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Ein Foto. Foto: Hufner
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Erfolgsgeschichte oder Trauerspiel?

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15 Jahre JeKi und JeKits: Ein Referat von Ute Völker
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Herzlichen Glückwunsch an die JeKits-Stiftung! Wer hätte 2003 gedacht, dass das anfänglich noch als Projekt bezeichnete Musikalisierungsangebot „JeKi“ (Jedem Kind ein Instrument) in Grundschulen mit dem Schwerpunkt „erste Erfahrungen am Instrument“ sich als ein, zunächst nur im Ruhrgebiet und jetzt in ganz NRW, bedeutendes Musikangebot etablieren wird und aus dem Musikschul- und Grundschulalltag nicht mehr wegzudenken ist.

Mittlerweile haben tausende Schülerinnen und Schüler ihre ersten musikalischen Schritte innerhalb von „JeKits“ (Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen) gemacht. Bis zu 80% der Kinder beginnen über JeKits das „Instrumentalspiel“ und jeder Politiker weiß, dass es sich bei JeKits nicht um eine neue politische Gruppierung, sondern um ein Musikangebot für Grundschüler handelt. Kein anderes Musikalisierungsangebot hat die Musikschullandschaft in NRW so tiefgreifend verändert wie JeKits.

Als Musikerin und Musikpädagogin freue ich mich über jedes Projekt, das Kindern und Jugendlichen ermöglicht, Musik nicht nur aus der Konserve zu erleben, sondern auch oder gerade durch unmittelbare Erfahrungen in all ihren Dimensionen erfassen zu können. Als Lehrkraft der ersten Stunde möchte ich die Erfahrungen nicht missen, die ich vor allem in Schulen mit hohem Anteil von Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten machen konnte – eine Schule fürs Leben. Als Gewerkschafterin diente und dient JeKits mir bis heute zum Studium bildungspolitischer und sozialer Fragen, zeigt sich gerade doch hier an dem so „sozial“ daher kommenden Angebot, wie tief die Gräben zwischen arm und reich, zwischen bildungsnah und bildungsfern und auch zwischen Kommunen mit und ohne Haushaltssperre sind. Musikschulträger in Städten ohne Finanzdebakel konnten eher abwägen, ob sie auf den Zug „JeKits“ mit der Aussicht auf gut subventionierten „instrumentalen Anfangsunterricht“ aufspringen oder auf andere, besser passende Kooperationsformate zurückgreifen.

Hatte die Landeshauptstadt Düsseldorf hier Wahlfreiheit, konnte vielerorts im Ruhrgebiet darüber weder diskutiert noch abgewägt werden, JeKits rettete dort einfach Musikschulen vor dem Aus und damit Lehrkräften den Arbeitsplatz. Von Politikerinnen und Politikern wird bis heute gern gesehen, wenn Unterrichtstunden aus dem sogenannten Kernbereich von Musikschulen in subventionierte JeKits-Stunden umgewandelt wurden beziehungsweise werden, entlastet das doch erheblich den Kulturetat der Kommunen.

Meines Erachtens liegt hier auch ein grundsätzliches Problem von JeKits. Nicht nur rein inhaltliche und pädagogische Fragen sind ausschlaggebend für die praktische Umsetzung, sondern zunehmend ausschließlich finanzielle Erwägungen. Das gilt auch für die dringend voranzutreibende Reformierung dieses „Bildungsprogrammes“.

Arbeitsbedingungen

Da ein Hauptanliegen von Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sind, möchte ich zunächst auch auf diesen Punkt eingehen und erst im Anschluss noch einige pädagogische Anmerkungen hinzufügen.

Als ich letzte Woche wieder in einer Grundschule hinter dem Toilettenschlüssel herrennen musste, an einer anderen Schule 10 Minuten brauchte bis ich eine Lehrkraft fand, die mir den Raum aufschloss und an der dritten mich zum wievielten Male in die Gemächer der Betreuung begeben musste, um die Kinder einzusammeln, die bei mir JeKits – Akkordeonunterricht haben, war auf meiner inneren Skala der „JeKits-Gelassenheit“ der Zeiger gefährlich in Richtung 10 (geht gar nicht) ausgeschlagen. Eigentlich JeKits-Alltag, der mich nach 15 Jahren nicht mehr stören sollte, gehört es doch zu meiner täglichen JeKits-Routine. Aber gerade diese Dinge sind es, die mich beziehungsweise uns Lehrkräfte unzufrieden und mürbe werden lassen und die Qualität des Unterrichts mindern.

Nach 15 Jahren arbeiten wir zum größten Teil immer noch unter den Arbeitsbedingungen der ersten Stunde. Vergleiche ich die Beschwerden, die uns zu Beginn dieses Projektes erreichten mit denen von heute, bin ich überrascht, dass immer noch die gleichen Dinge auf der Liste stehen:

  • Die unzureichende Ausstattung der Unterrichtsräume. Das beginnt mit zugemüllten Klassenräumen, Räumen, die zu klein oder nicht passend für den Unterricht sind und setzt sich mit fehlendem Inventar oder Inventar, das erst mühsam jede Woche von einer Etage, von einem Klassenraum in den nächsten geschleppt werden muss, fehlenden Notenständern, unpassenden Stühlen, fehlender Schlüsselgewalt fort. Und die Liste ließe sich noch fortsetzen.
  • Schulen, an denen JeKits nur rudimentär integriert bis „eigentlich nicht gewollt“ ist. Es gibt dort keine Absprachen zwischen JeKits-Lehrer/-innen und Grundschullehrer/-innen. Die JeKits-Kräfte sind quasi Lehrerkräfte zweiter Klasse, die kein Recht auf einen Schlüssel haben, die eigentlich nur den Schulbetrieb stören, in- dem sie die Klassenräume besetzen und in der Stundenplangestaltung und der Betreuung in den offenen Ganztagsschulen mitberücksichtigt werden müssen. Auch hier ließe sich die Liste fortsetzen.
  • Verminderung des Lohns durch zusätzliche, jedoch oft nicht entlohnte Arbeit, wie der Teilnahme an Elternabenden, der Mitgestaltung von Schulfesten, Weihnachtskonzerten, der erwünschten Instrumentenvorstellung im 1. JeKits-Jahr durch die jeweiligen Fachlehrer/-innen. Fahrtzeiten sind keine Arbeitszeiten und werden nur zum Teil oder gar nicht erstattet. Auch die vielen Ortswechsel an einem Tag, durch fehlende anschließende Unterrichtsangebote verursacht, mindern das Einkommen trotz erhöhten Aufwands.
  • Fortbildungen, die am Wochenende und in der Freizeit der Lehrkräfte stattfinden und deren Kosten nicht von jeder Musikschule übernommen werden. Insbesondere freiberufliche Lehrkräfte haben hier das Nachsehen.
  • Mit garantierten 25 Euro pro Unterrichtseinheit ( 2. JeKits-Jahr instrumental) für freiberufliche Mitarbeiter/-innen liegt das Honorar im Bereich der EG 9/ Stufe 3 der Vergütungstabelle des TVöD (VKA). Honorarerhöhungen, die den Tariferhöhungen und Aufstiegen durch die steigenden Berufsjahre der tariflich Beschäftigten entsprechen, werden diesen Lehrkräften jedoch nicht zugestanden. Freiberufliche JeKits-Lehrer/-innen der ersten Stunde verdienen auch nach 15 Jahren noch immer dasselbe Honorar.
  • Und zu guter Letzt noch das leidige Thema der geteilten Dienste. Oft lässt sich der JeKits-Unterricht wunderbar in den Grundschulalltag einfügen, aber für die Musikschullehrkraft kann dies ein Desaster sein. Zwischen dem Unterricht am Morgen in der Grundschule und dem Kernunterricht an der Musikschule können bis zu 3 Stunden liegen und nicht jede Lehrkraft wohnt so nah, dass sie nach Hause fahren könnte, um dort den Unterricht vorbereiten oder üben zu können.

An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen, dass ver.di JeKits oder auch andere Schulkooperation nicht grundsätzlich ablehnt, im Gegenteil. Ermöglichen uns diese Kooperationen doch zur Zeit überhaupt noch die Ausübung unseres Berufs. Angesichts offener Ganztagsschulen und Stundenplänen allgemeinbildender Schulen bis weit in den Nachmittag, begrüßen wir diese Musikalisierungsangebote ausdrücklich. Allerdings dürfen diese nicht auf Kosten der Kolleg/-innen oder zu Lasten der gewünschten und geforderten Qualität des Unterrichts finanziert werden.

Wir wünschen uns einen Dialog, der diese Perspektive mit einbezieht und bei dem auf Augenhöhe miteinander nach Lösungen gesucht wird, für die uns anvertrauten Kinder, deren Eltern und selbstverständlich auch für die Lehrkräfte, denn unzureichende, unangemessene und unbefriedigende Arbeitsbedingungen machen mürbe und krank.

Zum Inhaltlichen

Zum Schluss noch einige Gedanken und Fragen zur inhaltlichen Ausrichtung von JeKits. Kernstück des JeKits-Programms ist das 1. Jahr, das kostenfrei und verpflichtend für alle Schüler/-innen ist. Erklärtes Ziel der JeKits-Stiftung ist die musikalische Grunderziehung unter Einbeziehung der „Prinzipien der Klangerzeugung“. Aber welche musikalischen Inhalte und musikalische Erfahrungen können in 45 Minuten wöchentlich wirklich gesetzt und vertieft werden, wenn die Instrumentenvorstellung spätestens bis zu den Osterferien aus logistischen Gründen abgeschlossen sein muss? In der Regel dauern Früherziehungsangebote oder Angebote im Bereich der allgemeinen Musikerziehung mindestens 60 Minuten plus Regiezeit, um inhaltlich sinnvoll arbeiten zu können. Natürlich haben sich die JeKits-Kolleg/-innen an das „Tempo“ gewöhnt und ihre Unterrichtsinhalte darauf hin abgestimmt. Aber kann da noch von tiefgehenden ersten musikalischen Erfahrungen die Rede sein oder sollte nicht eher von einem „Schmalspurprogramm“ gesprochen werden?

Ebenso lässt sich das Tandem aus Grundschul- und Musikschullehrkraft hinterfragen. Bedeutet nicht Tandemunterricht, dass beide Teile gemeinsam den Unterricht gestalten und auch vorbereiten? Soweit ich weiß, ist dies nicht im Konzept vorgesehen, oder habe ich etwas übersehen? Die Grundschullehrkraft sitzt in der Regel mit im Unterricht und beaufsichtigt die Kinder. Aber ein inhaltlicher Austausch findet nicht statt. Ist der Begriff Tandem da nicht Augenwischerei und impliziert was anderes? Wie Tandem aussehen kann oder sollte, zeigen die Bläser- oder Streicherklassen in den weiterführenden Schulen.

Fragen zum Ensemblespiel

Für das 2. JeKits-Jahr, das Instrumentaljahr, heißt es laut JeKits-Stiftung: „In JeKits 2 wird aufbauend auf die Inhalte von JeKits 1 das gemeinsame Musizieren im „JeKits-Orchester“ weitergeführt. Unterstützt wird das Spiel im JeKits-Orchester durch zusätzlichen Instrumentalunterricht in Kleingruppen. Die Kinder lernen, ihr Instrument in den Prozess des gemeinsamen Musizierens einzubringen.“

Die erste Frage die ich stelle: welches gemeinsame Musizieren wird im Orchester weitergeführt? Das erste Jahr beschäftigt sich so intensiv mit der Vorstellung der Instrumente und einer musikalischen Grundlagenschaffung, dass der Begriff „gemeinsam Musizieren“ doch etwas überhöht an dieser Stelle erscheint. Gemeint ist hier wohl eine weitere Musikalisierung.

Und bei dem Wort Orchester bin ich auch schon bei einem weiteren sehr kritisch und kontrovers diskutierten Punkt.

Die Idee des Ensemblespiels von Anfang an ist verständlich, aber wer einmal als Lehrkraft in solch einem Orchester gestanden hat, dem erschließt sich sehr schnell die Problematik. Sich in einem derart heterogenen Ensemble zu Recht zu finden oder zu hören, fordert von den Kindern höchste Konzentration und Sicherheit auf dem Instrument. Diese Anforderung kann jedoch kaum ein Anfänger schaffen. Und als Gitarrist zwischen oder vor Hörnern und Saxophonen zu sitzen und sich dabei nicht einmal selbst hören zu können, ist ebenso demotivierend, wie als Akkordeonist ständig zu hören, du bist zu laut. Gemeinsam musizieren von Anfang an, das geht sehr gut und erfolgreich, und zwar in Instrumentengruppen. Dafür gibt es bereits gut ausgeklügelte Konzepte.

Auch die Gruppenstärke von 6 Kindern im Anfangsunterricht muss kritisch hinterfragt werden. Wie soll eine Entwicklung bei jedem Einzelnen überprüft, wie der Wunsch der Kinder, auch einmal alleine vorzuspielen, erfüllt werden oder eine individuelle Zuwendung stattfinden, wenn immer mindestens 5 Kinder zum „Nichtstun“ verdammt sind? Musik ist einfach laut und kann nicht, wie zum Beispiel bei einer Rechenaufgabe, in „Stillarbeit“ eigenständig weiter vertieft werden. Auch hier gilt: der Großteil der Lehrkräfte hat sich mit dem Mangel arrangiert und gelernt, sich von frustrierenden Ergebnissen nicht mehr frustrieren zu lassen.

Gerade in Schulen mit Kindern aus bildungsfernen Schichten stellt sich die Frage, welchen Sinn hat der Instrumentalunterricht, wenn die Kinder nicht die Möglichkeit haben zu üben und es keinerlei Unterstützung von zu Hause gibt? Sicherlich sind Schulen, in denen die Instrumente nach der JeKits-/ Instrumental-/Ensemblestunde wieder eingeschlossen werden, eher die Ausnahme. Aber es zeigt eine Problematik auf. Wäre an dieser Schule nicht ein anders angelegtes Musikalisierungsprogramm sinnvoller? Wieso kann Gesang und Instrument nicht gemischt werden? Wieso kann nicht ein umfassendes Angebot mit Tanz/Singen und Instrumenten angeboten werden? Auf meiner Liste stehen noch viele Fragen, wie zum Beispiel nach dem Umgang mit heterogenen Gruppen und „verhaltensoriginellen“ Kindern, die die Gruppe sprengen oder auch danach, wie individuelle Förderung insbesondere von Kindern aus sozialschwachen Familien in diesem Programm stattfinden soll und kann. Diese sind oft die „Looser“. Sie erfahren beim Üben zu Hause keinerlei Unterstützung, kommen auf dem Instrument nicht weiter, langweilen sich und stören die anderen… der gewohnte Kreislauf beginnt.
JeKits weiterentwickeln

Es reicht einfach nicht, ein Bildungs-angebot zu machen und einem Kind einmal die Woche ein Instrument in die Hand zu drücken. Um wirklich auf diesem Gebiet eine Chancengleichheit herstellen zu können, müsste es kleinere Gruppen und zusätzliche Übe- oder Förderstunden für diese Kinder geben. Aber … das kostet Geld und damit bin ich wieder am Anfang meiner Rede ...

Gern würde ich mit Vertretern der JeKits-Stiftung und anderen Lehrkräften darüber diskutieren, wie denn ein sinnvoller JeKits-Unterricht aussehen müsste. Gern würde ich zusammen mit Praktikern vor Ort, den „gemeinen“ Musikschullehrkräften und den Grundschullehrer/-innen, und Theoretikern Konzepte entwickeln, die in der Praxis ausprobiert, evaluiert und anschließend so lange modifiziert werden, bis es passt. Aber das kostet Geld! Und das sollte es den Zuständigen für die Entwicklung der Kinder, für die Erhaltung kultureller Praktiken, die für eine gesunde Gesellschaft unabkömmlich sind auch wert sein.

Ute Völker, Vorsitzende ­der ­­ver.di-Landesfachgruppe Musik in Nordrhein-Westfalen, anlässlich des Jubiläums der JeKits-Stiftung im Rahmen einer Mitgliederversammlung

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