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Elisabeth Heymann erinnert sich an ihren Vater und liefert die Noten dazu
Elisabeth Heymann erinnert sich an ihren Vater und liefert die Noten dazu
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Das muss ein Stück vom Kinderhimmel sein

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Elisabeth Heymann erinnert sich an ihren Vater und liefert die Noten dazu
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Er war der „Vater“ der Tonfilmoperette der frühen 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts: der jüdische Komponist Werner Richard Heymann. Zusammen mit dem kongenialen Liedtexter Robert Gilbert „orchestrierte“ er für den genialen Ufa-Produzenten Erich Pommer bis 1933 die Klassiker des Genres: „Die drei von der Tankstelle“, „Der Kongress tanzt“ oder „Ich bei Tag und du bei Nacht“. Nach Goebbels‘ „Entjudung“ der Ufa verließ er Deutschland. Nach Zwischenstopps in Paris und London landete er schließlich in Hollywood. 1951 Remigration. 1952 Geburt der Tochter Elisabeth, genannt Kiki. Und damit beginnt unsere Geschichte.

Seit den 90er-Jahren kümmert sich Elisabeth Trautwein-Heymann mit viel Verve um das musikalische Vermächtnis ihres Vaters. Jetzt hat sie gleich doppelt zugeschlagen: Zusammen mit ihren Kindheitserinnerungen hat sie auch ein Songbook mit den Tonfilmschlagern ihres Vaters herausgegeben. Zwei Herzensprojekte: „Vom Paradies ein goldner Schein. Durch Kinderaugen: Musik und Menschen im Hause Werner Richard Heymann“ (Hentrich & Hentrich Verlag) und „Irgendwo auf der Welt. Werner Richard Heymann Songbook“ (Schott Music). Die Titel lieferte natürlich Robert Gilbert: „Irgendwo auf der Welt“ heißt das schönste Lied aus der Depressionskomödie „Der blonde Traum“ und die „Paradies“-Zeile stammt aus dem viel zitierten Gassenhauer „Das gibt’s nur einmal“, den Lilian Harvey in der berühmten Kutschenfahrtsequenz in Eric Charells „Der Kongress tanzt“ singt.

Als mir zum ersten Mal von Elisa­beth Heymann erzählt wurde, nannten sie alle nur Kiki. In ihrem Büchlein liefert sie uns die Geschichte dazu: „Ich war Kiki. So nannte man mich. Das kam so: Als mich mein Wiener Großvater sechs Wochen nach meiner Geburt das erste Mal sah, war er von meinen großen blauen Augen hingerissen. Und weil in Wien die Augen ‚Guckerln‘ heißen, nannte er mich mit Kosenamen ‚Kuckie‘. Mein Vater, der ein Jahr zuvor nach 18 Jahren Exil aus den USA zurückgekehrt war, protestierte, denn im Amerikanischen steht ‚cooky‘ auch für ‚leichtes Mädchen‘. Aus ,Kuckie’ wurde ‚Kiki‘.“ Zu dieser Zeit hatte ihr Vater gerade zusammen mit seinem alten Weggefährten Robert Gilbert an einem musikalischen Lustspiel gearbeitet, das den Titel trug: „Kiki vom Montmartre“. Eines der vielen Bilder aus ihrem Privat­archiv zeigt „Kiki auf dem Montmartre, 1957“, mit ihrem Vater. Sie trägt eine modische Kindersonnenbrille.

Live-Musik ist bei den Heymanns täglich erklungen: „Mit seinen Melodien war er die Zentralsonne meiner Kindheit. Vieles aus diesen kostbaren Jahren mit meinem Vater ist mir klar in Erinnerung. Es sind Fenster, die ich beliebig öffnen kann. Dann sehe ich kleine Szenen, Bilder oder Geschichten … mit und ohne Ton!“ Und diese erzählt sie uns hier in ihrem kindlich-sanften Tonfall. Ihr Vater starb 1961, als sie achteinhalb Jahre alt war, aber er scheint  immer noch gegenwärtig zu sein. So gegenwärtig wie seine Schlager, die zum kulturellen Gedächtnis Deutschlands gehören. „Sie kennen mich nicht, aber sie haben schon viel von mir gehört“, hat er sich nach seiner Exilzeit im Rundfunk vorgestellt, und dann hat er auf dem Klavier einige seiner Melodien angestimmt. Lieder, die die glückliche Kindheit Kikis orchestrierten. In der auch Friedrich Hollaender, der eins­tige Gefährte aus „Schall & Rauch“-Tagen herumspukte: „Als ich Onkel Friedl das erste Mal wahrnahm, war ich sehr fasziniert: So einen kleinen Erwachsenen hatte ich noch nie gesehen – und gleichzeitig so ein altes trauriges Gesicht.“ Wie einen traurigen Clown hat sie ihn gesehen. Jahre später hat Hollaender sich selbst so inszeniert, in seinem Chanson von der „Spötterdämmerung“: „Clown, du hast deine Stellung verloren ...“ Weil der kleine Onkel Friedl aber nie mit ihr gespielt hat, sind Kiki und er nie Freunde geworden. Hollaender war lieber am Klavier gesessen. Dagegen war ihr „bester Kunde“ in ihrem Kaufladen ein Mann, der zu den besten Drehbuchautoren der späten Weimarer Republik gehört hat: Franz Schulz. „Die drei von der Tankstelle“ gehörte zu seinen größten Erfolgen. Kiki erinnert sich: „Er kaufte nicht nur viel bei mir ein, sondern machte auch Bestellungen, so dass ich das Sortiment meines Kaufladens stets erweiterte und dabei auch Waren auswechselte.“ „Delikatessen“ hat eine andere Schulz-Komödie geheißen.

Gast im Hause Heymann war auch der berühmte Filmkomponist Erich Wolfgang Korngold, der „wie eine Schildkröte“ Klavier spielen würde, wie ihr Vater gesagt hat. Kiki war sehr aufgeregt, denn sie hat sich eine Schildkröte in Menschengestalt vorgestellt.Durch Kinderaugen betrachtet, öffnet sich ein Panoptikum, das bevölkert ist mit Exilanten wie Mischa Spoliansky oder Walter Mehring und einstigen Stars der Weimarer Republik wie Lilian Harvey oder Hans Albers. Im Zentrum: ihr geliebter Vater, der in ihren Träumen immer noch so lebt wie ihre Mutter. So ist dieses Büchlein eine einzigartige Hommage geworden. Aus der Perspektive eines „kleinen Mädchen“ zeichnet sie ihr „Paradies der Kindheit“.

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