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Uraufführungen 2012/02

Untertitel
Wider den Wärmetod
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Alles ist endlich – auch das Universum, das einst in Entropie erstarren wird. Ebenso diagnostizieren Kulturpessimisten überall Schwund und Verfall. Wie die Welt sterben auch Kunst und Kultur einen Wärmetod. Ihre finalen Zerfallsprodukte sind leeres Flimmern und Klingeln. Alles Herausragende, Anspruchsvolle, Besondere, Einmalige wird über kurz oder lang verdrängt durch Konfektionsware, Kitsch und Schund als größtem gemeinsamen Nenner. In den 70ern griff die Haltung schnellen Konsums „ex und hopp“ von Fast-Food-Ketten auf andere Lebensbereiche über. In den 80ern setzten Privatfernsehen, Wegwerf- und Quotendenken die Losung „Erlaubt ist, was gefällt!“ als allgemeinen Konsens durch. Schließlich nivellierten seit den 1990er-Jahren die pseudo-demokratischen Klick-Strukturen des globalisierten Eine-Welt-Marktplatzes im Internet die letzten Unterschiede zwischen Kultur und Entertainment, Kunst und Pop.

Inzwischen hat die systematische Ausrottung von Vielfalt und Unverwechselbarkeit durch kosmoprovinzielles Mittelmaß und total gewordenen kommerziellen Mainstream faschistoide Züge angenommen. Selbst Kulturtheoretikern gilt Kultur heute nur noch als „eine Frage des Nachtischs“ (DIE ZEIT 28/2011, S. 46). „Doch mit der Gefahr wächst das Rettende auch“, oder doch – weniger optimistisch als Hölderlin – zumindest die Hoffnung auf und das Bedürfnis nach Hilfe. So formulierte erst kürzlich der norwegische Komponist Trond Reinholdtsen im Programmbuch des Luxemburger Festivals „rainy days“ 2011 die Hoffnung: „There will come a day where the people of the earth will say NO to this hedonist capitalist pop music fucking commercial TV fashion happy enjoyment facebook free sex design scheisse consensus and again turn their eyes towards the contemporary music world.“

Zumeist weniger drastisch und kaum je in dieser Ausdrücklichkeit sind indes alle Konzerte Neuer Musik eine Kampfansage an Konformismus, Gewohnheit und Ausverkauf. Ebenso ist jede Uraufführung ein Plädoyer für Veränderung, Gegenwärtigkeit, Wachheit und Einmaligkeit hier und jetzt. Im Kleinen wie Großen verfolgen allerorten immer mehr Kulturpartisanen unabhängig voneinander und doch gemeinsam eine effektive Guerillataktik, die jeden Kulturpessimismus Lügen straft. Am 5. Februar porträtiert die jährliche Reihe „Frau musica (nova)“ im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks Köln die 1967 in Kanada geborene Komponistin Chiyoko Szlavnics, unter anderem mit der Uraufführung eines neuen Stücks für Schlagzeugsolo.

Bei der fünften Ausgabe der im vergangenen Herbst von Mitgliedern der musikFabrik neu gestarteten Reihe „montagsKonzerte“ spielt am 6. Februar im Studio des Ensembles im Kölner Mediapark der Oboist Peter Veale erstmals das „Capriccio Fluido“ von Gwyn Pritchard. Die Kieler Tage für Neue Musik chiffren bieten vom 9. bis 12. Februar in sechs Konzerten mit sechs verschiedenen Ensembles Uraufführungen von Studierenden der Musikhochschulen Kiel und Kopenhagen sowie von Ivo Nilsson. Im selben Zeitraum bietet im Süden das „Eclat“ Festival Neue Musik Stuttgart 16 neue Werke unter anderem von Madeleine Ruggli, Stefan Pohlit, Sojeong Ahn, Sandeep Bhagwati, Friedrich Cerha und Mark Andre.

Weitere Uraufführungen

7.2.: Wolfgang Rihm, neues Werk für Arditti Quartet, Kölner Philharmonie

11.2.: Christian Jost, Hamlet-Echos für Sopran, Viola und Klavier, Rokokotheater Schwetzingen

16.2.: Eduardo Moguillansky, neues Ensemblewerk, musica viva Muffathalle München

17.2.: Enno Poppe, neues Orchesterwerk, musica viva Herkulessaal München 

27.2.: Nicolaus A. Huber, Alexey Sioumak, Olga Bochikhina, neue Werke, „Ensembl[:E:]uropa“ des WDR Köln mit dem Ensemble Studio for New Music Moscow

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