Banner Full-Size

Singuläre Erscheinung in einem wachsenden Markt

Untertitel
25 Jahre Junge Deutsche Philharmonie – Hans-Peter Wirth über Programme, Pläne und Sponsoren
Publikationsdatum
Body
1999 sind es 25 Jahre, dass es die Junge Deutsche Philharmonie gibt. Das Orchester, das bei seiner Gründung zunächst als Bundesstudentenorches-ter firmierte, sticht seit jeher durch seinen Anspruch einer echten Mitbestimmung bei Programm-, Solisten und Dirigentenwahl aus der Masse der Jugendorchester heraus. Legitimieren müsste sich dieses Spitzenensemble unter den Jugendorchestern eigentlich nicht mehr: Zahlreiche Profimusiker haben die „Station“ Junge Deutsche Philharmonie auf ihrem Weg zu einer Karriere als Solist oder Orchestermusiker durchlaufen. Ein erfolgreiches Modell also. Nach wie vor strömen die jungen Musiker hinein ins Orchester, in der Hoffnung, hier den Ausgangspunkt ihres eigenen Erfolges zu finden. Aber es gibt auch Nöte: Jedes Jahr will ein Millionenhaushalt aufs Neue finanziert sein. Vor zwei Jahren übernahm Hans-Peter Wirth als neuer Geschäftsführer diese Aufgabe. Wirth war dem Orchester schon immer verbunden gewesen, er spielte die ersten fünf Jahre – in den „schönen, heißen Jahren“ der Satzungsentwicklung – als Kontrabassist mit. Mit Hans-Peter Wirth unterhielt sich nmz-Redakteur Andreas Kolb. neue musikzeitung: Herr Wirth, was wollen die jungen Musiker heute? Wollen sie die Junge Deutsche Philharmonie als Karrieresprungbrett? Inwieweit spielt die Idee eines demokratischen Orchesters noch ein Rolle? Hans-Peter Wirth: Die Mehrheit sieht das Orchester sicher als gutes wichtiges Stadium ihrer Karriere an. Eine Minderheit kümmert sich um diese weitergehende Fragen. Man darf aber nicht vergessen, dass man eine Haltung auch wecken kann. Der Wunsch nach Mitgestaltung, Beteiligung, der kommt oft erst während der Arbeit. nmz: Wollen junge Musiker heute lieber moderne Musik spielen als früher? Wirth: Den Wunsch nach großen sinfonischen Werken von Mahler, Bartok, Strawinsky, den gibt es immer. Das Orchester verlangt nach einer guten Mischung und ist dabei eigentlich ganz selbstverständlich offen für neue Musik. Ich denke jetzt an die Einstudierung von Hans Zenders „Schumann-Fantasie“ im vergangenen Sommer, die allen unheimliche Freude und Spaß gemacht hat. Das Neue ist zunächst mühsam, doch kann der Musiker darin eine Schönheit erleben, die er bis dahin noch nicht kannte. nmz: Wie entstehen die Programme der Jungen Deutschen Philharmonie? Wirth: Unser Programmausschuss berücksichtigt die Wünsche des Orchesters, die Wünsche des Dirigenten plus möglicherweise die Spezialinteressen einzelner Mitglieder des Programmausschusses. Dann werden die Programme der Vollversammlung vorgeschlagen, die letztlich entscheidet. Die gute Mischung aus Moderne und klassischem Repertoire in den Programmen der Jungen Deutschen Philharmonie ist unser Markenzeichen geworden. Wir sind kein Spezialensemble für Neue Musik oder nur für große romantische Werke. nmz: Seit kurzem gibt es einen neuen Kompositionspreis der Jungen Deutschen Philharmonie? Wirth: Der ist innerhalb eines ganz bestimmten europäischen Projektes entstanden. Wir sind Mitbegründer der European Federation of National Youth Orchestra, einer Vereinigung die vor knapp sechs Jahren gegründet wurde. Im Jahr 2000 werden wir ein großes Musikfest europaweit an verschiedenen Orten machen. „Sinfonic Variations of Europe“, nannten wir das Projekt und haben nach neuen Kompositionen gesucht – so entstand der Wettbewerb. Sieger ist übrigens kein deutscher Komponist geworden, sondern der Spanier José M. Sánchez-Verdú. nmz: Neben der Jungen Deutsche Philharmonie gibt es weitere Jugendsinfonieorchester nicht nur europaweit, sondern gerade auch in Deutschland. Und es werden immer mehr. Wird der Markt für Jugendorchester enger? Wirth: Wir haben zwei direkte Konkurrenten, die auf dem gleichen Niveau agieren wie wir: das Gustav-Mahler-Jugendorchester und das European Union Youth Orchestra. Die sprechen die selben Musiker an wie wir. Gute Musiker gehen in die Orchester, die ihnen die interessantesten Programme und Bedingungen bieten. Die Konkurrenzsituation ist hart. Die genannten Orchester sind zum Beispiel finanziell viel besser ausgestattet. Dadurch bieten sie bessere Reisebedingungen und können Dirigenten anfragen, die eventuell eine Kategorie teurer sind. Wir reagieren darauf mit der Qualität der Programme. Und dann bieten wir eben das basisdemokratische Prinzip, bei dem sich jeder Musiker einbringen kann. Das gibt es woanders wirklich nicht. nmz: Tut Demokratie der Musik gut? Wirth: Es ist eine große Ernsthaftigkeit da. Während der Arbeitsphasen findet eine Auseinandersetzung auf allen Ebenen statt. Das Werk wird auf diese Weise zum Inhalt, mit dem man sich sehr stark identifiziert. Das ergibt eine Qualität, die bei den Konzerten rüberkommt. nmz: Was verlangt der Markt, was wollen die Veranstalter? Wirth: Das ist der Kern meiner Arbeit, ein stetiger Austausch zwischen Orchester und den Veranstaltern: ein Hören, ein Anbieten, ein Fragen. Im Prinzip hofft man, dass das Programm, das man hat, so interessant ist, dass es genug Veranstalter gibt, die einem das abnehmen. Man muss in der Regel die „Variante 1,5“ haben. Zum eigentlichen Programm muss man mindestens noch mal ein halbes in der Hinterhand haben, um variieren zu können. Oft kriegen wir zu hören, das Programm sei toll, doch es lasse sich einfach nicht verkaufen. Und ob wir statt dem modernen Klavierkonzert vielleicht ein Mozart-Doppelkonzert im Repertoire hätten. nmz: Ein konkretes Beispiel... Wirth: Das Programm Sommer 2000: Das ist ein typisches Programm mit Alternativen. Ursprünglich war die Idee Zimmermann (Dialoge, Konzert für 2 Klaviere und großes Orchester), Reger (Eine romantische Suite) und Debussy (Jeux). Die Klammer ist eigentlich das Werk von Bernd Alois Zimmermann: Er bezieht sich direkt auf Debussy, er zitiert ihn. Reger wiederum bezieht sich auf Debussy, gewissermaßen als deutsche Seite des Impressionismus. Nun gibt es zwei Arten von Veranstaltern: Der eine äußert sofort den Wunsch nach leichter Verkäuflichem, nach „was Schönem, Klassischem“. Der andere will ein Spezialprogramm, und sagt beispielsweise: „Da würde doch ein Takemitsu wunderbar passen!“. Unsere Antwort ist eine Alternative für beide Typen von Veranstaltern. Als Alternative bieten wir Toru Takemitsus „Quotation of Dream für 2 Klaviere und Orchester“ oder Mozarts „Konzert für 2 Klaviere und Orchester, Es-Dur“. nmz: Wie können die Musiker, das Orchester bei solchen Fragen überhaupt mitbestimmen? Wirth: Hier gibt es einen ständigen Kontakt zwischen mir und einzelnen Vertretern im Programmausschuss. Denn auch zwischen den Arbeitsphasen müssen wir handlungsfähig bleiben. In dieser Zeit sind die Ausschüsse und ich die Entscheidungsträger. nmz: Wie finanziert man ein Orchester wie die Junge Deutsche Philharmonie? Wirth: Schwieriges Kapitel. Ich komme zum Beispiel gerade von einem Sponsorengespräch und hoffe, hier einige Persönlichkeiten aus der Wirtschaft gefunden zu haben, mit deren Hilfe wir endlich eine Basisfinanzierung für die Junge Deutsche Philharmonie zustande bekommen. Seit 25 Jahren arbeiten wir auch ohne öffentliche Finanzierung. Die Stadt Frankfurt unterstützt uns allein dadurch, dass sie uns großzügige Büroräumlichkeiten zur Verfügung stellt. Ich muss von einem Jahr aufs nächste einen Millionenhaushalt zusammenbekommen, von dem etwa 70 Prozent die Veranstalterhonorare ausmachen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist, dass es erstaunlicherweise in den Zeiten knapper Kassen nicht weniger Jugendorchester gibt, sondern immer mehr. Jeder Veranstalter macht eben nur einmal oder zweimal ungewöhnliche Programme wie mit einem Studentenorchester und da kann uns jemand zuvor gekommen sein. Leichter kommt man zu guten Honoraren, wenn man den kommerziellen Weg einschlägt: große Dirigenten, große Solisten, bekannte Werke. nmz: Sicher nicht der Weg, den die Junge Deutsche Philharmonie gehen will. In der jüngsten Ausgabe ihrer Orchesterzeitschrift „Fuge“ war eine beeindruckende Liste von potenten Förderern und Sponsoren zu lesen. Eigentlich dürften Sie keine Sorgen haben. Wirth: Viele unserer Förderer sind Konzerthäuser. Ich spreche gerne von unserem Dreigestirn Alte Oper Frankfurt, Berliner Festspiele und Kölner Philharmonie, die uns mit guten Honoraren unterstützen. Zahlreiche weitere Förderer sind Facheinrichtungen, die uns projektbezogen unterstützen. Wir haben keinen Hauptsponsor, wie das in den USA oft üblich ist. nmz: Warum? Vermutlich wollen Sie sich nicht an einen Namen binden und zum MobilOil-Orchestra – um ein Beispiel zu nehmen – werden? Wirth: Was wir uns wünschen ist ein Netz von Förderern, das trägt, das stabiler ist als nur ein Einzelner. Dazu kommt das Problem mit dem Image, das Sie ansprechen. Hauptsponsoring sei ein auslaufendes Modell sagen inzwischen schon manche Wirtschaftsleute. Die Junge Deutsche Philharmonie sucht und braucht mehrere Sponsoren, die zusammen auftreten können, vielleicht sogar bewusst miteinander auftreten wollen. Das sehe ich als mitteleuropäische Variante des Sponsoring an. nmz: Was erwarten Sie sich von Seiten der öffentlichen Hand? Wirth: Seit dem Regierungswechsel wurde immerhin eine Bundeskulturpolitik benannt. Es gibt ernsthafte Gespräche mit Berlin, denn als Bundesstudentenorchester stehen wir durch unseren eigenen Auftrag in einem Bezug zur Bundeshauptstadt. Auch spielt die Junge Deutsche Philharmonie seit 24 Jahren kontinuierlich bei den Berliner Festwochen – eine weitere Verbindung mit Berlin. Auf der anderen Seite möchte uns Frankfurt sehr gerne halten. In den 15 Jahren, in denen wir hier sind, haben wir auch heimatliche Gefühle entwickelt. Ich hoffe, dass über das Land Hessen oder auch über ein anderes Bundesland etwas möglich wird an öffentlicher Unterstützung. nmz: Ist der Haushalt 2000 bereits gesichert? Wirth: Bisher sind wir noch defizitär, aber ich gehe davon aus, das wir – wie in den früheren Jahren – auch nächstes Jahr in die schwarzen Zahlen kommen. Dennoch: Es muss uns innerhalb des nächsten Jahren eine Basisfinanzierung gelingen. Sonst wird es sehr, sehr schwierig. Das ist ein großes Ziel für mich und für das Orchester. nmz: Wagen Sie einen Ausblick? Wirth: Vor dem Ausblick möchte ich nochmals akzentuieren, was das Orchester im Jahr seines 25-jährigen Bestehens leistete. Die Junge Deutsche Philharmonie war bei der Einweihung des Plenarsaalbereichs im Reichstag dabei, wir begingen den Goethegeburtstag mit Konzerten in Frankfurt. Einmalig war sicher auch das sogenannte Ehemaligen-Orchester, das erst Anfang September unter der Leitung von Jun Märkl und Thomas Hengelbrock und in der Alten Oper konzertierte. Es war eine große Sache, Strawinskys „Petruschka“ und Bartóks „Der Holzgeschnitzte Prinz“ als halbszenisches Puppenspiel aufzuführen. nmz: Alles wurde nur wenige Male aufgeführt... Wirth: Wir sind kein Repertoireorchester, was wir machen sind singuläre Ereignisse. Unsere Programme werden sieben-, acht-, neunmal aufgeführt, dann sind sie im besten Sinne von Kunst auch wieder vergangen. Dieses Prinzip leben wir sehr konsequent. Die Projektarbeitsweise macht die Proben und Aufführungen zu einem einmaligen künstlerischen Ereignis für die Musiker, zu einer bewusst herausgehobenen Situation für den Musiker. Nur dadurch kommt auch die Qualität raus, die wir wollen und die dann das Publikum anspricht. Die Frage der Routine, ein großes Problem im Orchesterbetrieb ist unsere Sorge nicht. nmz: Ein Ausblick aufs nächste Jahr? Wirth: Im Frühjahr 2000 arbeitet die Junge Deutsche Philharmonie mit Steven Sloane von den Bochumer Symphonikern. Wir beschäftigen uns wieder einmal mit der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz. Im Mittelpunkt des Sommers 2000 steht dann das Europa Projekt gemeinsam mit der European Federation of National Youth Orchestra. Das wird der Beitrag der Jungen Deutschen Philharmonie zu einem Kultureuropa. Denn uns Künstlern ist es wichtig, dass es nicht nur ein Wirtschaftseuropa gibt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!