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Bayreuth (ddp). Ein schlicht-langweiliger Saal im Evangelischen Gemeindehaus, ein schwarzer Steinway-Flügel auf der Bühne, eine eingeschworene Fangemeinde vormittags um halb elf: In Bayreuth ist wieder Neben-Festspiel-Zeit.
«Wagner hören und verstehen» heißt die Vortragsreihe, zu der Stefan Mickisch 30 Tage lang während der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth einlädt. Längst hat sich die Veranstaltung einen großen Liebhaberkreis erarbeitet, denn der Musiker ist bekannt für seinen humorigen, kenntnisreichen Umgang mit dem so theatralischen Werk Wagners. Die eigentlichen Festspiele am Grünen Hügel lässt Mickisch dabei bewusst links liegen. «Meistens gehe ich gar nicht darauf ein, weil die Qualität nicht gut genug ist.»Als erklärter Gegner zeitgenössischen Regietheaters kann er sich jedoch Sticheleien gegen die «modernen» Inszenierungen auf der nur zehn Minuten entfernt liegenden Festspielbühne nicht verkneifen und erntet damit unter den konservativen Wagnerianern zustimmendes Kopfnicken nebst Seufzern. Und Mickisch ist ein großartiger Pinanist. Regie, so findet er, ist ja sekundär, «wird viel zu hoch bewertet».
Bis zu zehn Jahre müssen Wagner-Fans warten, um eine der begehrten Eintrittskarten für die Festspiele zu bekommen. Dann darf der Fan auf einem der 1940 harten, engen Holzsitze Platz nehmen und bis zu sechs Stunden zum Beispiel «Tristan und Isolde» lauschen. Bei Mickisch geht das schneller: «Wagner hat seinen ´Tristan´ wahrscheinlich aus einer existenziellen sexuellen Not heraus komponiert, weil es mit seiner Angebeteten Mathilde Wesendonck nicht klappte», beginnt er seinen Vortrag am Vorabend der Aufführung und hat gleich die Lauscher auf seiner Seite. Dann hebt er an zum Theoretischen: spielt und erklärt den Tristan-Sehnsuchts-Akkord, nach C-Moll aufgelöst («auch Schumann hatte diesen Akkord, löste ihn aber anders auf»), erklärt das «sehnsuchtsvolle Hoffen», das dem Wagnerianer immer von Neuem die Tränen in die Augen treibt («eindringen in die Seele, ablagern in der Seele»).
Mit viel mehr Beinfreiheit und Bequemlichkeit als im Festspielhaus lässt sich ganzen Passagen der Schicksalsoper lauschen. Mickisch´ Anhänger schmelzen dahin, die atemlose Stille ist andachtsvoll wie auf dem Grünen Hügel. Kenntnisreich setzt der Mitvierziger der Beschreibung des Meeres in Wagners Tonsprache ein Beethoven-Stück entgegen, erklärt die «Liebestonart der Komponisten», E-Dur («auch bei Brahms, Rossini und Verdi»), und analysiert die Finessen und Tricks Wagnerscher Komponierkunst.
Die Idee zu den Vorträgen stammt bereits von Wieland Wagner, dem Bruder des jetzigen Festspielleiters Wolfgang Wagner, aus dem Jahre 1951. «Er wollte dem Publikum Richard Wagners Opern, die ja immer etwas schwerer verständlich sind als andere Werke, erläutern», sagt Mickisch. Dies habe er aufgegriffen, zunächst über den Richard-Wagner-Verband. Als es dort aber «aufgrund von Bevormundungsversuchen des Verbandes» nicht mehr weiterging, machte Mickisch auf eigene Rechnung weiter. «Es war im ersten Jahr schon klar, dass es lief. Es kamen 10 000 Menschen zu meinen 30 Vorträgen.» Der Verband bietet seine Vorträge auch weiterhin mit anderer Besetzung an. «Doch Qualität setzt sich eben durch», sagt Mickisch. So erklärt er an 30 Vormittagen vom 25. Juli bis Ende August jeweils die Wagner-Oper, die am Abend im Festspielhaus zu sehen ist.
Fragt man den gebürtigen Oberpfälzer nach dem Grund seiner Popularität, so weiß er sehr genau, was seine Gäste hören wollen. Neben dem musikalischen Kennertum und Können am Klavier ist es die kurzweilige, mit leicht spöttischem Unterton vorgetragene Erklärung der Wagner-Welt aus Erlösung und Weltflucht.