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Tintenfraß und Flecken getilgt +++ Thüringisches Landesmusikarchiv bewahrt Handschriften von Weltrang +++ Suche nach Sponsoren
Weimar (ddp-lsc). Graue Kartons, wohin das Auge schaut. Unterschiedlich groß, lagern sie wohltemperiert und brandgeschützt hinter schweren Stahltüren in ebensolchen Rollregalen. Was auf den ersten Blick einem gewöhnlichen Warenlager gleicht, erweist sich als eine wahre Schatzkammer der Musikliteratur. Hunderte laufende Meter Notenmaterial sind in den unscheinbaren Behältnissen verborgen, komplette Partituren ebenso wie einzelne Stimmen, Handschriften weniger bekannter Komponisten und Dirigenten, aber auch solcher Berühmtheiten wie Franz Liszt, Richard Strauss und Johann Cilensek.
Vorsichtig und mit weißen Baumwollhandschuhen ausgerüstet, entnimmt Irina Lucke-Kaminiarz einem dieser Kartons die Partitur der Erstaufführung von Mozarts «Zauberflöte» am 16. Januar 1794 am damaligen Weimarer Hoftheater. «Wieder ein Kleinod gerettet», freut sich die Leiterin des Thüringischen Landesmusikarchivs über die in der Universitäts- und Landesbibliothek Jena restaurierte Notenschrift. Eine mühevolle Arbeit, denn nicht nur Schimmelpilz und Tintenfraß hatten ganze Arbeit geleistet. Auch die Spuren des Gebrauchs in 212 Jahren waren unübersehbar. Der Einband aufgewölbt und unsachgemäß repariert, das Papier teils verklebt und an den Rändern ausgefranst, dass manche Note nicht mehr lesbar war. Einige Dirigenten hinterließen ihre Fingerabdrücke, die nun ebenso konserviert sind wie die Korrekturen ihrer Kollegen.
Die «Zauberflöten»-Partitur gehört zum historischen Bestand des Deutschen Nationaltheaters (DNT) Weimar, der seit 2002 im Thüringischen Landesmusikarchiv bewahrt wird. Gleich ihr wurden inzwischen zehn Bände Notenmaterial saniert und damit für die Nachwelt gesichert. Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts von rund 500 laufenden Metern DNT-«Nachlass», der teilweise die Napoleonischen Kriege und den Theaterbrand 1825, in jedem Fall aber die beiden Weltkriege überstand. «Trotzdem ist noch alles da, wenn auch ungeordnet und teils stark beschädigt und deshalb hochgradig gefährdet, aber ein Fundus für die Welt».
Doch die öffentliche Hand hat für den Erhalt dieses Stücks Weltkulturerbe kein Geld, und Irina Lucke-Kaminiarz ist deshalb stets auf der Suche nach Sponsoren. Cirka 1500 Euro kostet die Wiederherstellung eines Bandes, wobei eine Partitur aus zwei bis drei Bänden besteht. «Doch bei Einzelblättern kann man schon mit fünf Euro dabei sein,» hofft sie selbst auf kleinste Spenden. Schließlich wartet über das Theater-Material hinaus manch anderer Schatz darauf, gehoben zu werden. Die so genannten Adjuvantenarchive aus Thüringer Kirchgemeinden etwa, aber auch das Archiv des Allgemeinen Deutschen Musikvereins.
1859 von Liszt gegründet, wurde es 1937 im Zuge der Aktion «Entartete Musik» geschlossen und blieb das auch zu DDR-Zeiten - wegen fehlender Gelder für die Restaurierung. «Aus diesem Grund mussten wir es nach der Öffnung 1989 auch wieder schließen.» Inzwischen wurde es mit Hilfe der Wirtschaft restauriert und ist Gegenstand eines großen Forschungsprojektes.
Erfreut indes zeigt sich Lucke-Kaminiarz über Förderungen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die auf drei Jahre noch bis 2007 die wissenschaftliche Verzeichnung des historischen DNT-Bestandes unterstützt. Dieser wird übrigens ebenso mikroverfilmt wie alle anderen Musikalien des Archivs. Schließlich geht es nicht nur um das Bewahren des Erbes, sondern auch um dessen Erforschung und künstlerische Wiederaufführung. «Es ist noch kein Student ungetröstet von dannen gezogen, der bei uns ein Thema für eine wissenschaftliche Arbeit oder ein Projekt gesucht hat.»
Uschi Lenk
http://www.hfm-weimar.de