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Die große Leere: Für Freiberufler im Musikbereich brechen schwierige Zeiten an. Foto: Martin Hufner
Die große Leere: Für Freiberufler im Musikbereich brechen schwierige Zeiten an. Foto: Martin Hufner
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Das Netz als Ausweichspielstätte

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Musikleben im Shutdown-Modus: Perspektiven und Lösungsansätze für Freischaffende
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Die „Ode an die Freude“ aus dem Fens­ter spielen, „Bleibt zuhause“-Songs in den Sozialen Medien posten, einsame Hauskonzerte fürs Netzpublikum geben, Online-Petitionen aus dem Boden stampfen oder einfach nur die Zeit zum Üben und Komponieren nutzen: Musikerinnen und Musiker gehen mit der Corona-Krise vielfältig und kreativ um. Gemeinsam ist ihnen, vor allem den Freiberuflern: die Lage ist extrem angespannt, die wirtschaftliche Perspektive dramatisch.

Unzählige Festivals und Konzerte wurden verschoben oder gleich ganz abgesagt. Viele Musiker sehen ihre Existenz insbesondere deswegen bedroht, da Konzerte ihre Haupteinnahmequelle darstellen. Was den Rock- und Pop-Bereich betrifft, so greift der gut gemeinte Aufruf, seine Lieblingskünstler einfach durch intensives Streaming ihrer Musik zu unterstützen, zu kurz: Zwar ist das Musikstreaming mittlerweile zum Milliardengeschäft geworden, der Anteil der Künstler am Gewinn ist aber nach wie vor zu gering, um davon leben zu können. Spotify beispielsweise zahlte im Jahr 2018 durchschnittlich knapp vier Dollar für 1.000 Streams aus. Dieser Wert kann variieren, denn das Ausschüttungssystem funktioniert laut Eigenauskunft wie folgt: Alle nationalen Streams werden gezählt und der Anteil des Künstlers an diesen festgehalten. Von diesem Prozentsatz werden dann je nach Vertrag Label und Autoren bezahlt und natürlich hat Spotify seinen eigenen Anteil daran. Für die Künstler bleibt da meist nicht viel vom Kuchen übrig.

Alternative Streaming: Chancen und Grenzen

Das Kölner Gürzenich Orchester machte den Anfang, viele Orchester, Rundfunkanstalten, Konzert- und Opernhäusern mit entsprechender Infrastruktur folgten: Sie boten komplette Konzerte und Aufführungen als Livestream im Internet an oder ermöglichten Zugriff auf vorhandene Archive. Auch einzelne Künstler und Bands wichen kurzfristig auf diese Möglichkeit aus. Bald wurden allerdings kritische Stimmen laut, die vor einer Gratis-Kultur im Internet warnten und darauf hinwiesen, wie aufwändig und kostspielig die hochwertige Live-Übertragung eines Konzerts im Netz sei. Bei Geister-Auftritten wie jenem von Popstar James Blunt in der Elbphilharmonie war beispielsweise eine große Firma als Sponsor beteiligt.

Das Konzert-Streaming – live oder „on demand“ – als kurzfristige Einnahmequelle in Coronazeiten kommt für weniger prominente Musiker und Ensembles also wohl nur auf der Basis von Crowdfunding in Frage. Wohl dem, der über seine Webseite bereits die Möglichkeit hat, einerseits Tonträger und andere physische Produkte, etwa aus dem Merchandising-Bereich, andererseits digitale Inhalte zu verkaufen. Eine Möglichkeit für eine relativ unkomplizierte Umsetzung ist zum Beispiel die Plattform Patreon.com. Hier können Künstler ein Profil erstellen und verschiedene Inhalte kostenpflichtig zur Verfügung stellen. Die Besonderheit: Das Bezahlmodell funktioniert monatlich, wie bei einem Abo. Der Künstler kann über den Monat verteilt immer neue Inhalte veröffentlichen, auf die die Abonnenten dann zugreifen können. Es ist auch möglich, verschiedene Abstufungen eines Abos einzurichten. Der Autor hat in Vorbereitung für diesen Artikel eine solche Künstlerseite abonniert, um sich ein Bild von diesem Bezahlmodell zu machen: Der Künstler bot zwei Preisklassen an, sechs oder zwölf Euro pro Monat. Nach Abschluss des Abonnements war der Zugriff auf alle vom Künstler angebotenen Inhalte, darunter frei verfügbare Samples und Presets, sowie der Zugang zu einer Online-Community aus Abonnenten möglich, die sich untereinander austauschen und mit dem Künstler Kontakt aufnehmen konnten. Im Laufe einer Woche wurden dann weitere interessante Inhalte zur Verfügung gestellt, darunter bisher unveröffentlichte Musik und kleine Videos des Künstlers.

Im klassischen Bereich bietet die Geigerin Julia Fischer auf ihrer Website seit einiger Zeit ein solches Abonnement-Modell an: Zahlende Nutzer erhalten exklusiv Zugang zu bestimmten neuen Aufnahmen und Posts der Künstlerin und bekommen auch die Möglichkeit, sie hinter der Bühne zu treffen oder Proben zu besuchen.

Ob das Internet auch für abgesagte oder von Absage bedrohte Wettbewerbe eine Lösung sein könnte, wo Videobewerbungen bereits üblich sind, bleibt abzuwarten – entscheidend ist auch hier die Übertragungsqualität. Davon können zahllose Musik­pädagog*innen ebenfalls ein Lied singen, die angefangen haben, ihren Unterricht via Sype oder mithilfe anderer Webanwendungen anzubieten. Matthias Krebs von der Forschungsstelle Appmusik der Universität der Künste Berlin hat Mitte März einen Übersichtsartikel zum Thema Fernunterricht eingerichtet, der laufend erweitert und mit Kommentaren, Erfahrungsberichten und Tipps von Nutzer*innen ergänzt wird (http://forschungsstelle.appmusik.de). Verwiesen sei hier auch auf die Artikel „Unterricht in Off- und Onlinewelten“ (nmz 3/2020) und „Wolken, Loops und Intervalle“ (nmz 2/2020) in den beiden letzten Ausgaben der nmz.

Hilfe aus dem Publikum

Und was kann das zuhause bleibende Publikum tun, freischaffende Künstler, kleine Veranstalter und Clubs zu unterstützen? Eine einfache und wirksame Maßnahme, zu der schnell zahllose Aufrufe kursierten, ist es, sich bereits bezahlte Konzert- oder Festivaltickets nicht erstatten zu lassen. Neben direkten Zuwendungen kann man auch allgemeinen Spendenaufrufen folgen, wie sie zum Beispiel die Deutsche Orchesterstiftung organisiert hat (siehe Seite 2).

Klar ist aber auch, dass ohne finanzielle Sofortmaßnahmen von staatlicher Seite, wie sie in einigen Bundesländern schon angelaufen und auch auf Bundesebene in Aussicht gestellt sind (sie­he Seite 2), viele Selbstständige den Shutdown des Musiklebens finanziell nicht lange werden überleben können. Und wenn diese Krise hoffentlich bald überstanden ist, wird viel grundsätzlicher über die prekäre wirtschaftliche Lage der Freien Szene nachzudenken sein. Ihre gemessen an ihrer Bedeutung für das Kulturleben dramatische Unterfinanzierung ist in diesen Tagen schmerzlich zutage getreten.

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