Body
Sprache ist Musik. Dieses scheinen viele zeitgenössische Kinderliedermacher/-innen vergessen zu haben. Während in traditionellen Sprüchlein und Verslein sowie auch in den Liedtexten die Lautmalerei noch ein selbstverständliches Stilmittel ist, geht es den modernen Textdichtern allenfalls noch darum, einen halbwegs schlüssigen Reim zu finden. Kurz – die Textqualität lässt zu wünschen übrig.
Hört man im Mühlenlied die Mühle klappern „Klipp klapp, klipp klapp...“, die Lokomotive fahren: „ruckelt, zuckelt, rattert, knattert, dampft und faucht“, so sind die modernen Lieder meist überladen mit Text: Jede Zeile bringt einen neuen Inhalt, neue Aspekte, Neues zu verstehen (vgl. etwa „Der erste Schultag“; Text: Tony Gehling, Musik: Klaus Holthaus, aus: Ton Ton, s.u.). Von der Sprache als Ausdrucksmittel, als musikalisches Gestaltungsmittel ist nichts zu spüren. Das, was die Sprache für die Kinder magisch macht, wird mit belanglosen Floskeln ersetzt. Statt „wundersam“ oder „golden“ wird „wunderschön“ beziehungsweise „schön“ gewählt – Lückenfüller, die die Reime platt erscheinen lassen. Was übrig bleibt ist der Sachgehalt, und davon zu viel auf engem Raum.
Musik ist Sprache – muss man den Komponist/-innen das Selbstverständliche erst nahe bringen? Dass Komponist/-innen keine Dichter sind und einem James Krüss unter anderen nachstehen, mag nachvollziehbar sein. Dass sie aber ihr eigenes Metier beherrschen, sollte man erwarten dürfen. Die wenigen neuen Lieder, die in ihrer Kürze eine prägnante, einprägsame, in sich schlüssige, nicht zu lange Melodie präsentieren, die darüber hinaus noch den Text widerspiegelt und hörbar macht, sind rar unter der Fülle von Kunstwerken. Einige wenige Lieder der hier begutachteten Sammlungen zeigen, dass man aber auch heute feinfühlige Texte finden kann, die sich schon mit ihrem Wortlaut ganz sensibel in die Situationen einfühlen, deren Melodien keine Silbenbetonungen manipulieren und die Stimmung des Textes in der Melodieführung und Tonart wiedergeben.
Es scheint, dass Hinz und Kunz sich dazu berufen fühlt, Kinderlieder zu dichten und zu komponieren (das allein wäre ja noch nicht weiter anstößig) und darüber hinaus zu veröffentlichen. In der heutigen Zeit ist das auch nicht verwunderlich: Die Kinderliedszene orientiert sich an der Popularmusikszene. Quantität statt Qualität scheint das Motto zu sein; unzählige und ständig neue Veröffentlichungen kommen auf den Markt, meist mit CD. Sie sind häufig dem Stil der Popularmusik angeglichen.
„Aus der Praxis – für die Praxis“ steht vielen Büchern als Leitwort voran. Für Kinder komponiert, mit ihnen gesungen und sie hatten einen großen Spaß dabei – also geeignet, kindgemäß. Trugschluss! Kinder fragen nicht, sie saugen auf und werten nicht. Mit viel Überzeugung konnten ihnen so auch vor 60 Jahren entsprechende Lieder untergejubelt werden. Sie fragen in der Regel noch nicht einmal nach der Bedeutung des Textes – jedenfalls nicht im Kindergartenalter. Kinder lassen sich dann mitreißen, wenn ihr Mentor von seiner Sache überzeugt ist und sein Programm den Kindern entsprechend präsentieren kann. Es obliegt also allein den Pädagogen/-innen oder den Eltern, aus der Fülle von Liedern geeignete auszuwählen. Ob sie das Handwerkszeug dazu haben, sei dahin gestellt – meist verlassen sie sich auf ihr Gespür.
Im Folgenden wurden eine Reihe von aktuellen Neuausgaben verschiedenster Art unter die Lupe genommen. Um dies übersichtlich zu gestalten, wurde eine Tabelle erstellt, die die Bücher in ihrem Inhalt beschreibt und nach den hier erörterten Kriterien beurteilt. Zu dem Liederbuch „Feuer Wasser Erde Luft“ ist bereits 1997 ein erster Band erschienen, konzipiert für das Alter von drei bis sechs Jahren. „Murmel und Co.“ Ist das Liederbuch, das zum neuen Konzept für die Früherziehung aus dem Gustav Bosse Verlag gehört und eine reiche Bandbreite an neuen und bewährten, aber ausgefallenen und sorgfältig ausgewählten Liedern bietet. Zu Wolfgang Hafners „Singend, Spielend, Lernend“ ist ein zweiter Band „Zu jeder Zeit“ erschienen (im selben Verlag), der den Vorherigen durch weitere Themenbereiche ergänzt.
Alle hier besprochenen Notentexte sind mit Begleitakkorden versehen und es kann eine CD dazu geordert werden. Kaum ein Liederbuch wird derzeit ohne zugehörige CD vermarktet. Dass dies besonders für Laien hilfreich ist, um fremde Melodien zu lernen und nicht nur auf den Notentext angewiesen zu sein, bestreitet niemand. Um für Kinder zum Anhören geeignet und pädagogisch empfehlenswert zu sein, müssen nicht nur die Lieder von guter Qualität sein, sondern hier geht es auch um die Einspielung: Textverständlichkeit, Durchsichtigkeit, Abwechslung der Stimmungen. Wird die Stimmung der Lieder aufgefangen und wiedergegeben? Ist die Instrumentierung differenziert in Klangfarben, durchsichtig in ihrer Struktur? Sind nach Möglichkeit die begleitenden Instrumente für die Kinder wiederzuerkennen? (Das ist bei Einspielungen mit Synthesizer generell nicht der Fall.) Um im Musikunterricht eingesetzt zu werden – und diesen Ansprüchen sollten sie im Kinderzimmer auch gerecht werden –, muss eine Einspielung von einem Kinderlied eine Bereicherung sein. Sie muss mehr bieten, als die Singstimme der Lehrerin oder des Lehrers: Das Lied muss gestaltet, sein Inhalt durch den Klang der Instrumente plastisch dargestellt sein. Unter diesen Aspekten wurden die zugehörigen Aufnahmen der Lieder beleuchtet.