Hauptrubrik
Banner Full-Size

Rezension: Barenboim - «Klang ist Leben. Die Macht der Musik»

Publikationsdatum
Body

Berlin (ddp). Über Musik lässt sich nicht reden, befindet Daniel Barenboim kategorisch. Für den weltberühmten israelischen Musiker ist sie «klingende Luft», also etwas Unfassbares, Unmögliches. Das hinderte ihn aber nicht da ran, sich ausgiebig mit diesem Unmöglichen zu befassen:

Soeben ist sein neues, drittes Buch erschienen. In «Klang ist Leben. Die Macht der Musik» spürt der in Argentinien als Sohn russisch-jüdischer Eltern geborene Pianist und Dirigent den Analogien von Musik und Leben nach. «Die Musik kann für uns viel Wertvolles leisten: dass wir nämlich mit ihrer Hilfe etwas über uns selbst, unsere Gesellschaft, die Politik erfahren können», sagte der Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin am Dienstagabend bei der Vorstellung des neuen Buches.

«Musik ist etwas, das uns hilft, die Welt zu vergessen, und Musik hilft uns gleichzeitig dabei, die Welt zu verstehen», schreibt Barenboim. Trotzdem habe sie es so schwer, in unsere Gesellschaft integriert zu werden. «Musik ist heuzutage allgegenwärtig - im Restaurant, in Flughäfen, im Auto. Jede Musik, der man nicht zuhört, ist aber nur Geräusch», sagte Barenboim. Und die «akustische Umweltverschmutzung» nehme immer mehr zu, schließlich könne man die Ohren nicht - wie die Augen - einfach verschließen, wenn man etwas nicht aufnehmen wolle.
Den «eklatanten Missbrauch» von Musik macht er mit Humor deutlich: Ein TV-Werbespot für eine neue Toilette sei in den USA vom «Lacrimosa» aus Wolfgang Amadeus Mozarts «Requiem» begleitet worden. Das habe zu Protesten geführt, woraufhin die Firma zugab, man habe nicht gewusst, dass diese Musik religiöse Bedeutung habe. Und man habe sogar Besserung gelobt: Künftig werde eine Passage aus Richard Wagners «Tannhäuser» in dem Werbespot zu hören sein. «Der Gedanke, dass die wahre Blasphemie im Missbrauch eines musikalischen Kunstwerks an sich liegen könnte, kam der Firma offenbar nicht in den Sinn», sagte Barenboim.

Dass er sich vom Unmöglichen wenig schrecken lässt, hat Barenboim auch mit der Gründung des West-Eastern Divan Orchestra 1999 in Weimar bewiesen: Zusammen mit dem palästinensischen Schriftsteller Edward Said gründete er das Orchester, in dem junge Juden, Christen und Muslime aus dem Nahen Osten gemeinsam musizieren und international auftreten. «Wir hatten gerade unser letztes Konzert für diese Saison in Paris, und ich bin noch ganz erfüllt von den Eindrücken und dem Zusammenleben der Musiker», sagte Barenboim. Jeder, der in diesem Orchester spiele, zeige ungeheuer viel Mut, denn in ihren Heimatländern Israel und den arabischen Staaten gebe es keinen Rückhalt und wenig Verständnis dafür, gemeinsam mit den «Feinden» Musik zu machen.

Frieden im Nahen Osten - das ist das große Thema Barenboims neben und mit der Musik. «Die Arbeit mit dem West-Eastern Divan Orchestra ist für mich die wichtigste, die ich tue», sagte er. Der israelisch-palästinensische Konflikt sei für ihn kein politischer Konflikt, sondern ein menschlicher: «Zwei Gruppen sind zutiefst davon überzeugt, dass sie das Recht haben, auf dem gleichen kleinen Streifen Erde zu leben.» Dieser Konflikt lasse sich weder diplomatisch noch militärisch lösen. «Das Schicksal von Israelis und Palästinensern ist untrennlich miteinander verbunden. Beide müssen dieses Schicksal annehmen und lernen, miteinander zu leben», ist Barenboim überzeugt. Das sei auch der wichtigste Aspekt in dem Orchester. Dabei spart er auch an «seinem» Land Israel nicht mit Kritik, wie das Buch eindrucksvoll belegt.

(Daniel Barenboim: «Klang ist Leben. Die Macht der Musik»; Siedler Verlag München, 192 Seiten, ISBN 978-3-88680-892-2; 18,95 Euro)

Musikgenre