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Elitenförderung im besten Sinne

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Zum 44. Kammermusikkurs „Jugend musiziert“ vom 28. Juli bis 10. August in Trossingen
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Klatschen, Knurren, Hecheln – der ganze Körper ist im Einsatz, obwohl es doch eigentlich nur um Schuberts Oktett in F-Dur geht. Die drei Bläser des Oktetts, die 16-jährige Klarinettistin Marion Minges aus Schwäbisch-Gmünd, David Spranger, 20, Fagottist aus Weimar und der 17-jährige Hornist Felix Kieser aus Rosdorf sitzen konzentriert und sichtbar motiviert vor ihrem Dozenten, dem Klarinettisten Martin Spangenberg, Professor an der Musikhochschule Weimar, und ahmen dessen Bewegungen nach; besser gesagt, sie empfinden sie und verleihen den Phrasen des Stückes dadurch ihren ganz eigenen Ausdruck. 36 junge Leute aus allen Teilen Deutschlands haben sich zum 44. Bundes-Kammermusikkurs „Jugend musiziert“ in der Bundesakademie Trossingen zusammengefunden, um sich dort 14 Tage lang intensiv mit Werken der Kammermusik aus 3 Jahrhunderten auseinanderzusetzen.

Ihre Mitschüler sind längst in den Ferien und lassen die Beine baumeln. „Wenn ich nicht hier wäre, würde ich mich vermutlich an ei­nem See in Norwegen langweilen“, sagt die 18-jährige Franziska Scheffler aus Chemnitz lachend. Ähnlich enthusiastisch äußern sich auch die anderen Teilnehmer. Hier will niemand abhängen, hier will jeder etwas Neues entdecken, gestärkt durch Erkenntnis nach Hause kommen, Kraft schöpfen, indem er sich in die Arbeit am Instrument und der angebotenen Literatur vertieft. Dafür braucht es Zeit, Diskussion und viel Spielpraxis, die dieser Kurs in möglichst großem Umfang zur Verfügung stellen will.

Als das „Event“ noch nicht geboren war

Schon die Gründung des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ war ein auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit angelegtes Projekt – von „Event“ sprach damals noch niemand. Dazu gehörten nach der Wettbewerbsphase Fördermöglichkeiten für die eben erst zu Bundespreisträgern ernannten Jugendlichen. Eine wachsende Zahl von Partnern sorgte für Konzertangebote für Solisten und bestehende kleine Kammermusik-Ensembles, es fehlte den Solisten jedoch die Möglichkeit, Kammermusikliteratur kennen zu lernen, sie gemeinsam mit anderen Jugendlichen und unter Anleitung erfahrener Pädagogen bis zur Konzertreife einzustudieren. Mit der Einrichtung eines bundesweiten „Förderkurses für Ensemblespiel“, wie der Bundes-Kammermusikkurs „Jugend musiziert“ beinahe 25 Jahre lang hieß, wurde diese Lücke im Jahr 1964 geschlossen.

Rund 2.500 Jugendliche haben in den 44 Jahren seit seiner Gründung die Chance genutzt, nicht nur große, sondern auch selten gespielte Werke kennen zu lernen und mit charismatischen Dozenten zu arbeiten. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Musikerleben im Nonett oder in der Besetzung Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Klavier, Vibraphon gespielt, wie im aktuellen Kurs in Pierre Boulez’ „Derive“. Mehr als 100 international renommierte Musikerpersönlichkeiten haben im Laufe der Jahrzehnte idealistisch und für ein (erschütternd) niedriges Honorar ihre Erfahrungen an die nächste Generation weitergegeben.

Auch für die aktuellen Teilnehmer ist das Renommee der Dozenten ein Grund für die Anmeldung zum Kurs. „Mein Lehrer fragte mich nach dem Ende des Kurses richtiggehend aus, wie die Dozenten mich an die Werke herangeführt haben, welche neuen Stücke ich kennen gelernt habe“, sagt der Klarinettist Georg Paltz aus Blieskastel.

Er nimmt zum zweiten Mal am Kammermusikkurs teil und ist fest entschlossen, sich auch im nächsten Jahr wieder anzumelden. Einige von ihnen sind bereits zum zweiten oder dritten Mal dabei, Bedingung ist ein Preis im Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, dann wird eine Einladung ausgesprochen.

Annäherung an die Gruppe

Die Teilnahme beginnt also mit einem Erfolg im Partnerprojekt „Jugend musiziert“ – und mit Mut: „Als ich hierher kam, musste ich erstmal meine Scheu überwinden, um mich auf die anderen einzulassen“, beschreibt die Klarinettistin Lena Veltkamp aus Goch das Eintauchen in den Kammermusik-Orbit. In der Tat bewerben sich in sehr geringem Maße feste Ensembles, die meisten kommen als Solisten und lernen ihre Ensemblepartner erst vor Ort kennen und studieren dann in unterschiedlichen Ensemblebesetzungen in den 14 Kurstagen bis zu 4 Werke ein.

Wer schon einmal versucht hat, aus sechs spontan bereitwilligen Ballsportlern eine spielfähige Volleyballmannschaft zu machen, weiß ungefähr, wie viel Kommunikationsleistung alleine das gemeinsame Agieren in eine Richtung erfordert. Umso mehr, als im Falle der Kammermusik ja kein Sieg über das Klavier-Quintett von Johannes Brahms davongetragen werden soll, sondern der Weg das Ziel ist, der Notenwert ebenso eine Rolle spielt wie Ausdruck, Intonation, Agogik. „Trotzdem“, so die Pianistin Magdalena Ernst, „sind die Konzerte, die am Schluss des Kurses stehen, noch mal ein echter Kick: Haben wir’s bis zur Präsentation vor Publikum drauf?“

Prof. Martin Spangenberg, international gefeierter Klarinettist, ist selbst ein Gewächs des „Integrierten Fördermodells ‚Jugend musiziert‘“. Als 16-jähriger Schüler und mehrfacher 1. Bundespreisträger besuchte er den Kammermusikkurs, war Mitglied im Bundesjugendorchester, die Anschlussförderung im Deutschen Musikrat für symphonische Musik. Der heute 43-Jährige ist künstlerischer Leiter des aktuellen Kammermusikkurses, die Erinnerung an die ersten Schritte ins musikalische Profilager prägen seinen Unterricht ebenso wie die Erfahrungen auf den Konzertbühnen der Welt. Dem musikalischen Nachwuchs vor Ort begegnet er auf Augenhöhe: „Der Kammermusikkurs ist Elitenförderung im besten Sinne: Jeder, der hierher kommt, hat auf seinem Instrument schon

enorm viel geleistet. Wir Dozenten wollen in den jungen Musikern einerseits den Stolz auf die eigene Leistung wecken, andererseits möchten wir Perspektiven für ihre musikalische Entwicklung aufzeigen.“

Spangenberg und seine Dozenten-Kollegen arbeiten intensiv mit einzelnen Teilnehmern und in verschiedenen Besetzungen. Vermittelt wird auch, wie man sich eine Spielpartitur einrichtet, wie man schwere Stücke allein und in der Gruppe übt, auch ohne einen Lehrer.

Das Kollegium gibt gerne zu, dass es zu den Besonderheiten des Kurses zählt, sich in solcher Entspanntheit mit den Stücken und den Menschen um sie herum auseinander zu setzen. Neben Spangenberg sind dies der Bratschist Hans Joachim Greiner, der Cellist Peter Hörr, die Geigerin Elisabeth Kufferath, der Hornist Szabolcs Zempléni, der Pianist Herbert Schuch und der Schlagzeuger Bernhard Wulff, weltweit konzertierend tätig, darüber hinaus renommierte Dozenten an den Musikhochschulen in Berlin, Leipzig, Detmold, Weimar oder Freiburg. Die Bundesakademie in Trossingen tut das Ihre dazu, den Kurs zu einer gelungenen Veranstaltung zu machen. Dennoch ist nicht alles eitel Sonnenschein.

Ohne Geld keine Kammermusik

Hans Joachim Greiner, langjähriger Dozent und Mitglied der so genannten „Leitergruppe“ des Kammermusikkurses, mahnt die schwindende Aufmerksamkeit der Geldgeber und auch des Trägers, dem Deutschen Musikrat, für die kammermusikalische Intensivarbeit an. „Einige Teilnehmer werden durch den Besuch des Kurses ermutigt, eine Laufbahn als Profimusiker einzuschlagen, die meisten werden der Musik zumindest ein Leben lang eng verbunden bleiben. Sie sind das Konzertpublikum von morgen und damit die wichtigsten Adressaten für alle Musiker, die künftig die Bühnen betreten werden. Mit den bisherigen finanziellen Mitteln ist die Kursarbeit hier auf dem gewünschten hohen Niveau auf Dauer nicht möglich. Wenn wir ein vielfältiges Musikleben erhalten wollen, um das uns die Welt beneidet, muss dafür gesorgt werden, dass die kammermusikalische Ausbildung von Musikern bereits im Schüleralter angemessene finanzielle Aufmerksamkeit erfährt.“ Martin Spangenberg ergänzt: „Aufgrund der geringen Mittel erreichen wir mit unseren Werbemaßnahmen zu wenige Interessenten, gerade bei den „kritischen“ Instrumenten wie Fagott, Bratsche oder Kontrabass. So wäre die Einrichtung eines Förderkurses wünschenswert, der im Spätherbst noch einmal ausgewählte Ensembles für drei Tage versammelt, der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ selbst wäre die ideale und abschließende Bühne für die Präsentation der Ergebnisse vor einem breiten Publikum.“

Mit drei öffentlichen Konzerten schließt der Kammermusikkurs traditionell, das letzte Konzert findet an einem Sonntag statt. Ab Montag werden Förderer für den Kammermusikkurs gesucht, damit die nächste Sonntagsrede zu Recht gehalten werden kann!

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