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Gerhard Rohde. Foto: Hufner
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Zum 80. Geburtstag von Gerhard Rohde. Ein Liebesbrief von Theo Geissler

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Alter Junge,
heimtückisch, wie unser sehr menschliches nmz-Redaktions-Stäbchen samt digital-anspruchsloser Archiv-Kompetenz nun mal ist, hat man mir kurz vor Deinem achtzigsten meine wirklich substanziell überwältigende Eloge zu Deinem siebzigsten Geburtstag als Print ins ansonsten überflüssige Plastik-Fach unseres sogenannten Posteinganges gelegt. Ich las es, war sehr überrascht, dass ich null Erinnerung an diesen treffenden Text mehr hatte. Bin ich vielleicht – biologisch, wie es heute so börsentauglich wertend in unserer sozialen Krankenkassen-Medizinmaschine heißt, alzheimerisch älter als Du?

Egal. Als „Klangverworter“ hab ich Dich damals in der Überschrift gezärtelt. Die meisten unserer Leser haben  dieses letzte fremde „o“ vermutlich intuitiv in ein „e“ umgewandelt. Und sind so der Realität des Umganges mit Klängen  heutzutage, zehn Jahre später noch ein Stück näher gekommen. Seinerzeit war ich stolz auf solch sinnige Lautverschiebung. Du hast es eben drauf. Eine Klang-Analyse, die fünf Millionen Autokilometer Anreise hin zu Live-Musik nicht immer vielversprechenden Neuklanges bedeutet hat. Du bist Entdecker, Abenteuerer und Chronist. Dass Dich inzwischen der Zug der Zeit zum Zugfahren überredet hat, ist ein Schritt Evolution.

Einige weitere Parameter Deiner Existenz haben sich in diesem Dezennium teils erweitert, teils verändert. Du bist mittlerweile souverän im Umgang mit einschlägigen Computer-Textprogrammen, wenn man sie für Dich öffnet. Dein Kommunikations-Potenzial erfuhr mit der Einführung des Phänomens „E-Mail“ hochmodernen Schub. Bayreuth ist nicht länger ein Kraftwerk Deiner Gefühle. Und Aix en Provence hat sich selbst in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet.

Dein Brot-Blatt, die FAZ, füllt ihr Feuilleton inzwischen oft zeit-geistig mit populärsoziologischen Schmonzetten und Trivial-Informationen zum Thema Gen-Forschung. An die Stelle differenzierter Musikkritik Deines Stils treten indessen schnulzige Thielemann-Jubelorgien und sonstiger Personality- und Society-Schnickschnack aus den kommerziellen Star-Allianzen unseres verkommenden Musiklebens. Das betrachtest Du, gelegentlich unter Zuhilfenahme der scharfen Bärwurz-Lupe, mit angemessen kritischem Blick.

Im Unterschied zum Brot-Blatt bist Du in Deinem „Hirn- und Herzblatt“, unserer nmz, allzeit hochwillkommen. Hinter vorgehaltener Hand und gut getarnt unter Spott und Zyne preisen wir Dich gern als den kompetentesten deutschen Musikkritiker, der sich zusätzlich klaren kulturpolitischen Durchblick verschafft hat. Während schnieke Jung-Kulturschreiber sich in der seichten Kunst des flotten Wortspiels üben, soweit es die dreißig Zeilen des Redaktions-Spaces erlauben, schaffst Du in erstaunlich kurzer Schreibzeit Zusammenhänge, Überblicke mit Tiefgang und kundige Analysen. Insofern beobachten wir Deinen zunehmenden Hang nach Süden, nach Salz- oder Regensburg, mit großer Sympathie. Schließlich sind wir stets daran interessiert, die Qualität unseres Produktes zu verbessern. Da kommst Du uns gerade recht. Lass Dich die nächsten zehn Jahre doch einfach mal von den Guten ausbeuten. Das wünscht sich zu Deinem Geburtstag

Theo Geißler

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