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Unsichtbare Strukturelemente

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Über das Komponieren mit der Zwölftontechnik
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Die Diskussion darüber, wie bedeutsam Zwölftontechnik für die konkrete Gestaltung eines musikalischen Werks ist, wird kontrovers geführt. Michael Polth hat in seiner Studie zum Dritten Streichquartett von Arnold Schönberg neue Erkenntnisse ins Feld gebracht. Die Wahl des Werks ist genau richtig. Denn zu diesem Stück Schönbergs gibt es einige wichtige Untersuchungen, die zu durchaus verschiedenen Ergebnissen geführt haben: Norbert Dietrich, der dieses Werk unter der Fragestellung der fortlebenden Tradition sieht, und Christian Möllers, der demonstriert, wie wenig die zwölftontechnischen Verfahren sich mit melodischen und motivischen Gestaltungstechniken decken. Und vorne dran die These Schönbergs selbst, der sich nachdrücklich gegen sogenannte Reihenanalysen aussprach: „Ich kann nicht oft genug davor warnen, diese Analysen zu überschätzen, da sie ja doch nur zu dem führen, was ich immer bekämpft habe: zur Erkenntnis, wie es gemacht ist; während ich immer erkennen geholfen habe: was es ist!“ Die Angelegenheit ist also erledigt. Doch nein, es scheint einen schwierigen dritten Weg zu geben. So wahr es ist, dass solche Musik nicht erklärt wird, wenn man den Tönen Zahlen zuordnet, so gut kann man zeigen, dass die kompositorische Gestaltung nicht unabhängig vom „Komponieren mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ ist. Es wäre absurd, diese Beziehung zu leugnen, aber es ist zugleich wirklich schwer, sie nachzuweisen. Michael Polth begibt sich dennoch auf diesen vertrackten Weg und zeigt damit auf, dass es die Schönberg’sche Trennung von Verfahren und Gestalt nicht gibt, sondern – im Gegenteil – dass beide einander bedingen: „Zwischen den Segmenten [der Reihe] und der Motivik besteht kompositionstechnisch ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis: Einerseits wird die Segmentierung der Reihe durch melodische Gestaltenbildung erzeugt, andererseits müssen – da die Segmentierung nicht beliebig sein soll – die Motive von vornherein so entworfen werden, daß sie geeignet sind, eine gewünschte Segmentierung herbeizuführen.“ (Seite 71). Natürlich kann man die Nummern der Töne nicht hören, das wäre ja geradezu töricht und genau dagegen war Schönbergs Spitze gemeint. Aber die Zwölftontechnik geht ein in die ästhetische Gestalt des Werks. Mit dieser Untersuchung findet Polth zahlreiche neue Argumente für eine grundlegende Nachbesserung des Analysierens von Zwölftonmusik. Es wäre schön, wenn Polth seine Erkenntnisse an weiteren exemplarischen Werken überprüfen würde und damit die Vielfältigkeit und Problematik dieses Verfahrens erläutern könnte.

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