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Salzburg (ddp-bay). Der Auftrieb der sündhaft teuren Roben und edlen Automobile war wieder gewaltig im Salzburger Festspielbezirk. Es scheint, als wären die Zeiten des Herbert von Karajan wiederaufgelebt, als hätten die Salzburger Festspiele, das größte und luxuriöseste Kulturfestival der Welt, endlich zu ihrer eigentlichen Bestimmung zurückgefunden.
Gerard Mortier, der das Festival von 1992 bis 2001 leitete und sich nun gemeinsam mit Nike Wagner um die Leitung der Bayreuther Festspiele bewirbt, hatte die Schönen und Reichen für ein paar Jahre vom Olymp an der Salzach vergrault. Dann kam die Interimszeit von Peter Ruzicka, dem hanseatisch-kühlen Musikmanager und Komponisten, der auf den einschlägigen Events immer etwas deplatziert wirkte. Doch unter Jürgen Flimm leben die alten Zeiten gesellschaftlich wieder auf. Tag für Tag strapaziert die Haute Volée den roten Teppich vor dem Großen Festspielhaus. Kein Tag vergeht ohne private oder halböffentliche Exklusiv-Veranstaltungen, zu denen der Geldadel mit der nie ruhenden VIP-Flotte eines Sponsors gekarrt wird. Wo bleibt da die Kunst, fragen Kritiker wie der Musikexperte der Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit», der seinen Artikel über die Salzburger Umtriebe mit der Zeile «In Blitzlichtgewittern» überschrieb - Anspielung auf Ernst Jüngers umstrittenes Weltkriegsepos «In Stahlgewittern».Gesellschaftlicher Höhepunkt der am Sonntag (31. August) zu Ende gehenden Saison 2008 war die Neuinszenierung von Hector Berlioz´ monumentaler Oper «Roméo et Juliette». Rolando Villazón in der Rolle des schmachtenden Liebhabers erfüllte, nach überstandener Stimmkrise, alle Erwartungen und wurde «besinnungslos» («Die Zeit») gefeiert. Zur Entdeckung des Abends, wenn nicht dieser Festspiele, kürten die Kritiker aber nicht die georgische Sopranistin Nino Machaidze, die für die hochschwangere Anna Netrebko als Juliette eingesprungen war, sondern den jungen kanadischen Dirigenten Yannick Nézet-Seguin.
Die Sänger - unter ihnen auch Erwin Schrott, Netrebkos Lebensgefährte, der in Wolfgang Amadeus Mozarts «Don Giovanni» als Leporello zu überzeugen wusste - schienen dieses Jahr überhaupt etwas im Schatten der neuen Dirigentenstars zu stehen. Im fast einhelligen Beifall der Kritiker sonnen durfte sich, neben dem Kanadier sowie Altmeister Pierre Boulez, der österreichische Dirigent Franz Welser-Möst, der künftige Musikchef der Wiener Staatsoper. «Musikalisch auf Festspielniveau» urteilte der Kritiker der Wiener Tageszeitung «Die Presse» über die Neuinszenierung von Antonin Dvoráks Märchenoper «Rusalka», die Welser-Möst mit dem brillanten Cleveland Orchestra bestritt.
Und dann war da noch Gustavo Dudamel, der charismatische Chef des Simón Bolivar Youth Orchestra of Venezuela. Er bewies, dass das Orchester nicht nur ein äußerst ambitioniertes Sozialprojekt ist, sondern auch musikalisch überzeugen kann. Wenig Gnade fanden die Kritiker für Riccardo Muti, der die Neuinszenierung von Giuseppe Verdis «Otello» und eine Wiederaufnahme von Mozarts «Zauberflöte» leitete.
Nicht recht zünden mochten in diesem Sommer die Einfälle der Regisseure. Weder Claus Guths «Don Giovanni» im Fichtenwäldchen, noch Stephen Langridges steife Inszenierung von Giuseppe Verdis «Otello», noch Johan Simons´ «Herzog Blaubart» im Rollstuhl mochte die Kritiker wirklich beeindrucken. Wenig Gefallen fanden auch Jossi Wieler und Sergio Morabito, die «Rusalka» ins Unterwasser-Bordell verfrachteten. Die «Romeo et Juliette»-Inszenierung des Met-erprobten Bartlett Sher ging als handwerklich gelungen, aber etwas konventionell durch.
Im Schauspiel vermochte Andrea Breth mit ihrer Bühnenadaption von Fjodor Dostojewskis «Schuld und Sühne» die hohen Erwartungen an eine Eröffnungspremiere nicht zu erfüllen. Auch Sophie von Kessel als neue «Buhlschaft» im «Jedermann» wurde kühl aufgenommen. Dafür beeindruckte einmal mehr Vanessa Redgrave. Die gesellschaftlich engagierte Hollywood-Diva, Oscar-Preisträgerin und UNICEF-Botschafterin, garnierte ihre Soloperformance in Joan Didions «The Year of Magical Thinking» mit einer Lesung mehrerer Gedichte von Guantanamo-Häftlingen.
Ein Gegengewicht zum Rummel in Opern und Schauspiel versuchte wieder Konzertchef Markus Hinterhäuser zu bieten. Seine Werkschau des zeitgenössischen italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino stieß auf breites Wohlgefallen. Feste der Kunst waren auch die Soloabende berühmter Pianisten. Lang Lang konzertierte zusammen mit Daniel Barenboim, Altstar Maurizio Pollini und Krystian Zimmermann begeisterten Publikum und Kritiker. Und schließlich verabschiedete sich in diesem Jahr Alfred Brendel. Der Pianist, der seit 1960 fast jährlich in Salzburg vorbeischaut, gab sein letztes Konzert im Rahmen der Festspiele. Zum Jahresende will sich Brendel von der Bühne zurückziehen.