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Wolferl im Puff: Mozarts "Entführung" an der Komischen Oper

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Am Werk vorbei - Calixto Bieito entstellt Mozarts «Entführung aus dem Serail» an der Komischen Oper Berlin

Berlin (ddp-bln). Mozarts Botschaft von der humanen Überwindung von Feindschaft durch Toleranz geht an der Komischen Oper Berlin ganz neue, umstrittene Wege. Vom Orient der Mozart-Zeit wurde die Handlung der ««Entführung aus dem Serail» in ein heutiges Bordell offenbar mit Zwangs-Prostitution verlegt. Das Stück wird in der Regie von Calixto Bieito zu einer Orgie von Sex und Gewalt, viel nackter Haut und Blut. Zum Duett »Vivat, Bacchus« und auch an anderen Stellen wird wild in der Gegend herum geballert.

Bei der Premiere am Sonntagabend wurde die Inszenierung kontrovers aufgenommen. Während Sänger und Orchester unter Kirill Petrenko gefeiert wurden, gab es überwiegend heftige Ablehnung mit Buh-Rufen für den in Berlin debütierenden spanischen Schauspiel- und Musiktheaterregisseur Bieito.

Osmin duscht sich unbekleidet und macht auf offener Bühne Liebe - oder was er dafür hält. In diversen Boudoirs sitzen Damen des ältesten Gewerbes der Welt. An drei Stellen ist Laufschrift zu sehen: Telefonsex-Werbung, aber auch wichtige Gesangs- und Sprechtexte aus dem Stück. Überdies wird die Körperpflege einer rauchenden Frau auf einer der drei Video-Flächen in den Proszeniumslogen gezeigt. Es ist eine Überfülle an simultanen Informationen und Geschehnissen, die zunehmend von der Musik, die doch das Wichtigste sein sollte, ablenkt. Schon zur Ouvertüre schwingt sich eine sexy Dame am Trapez (Dana Kobán) hoch über den Köpfen des Publikums.

Die so genannte »Marter«-Arie, die die verschleppte Konstanze (Maria Bengtsson) an sich für den zu ihrer Befreiung herbei geeilten Belmonte (Finnur Bjarnason) singt, wird hier im Angesicht der Peiniger geboten, um naturalistisch sexuelle Gewalt zu zeigen. Konstanze wird an einem Halsband in einem Käfig gehalten, so dass sich die von Belmonte aufgeworfene Frage der Treue - bei Mozart in bedrückender Ambivalenz - im Quartett der Entführten und Befreier gar nicht stellt.

Blonde (Nathalie Karl), die Vertraute Konstanzes, scheint anschaffen zu gehen. Die Einnahmen werden von Osmin (Jens Larsen) in Zuhälter-Manier der Handtasche entnommen. Anderseits ist sie ihm nicht zu Willen, da »Zärtlichkeit und Schmeichelei« fehlt, was sie ihm per Arie laut Mozart vorwirft. So sind die - überwiegend sehr schön gesungenen - Arien und Duette zunehmend Fremdkörper in diesem willkürlichen Milieu - nur weil »Serail« in Calixto Bieitos spanischer Heimat mit »Bordell" gleichgesetzt wird.

Die Dialoge werden weggelassen oder verändert - zum Teil in einer fast unerträgliche Fäkaliensprache. Auch der Ausgang des Singspiels wird grob verändert: Der Bassa (Guntbert Warns), der Konstanze offenbar wirklich liebt, gibt ihre eine Pistole, mit der sie ihn auslöscht. Und Osmin, sein brutaler Kumpan, wird ebenfalls erschossen. Was bei Mozart nichts als grausame Möglichkeit ist in Osmins Tiraden, wird hier Realität - auch wenn der Bassa, wenn\'s zu schlimm wird, beschwichtigend davon spricht, alles sei nur ein Traum.

Angesichts der schrillen Turbulenzen macht es der Regisseur den Sängern unendlich schwer, das zu tun, was sie vorwiegend sollten: zu singen. Dass unter solchen Umständen überwiegend hoch respektable vokale Leistungen zu Stande kommen, erstaunt und bringt ihnen viel Beifall und Bravos. Übrigens findet die geplante Entführung gar nicht statt. Bieito hat schlicht am Werk vorbei inszeniert und ein Kitsch-Finale mit rot leuchtenden Herzen auf die Bühne gestellt.

Klaus Klingbeil
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