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Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus A. Woelfle
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Als Maurerklavier, Quetschkommode, gar Wanzenquetsche wurde es lange belächelt. Wenn das Akkordeon heute im Jazz ernst genommen wird, liegt das nicht zuletzt daran, dass der Franzose Richard Galliano seine Finger im Spiel hat, die ihm einen klanglichen Nuancenreichtum entlocken, der an große Bläser, Organisten oder Sänger erinnert. Mit „New Jazz Musette“ (Ponderosa) knüpft er an das Album „New Musette“ von 1991 an, dem er seinen Durchbruch verdankte, als er den Rat seines Mentors Astor Piazzolla befolgte, nicht nur amerikanischen Vorbildern nachzueifern: „Schaffe einen ‚Musette Neuve‘-Stil, wie ich den Tango Nuevo erfunden habe.“ Hier verschmilzt der Meister aus Nizza wieder Elemente urfranzösischer „Caféhausmusik“ und des modernen Jazz, nicht nur in Musettewalzern, sondern auch in Blues, Tangos und chansonesken Balladen. Poetische Verträumtheit, mediterrane Eleganz und blitzsaubere Virtuosität gehen Hand in Hand; alles ist licht und leicht, doch nicht leichtgewichtig. Den Eindruck mitreißender Frische und heiterer Gelöstheit unterstreicht die federleichte Begleitung des Bassisten Philippe Aerts und des Drummers André Ceccarelli, während der Gitarrist Sylvain Luc zur zweiten Solostimme wird, in der das Erbe Django Reinhardts weiterlebt.

Auch Harry Sokal knüpft mit seinem aktuellen Album an eine wichtige Etappe seiner Laufbahn an. Über zwei Jahrzehnte hat er im europäischen Quintett des 1999 verstorbenen Art Farmer musiziert. Das war nicht nur ein famoser Karriereeinstieg, sondern eine Erfahrung, die ihn für wohl alle Zeiten musikalisch geprägt hat, hat er sich doch beim Trompetenpoeten sein musikalisches Rüstzeug erworben, wozu das breitgefächerte Repertoire, die Finessen des Soloaufbaus und der Interaktion gehören sowie das Geheimnis, dass eine Melodie aus den Pausen zwischen den Tönen besteht. Das gibt er heute an Jüngere weiter, weswegen ihn gerade seine Studenten John Arman (g), Martin Kocián (b) und Michał Wierzgon (d), inspiriert haben, Farmer in „I Remember Art“ (Alessa) ein Denkmal zu setzen. Wie immer fasziniert Sokal mit seinem expressiven Sound und unwiderstehlichen Groove.

Benny Green hat in einem seiner Lieblingsclubs, dem Kuumbwa Jazz Center in Santa Cruz, Ca., ein Live-Album eingespielt, das seinem Titel „Happiness!“ (Sunnyside) alle Ehre macht. Es mag Kollegen geben, die über den vermeintlichen Anachronisten witzeln, und eine andere Piano-Diät vorziehen, wo mit weniger übersprudelndem Spielwitz auch weniger geswingt wird und zum Ausgleich die heute allgegenwärtige pseudobedeutungsschwere Tristesse zur Schau gestellt wird. Zugegeben, Green klingt, als musiziere er im Jahr seiner Geburt (1963). Und doch schlägt bei ihm, der an der Seite von Größen wie Betty Carter, Art Blakey und Ray Brown heranreifte, die Verbalkeule „Epigone“ ins Leere. Wir vernehmen kein Abspulen angedrillter Jazzhistorie, sondern den natürlichsten Ausdruck seines freudig swingenden Selbst. Schon lange hat Oscars Petersons Protegé im Rahmen des swingenden Mainstreams einen durchaus unverwechselbaren Personalstil gefunden, der ebenso vital wie virtuos, vor allem unnachahmlich locker Elemente seines Mentors und souliger Hardbop-Pianisten à la Wynton Kelly vermittelt, und persönliche Stilelemente, darunter seine brillanten Oktavläufe aufweist. Das erlaubt ihm sich vor seinen Ahnen zu verneigen, ohne sie zu kopieren, und das mit selten gespieltem Repertoire von Größen wie Horace Silver, Duke Pearson und Cedar Walton. „Happiness“ ist eines der rückhaltlos swingendsten Trio-Alben der letzten Zeit. Green, der Tieftöner David Wong und der Drummer Rodney Green atmen im gleichen Rhythmus, haben den gleichen Pulsschlag – den des blühenden Lebens selbst.

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