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Salzburg (ddp-bay). Der Kontrast könnte kaum größer sein. Auf der einen Seite Peter Ruzicka, der kopflastige, immer etwas unterkühlt wirkende Theatermanagerkomponist. Auf der anderen Jürgen Flimm, der impulsive Theatermacher, der Dampfplauderer und Bauchmensch.
Als Ruzicka 2001 sein Amt als Intendant der Salzburger Festspiele antrat, präsentierte er ein sehr exakt ausgearbeitetes «Fünf-Säulen-Modell», auf dem er die Festspiele gründen wollte: Mozart, Strauss, Opern von Exilkomponisten, große Opern des 19. Jahrhunderts und regelmäßige Opernuraufführungen.Ruzickas Nachfolger Jürgen Flimm, seit dieser Saison neuer Intendant des größten und renommiertesten Musik- und Theaterfestivals der Welt, will sich nicht in ein solches Korsett zwängen. «Von den fünf Ruzicka-Säulen war am Ende nicht mehr viel übrig, die sind ganz schön zerbröselt», sagt Flimm ohne Schadenfreude. Etwa die Uraufführungen, deren Zahl am Ende weit unter den ambitionierten Planungen lag.
Eine seine zunächst einmal fünfjährige Amtszeit überspannende Gesamtdramaturgie besitzt Flimm nicht. «Wir wollen einfach versuchen, uns jedes Jahr ein interessantes Thema zu suchen, das wir dann exemplifizieren.» Das Motto der Saison 2007 lautet «Nachtseite der Vernunft» und ist eine Reaktion auf den Mozart-Overkill des vergangenen Jahres, als in Salzburg im Mozartjahr sämtliche 22 Bühnenwerke des Meisters aufgeführt wurden.
Fast jede Mozartoper, so Flimm, ende mit einem Appell an die Vernunft. «Das war durchaus Ernst gemeint, Mozart machte damit keine Witze.» Aber kann man auf die Werte der Aufklärung, die Mozart beschwor, wirklich setzen? «Schön wär´s», sagt Flimm und lacht grimmig. Und deswegen haben er und seine Mitstreiter, Schauspielchef Thomas Oberender und Konzertchef Markus Hinterhäuser, manch «Unvernünftiges» auf den diesjährigen Spielplan ihrer ersten Saison gesetzt.
Da ist etwa Hector Berlioz´ Breitwandoper über den Renaissance-Bildhauer Benvenuto Cellini, an deren Ende Gott höchstpersönlich eingreift, um ein großes Werk gelingen zu lassen. «Der liebe Gott erscheint musikalisch und gibt dem Guss seinen Segen und, sieh da, es entsteht Kunst.» Solch ein göttliches Eingreifen hält Flimm natürlich für völlig unvernünftig, womit er sich in direktem Gegensatz zum Papst sieht. «Der ist ja Dogmatiker, kommt aus der griechischen Schule und die sagt: Gott ist die Vernunft.»
Der Theaterplaner Flimm handelt, im Gegensatz zu Ruzicka eher intuitiv, gelegentliche Nadelstiche nicht ausgeschlossen. An den Salzburger «Hausgöttern» Mozart und Strauss kommt er natürlich nicht vorbei. Auch wenn Mozart dieses Jahr reduziert wurde. Es gibt nur zwei Mozart-Wiederaufnahmen. Erst für nächstes Jahr plant Flimm einen neuen «Don Giovanni» mit Claus Guth als Regisseur. Ansonsten will sich Flimm um Opern kümmern, «die nicht im gängigen Repertoire der Opernhäuser zu finden sind».
Aus seiner Zeit als Chef der Ruhr-Triennale hat Flimm die Idee mehr oder weniger offener Kunstprojekte an die Salzach mitgebracht. Etwa das Musikoperntanzprojekt «Requiem für eine Metamorphose» mit dem belgischen Multikünstler Jan Fabre. Da wisse man jetzt noch nicht, was letztlich dabei herauskomme, sagt Flimm. «Ein völlig neues Format, das gab´s bisher hier noch nicht.» Und der «Jedermann»? Den sollte man lieber nicht dekonstruieren, meint Flimm. Dieses Jahr gibt´s erstmal wieder die behutsam modernisierte Inszenierung von Christian Stückl mit Marie Bäumer als neuer Buhlschaft.
Erst für 2010 ist eine Opern-Uraufführung geplant. Mit der Komposition wurde der große Zeitgenosse Wolfgang Rihm beauftragt. Ansonsten liegt das Theaterprogramm bei dem jungen Thomas Oberender in guten Händen. Und der ebenfalls noch recht junge und mutige Markus Hinterhäuser bastelt jedes Jahr das Konzertprogramm.
Schwieriger wird es wohl, wieder eine zentrale Dirigentengestalt für die Festspiele zu finden. Unter Ruzicka war dies Nikolaus Harnoncourt. Der will aber in Salzburg aus Altersgründen nur noch Konzerte geben. Flimm hofft, den Meister doch noch mal zu einer Oper überreden zu können. Ansonsten denkt er an Daniel Barenboim oder Riccardo Muti. Ersterer ist allerdings im Sommer mit seinem Völker verbindenden West-Eastern Divan Orchestra beschäftigt, Muti schon bei den Salzburger Pfingstfestpielen engagiert.
Anna Netrebko immerhin soll dem Salzburger Festspielpublikum erhalten bleiben. Dieses Jahr singt sie in einem Domkonzert. Auch mit «Rolando» (Villazon) sei man immer im Gespräch. Einen «tollen Kontakt», so Flimm, habe man auch zu Cecilia Bartoli. Welches Publikum ihm in Zukunft für «seine» Festspiele« so vorschwebe? Auf diese Frage antwortet Flimm mit einem Ruzicka-Zitat: »Ein Publikum, das mehr Neugier als Altgier hat.« Jedes Jahr besuchten 220 000 Leute die Festspiele. »Die kriegen sie nicht unter einen Tirolerhut und auch nicht in einen Rolls Royce."