aufgeklärt sind und uns die Untreue des Partners nichts anhaben kann. Das verwundet uns sehr wohl im Innersten. Darüber zu sprechen, kann auch therapeutisch sein.

ddp: Kommen nicht viele Leute mit der Erwartung in die Oper, einen netten Abend frei von Konflikten zu verleben?

Konwitschny: Wenn es in der Oper nur um schöne Töne geht, dann finde ich das asozial. Wenn das hohe C an sich gewertet wird, dann ist das Stimm-Pornografie. Es wird dann «Bravo» oder «Buh» gebrüllt und daneben stirbt Mimi in «La Boheme». Das ist obszön. Es muss gut gesungen, aber trotzdem ein Teil des Ganzen sein. Es muss für die Botschaft der Oper einen Wert haben.

ddp: Wie gehen Sie mit den sehr kontroversen Reaktionen des Publikums um? Es gibt auch immer viele Buh-Rufe bei Ihren Premieren.

Konwitschny: Kontroverse Reaktionen sind ja ein Ausdruck für Lebendigkeit. Mehr kann ich mir doch gar nicht wünschen. Ich möchte lebendiges Theater machen, das in die Wirklichkeit zurückwirkt. Der Zuschauer soll nicht nach drei Stunden das Theater verlassen, ohne dass ein Impuls aus dem Stück noch eine Weile weiterwirkt.

ddp: Kann man das wirklich so einfach wegstecken, wenn man vom Publikum angefeindet wird?

Konwitschny: Nein, das lässt mich nicht kalt. Inzwischen verhalte ich mich aber schon anders als früher, da hatte ich wirklich Angst. Wenn in der DDR im «Neuen Deutschland» stand, «Dem Mann muss das Handwerk gelegt werden», hatte ich Angst, dass ich in meiner Arbeit behindert werde. Den Vorwurf, ich würde die Oper «zerstören», gab es später im Westen auch. Inzwischen habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich gut weiterarbeiten kann. Aber es verursacht schon ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich die Buhs auf der Bühne höre.

ddp: Es gibt Fans, die reisen Ihnen in ganz Europa hinterher, verfolgen Ihre Arbeiten bis nach Moskau und Kopenhagen. Sind Sie ein Popstar unter den Opernregisseuren?

Konwitschny: Ich bekomme auch von älteren Menschen Briefe, in denen sie schreiben, dass sie durch meine Aufführungen einen ganz neuen Blick auf die Oper, manchmal sogar auf das Leben selbst bekommen haben. Was will ich mehr? Das ist doch der Sinn von Kunst: auch Lebenshilfe zu sein. Beim Studium bin ich Brecht begegnet und habe gelernt, dass Theater gesellschaftlich und politisch etwas leisten muss. Das Gefällige und Dekorative in der Kunst spricht mich nicht an.

ddp: Wie sieht es aus mit dem Nachwuchs an Opernregisseuren?

Konwitschny: Das ist vielleicht die größte Schwierigkeit in der Oper, dass es zu wenig gute Regisseure gibt. Möglicherweise 90 Prozent aller Opernaufführungen sind einfach Schrott. Für mich ist es oft enttäuschend, wenn ich in die Oper gehe.

ddp: Ihre sehr erfolgreiche Arbeit mit Metzmacher in Hamburg ist erst einmal vorbei. Wo werden Sie künftig inszenieren?

Konwitschny: Ich werde mit Metzmacher in Amsterdam zusammenarbeiten, außerdem mit Albrecht Puhlmann, der von Hannover nach Stuttgart geht, und eben an der Komischen Oper in Berlin. Im Ausland wird es Neuinszenierungen in Wien und Moskau von mir geben.


Interview: ddp-Korrespondentin Angelika Rausch
Musikgenre