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Experimentieren, Studieren und Gestalten

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Anfang Oktober fand in Freiburg das Wochenende der Sonderpreise (WESPE) statt
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„Da kommen die ersten Teilnehmer!“ Seit 2008 geht dieser Ruf dem Team der Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ zweimal pro Jahr über die Lippen. Beim achttägigen Bundeswettbewerb reißt der fröhlich-lärmende Strom eintreffender Teilnehmer etwa fünf Tage lang nicht ab. Anfang Oktober in Freiburg, kamen sie alle auf einmal, nicht weniger fröhlich: zu WESPE, dem Wochenende der Sonderpreise, das vom 1. bis 3. Oktober in der Musikhochschule Freiburg stattfand.

Vor sich her rollend: eine Harfe, die ersten von weiteren noch auszuladenden Teilen eines Marimbaphons, vor sich her tragend: einen Kontrabass, ein Akkordeon, unter dem Arm die Noten (Pianisten!), auf dem Rücken das Cello, das Horn, die Gitarre, und einer deklariert einen hölzernen Küchenstuhl als sein Instrument!

So trafen am Freitag, 1. Oktober, die 120 Musikerinnen und Musiker in Freiburg ein, um nach einer kurzen Begrüßung in den Einspielzimmern der Musikhochschule zu verschwinden.

„Jugend musiziert“ hatte zum dritten Mal alle 1., 2. und 3. Bundespreisträgerinnen und -preisträger des vorausgegangenen Bundeswettbewerbs zum Wettbewerbsfestival WESPE eingeladen. „Wochenende der Sonderpreise“ lautet das Akronym in voller Länge. Die kooperierenden Partner hinter WESPE sind der Deutsche Musikrat und „mehrklang“, wiederum gefördert durch das Netzwerk Neue Musik. Was wurde geboten und worin besteht vor allem der Unterschied zum großen Bruder Bundeswettbewerb?

„Im Bundeswettbewerb konntet Ihr Eure Vielseitigkeit zeigen, denn für Euer Wertungsspiel vor den Jurys waren Werke verschiedenster Epochen gefordert. Für Euren Vortrag seid Ihr dort mit einem Preis ausgezeichnet worden, er ist die Eintrittskarte zu diesem besonderen Wochenende in Freiburg.

Bei WESPE geht es nun darum, die musikalisch-künstlerischen Fähigkeiten, die Ihr eindrücklich bewiesen habt, noch mehr in den Dienst einer Sache zu stellen, die viel mit Forschen und Entdecken, mit neuen Wegen zu tun hat. Auch das gehört zur Kunst und sollte in der Musikpraxis noch eine größere Rolle spielen – hier geht es um Zukunftschancen, auf die „Jugend musiziert“ Euch aufmerksam machen möchte.

In sechs Kategorien werdet Ihr uns Werke vorstellen, die nicht schon tausendmal im Wettbewerb gespielt wurden, die auch in der Musikschule und in der Hochschule nur selten auf den Programmen stehen. Stücke, die von Euch entdeckt oder überhaupt erst geschrieben wurden. Wir wollten Euch zum Experimentieren, Studieren, Ausprobieren, Gestalten anregen und freuen uns sehr, dass Ihr diese neue Herausforderung angenommen habt.“ So formulierte es der Jury-Vorsitzende von „Jugend musiziert“, Prof. Reinhart von Gutzeit, im Programmheft für WESPE 2010. Und um dem Forscherdrang, der Kreativität einen zusätzlichen Anreiz zu verschaffen, stifteten 13 Institutionen Geldpreise im Gesamtwert von 27.000 Euro.

Beste Interpretationen der besten Interpreten

Mitmachen kann man bei WESPE, wenn man, wie eingangs erwähnt, einen Bundespreis in der Tasche hat. Sechs Kategorien bietet WESPE den Preisträgern am Freiburger Wochenende an. Drei von ihnen sind „Einladungs-Kategorien“, man kann daran nur auf Empfehlung der Bundesjury teilnehmen, die anderen drei sind „offene“ Kategorien, in denen man sich in vollkommen neuen Besetzungen und mit neuen Werken präsentieren kann. Es sind dies: „Eigenes Werk“, „Werk einer Komponistin“ und „Werk der verfemten Musik“. Für die Teilnahme an den genannten drei ist die einzige Voraussetzung ein Bundespreis. Erhält man drei Wochen nach Ende des Bundeswettbewerbs die Einladung zu WESPE, kann man sich augenblicklich in die einschlägige Literatur der „offenen“ Kategorien vertiefen, die neuen, ausgezeichneten Bekanntschaften vom Bundeswettbewerb zum gemeinsamen Musizieren animieren oder gar ein neues Werk komponieren. Denn in jedem Fall wird nach der „besten Interpretation eines Werks“ dieser Kategorie gefragt.

Die drei „Einladungs-Kategorien“ erfordern eine Empfehlung der Bundesjury: Das „zeitgenössische Werk“, das „Werk der Klassischen Moderne“ und das „für Jugend musiziert komponierte Werk“ muss bereits, zumindest in Teilen, im Bundeswettbewerb gespielt und von der Jury mit einer besonders hohen Punktzahl bewertet worden sein. Alle diejenigen, die für die drei Einladungs-Kategorien in Frage kommen, können sich mit einem weiteren Werk auch in den „offenen“ Kategorien beteiligen, denn, von der Einladung abgesehen, sind sie ja Bundespreisträger. Bei dieser dritten WESPE geschah das erfreulich oft, voller Energie und Spielfreude:

Ada Aria Rückschloss aus Baden-Württemberg beispielsweise stellte zwei eigene Werke vor, eines in der Kategorie „Eigenes Werk“, das andere Tags darauf bei den „Komponistinnen“. Oder die Geigerin Anna Katherine Claus aus Hessen: In der Kategorie „Zeitgenössisches Werk“, einer Einladungskategorie, interpretierte sie „Misterioso“ des 1943 geborenen Komponisten Krzysztof Meyer, als Interpretin ihres eigenen Werks von 1993 hatte sie am Vortag in der offenen Kategorie „Eigenes Werk“ teilgenommen. Carina Schmieger, Sopranistin aus Freiburg, stellte verfemte Musik vor, Lieder von Erich Wolfgang Korngold und Gideon Klein, in der Kategorie „Komponistin“ interpretierte sie anschließend, zusammen mit Franziska Buttgereit, Duette von Fanny Hensel-Mendelssohn. Kraftvoll auch der Baden-Württemberger Elias Opferkuch, der in der Einladungs-Kategorie „Klassische Moderne“ mit seinen Spielpartnern am Klavier „Trio“ von Don Banks spielte und dann am Marimbaphon in der offenen Kategorie „Werk einer Komponistin“ mit Roshanne Etezadys „Disco Lemonade“ begeisterte.

Wachsender Mut zu neuen Stücken

Im dritten Jahr nimmt auch der Mut zu, im Zeitraum zwischen dem Ende des Bundeswettbewerbs und dem Anmeldeschluss für WESPE noch einmal ein ganz neues Programm einzustudieren. Zwar ist das ja nur in den drei offenen Kategorien überhaupt möglich, dort aber überwiegen neue Stücke, die sowohl in den im Bundeswettbewerb erprobten als auch in neuen Besetzungen gespielt werden (Komponistin: 17 Wertungen, davon 6 neu gewählte Werke in neuen Besetzungen, 4 neue Werke in alten Besetzungen und 7 bereits im Bundeswettbewerb gespielte Werke in den bekannten Besetzungen, „Verfemte Musik“: 5 Wertungen, davon nur 1 in alter Besetzung und mit einem bereits im Bundeswettbewerb gespielten Stück, „Eigenes Werk“: 12 Wertungen, davon 6 entweder in neuer Besetzung mit neuem Werk oder in alter Besetzung mit neuem Werk).

Eine neue Farbe trugen auch bei WESPE die Sängerinnen und Sänger der Bundeswettbewerbs-Kategorie „Gesang (Pop)“ ins Geschehen: Bereits im Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ hatten die Musiker mit ihren selbstkomponierten Songs Aufsehen erregt. In der WESPE-Kategorie „Eigenes Werk“ präsentierten sie ihre Songs eindrucksvoll und ganz im Sinne der Ausschreibung: „In der Kategorie wird die historische Einheit von Komponist und Interpret in Erinnerung gerufen, die Jahrhunderte lang die Regel in der Musizierpraxis war und die (…) ganz besonders im Pop-Bereich wieder gang und gäbe ist.“

Vor der Ergebnisbekanntgabe

Die Wertungsspiele der WESPE zogen sich über zwei Tage, für den Austausch der jungen Musiker untereinander schuf die Musikhochschule Freiburg die besten Rahmenbedingungen. An den beiden Abenden vor dem Matineekonzert am 3. Oktober begegneten sich junge ambitionierte Musiker und die Profis des Ensemble recherche auf Augenhöhe, als es darum ging, nach einem kleinen Kammerkonzert, das die Musiker gaben, Spieltechniken am eigenen Instrument auszuprobieren, die Notation der Stücke zu studieren und vom Blatt zu spielen. Der Schlagzeuger Bernhard Wulff sensibilisierte derweil die Teilnehmer seines Workshops für Wahrnehmung und Rhythmus.

Und während sich die Jury am Abend des 2. Oktober zu ihrer Schlussberatung zurückzog und das Konzertprogramm für den nächsten Morgen plante, versammelten sich die Jugendlichen im Konzertsaal der Musikhochschule zu einem urkomischen Impro-Theaterabend mit „Freistil“, dessen ohnehin unterhaltsamen Verlauf sie auch hier mit ihrer überschäumenden Kreativität mitgestalteten.

Am dritten Tag des Wettbewerbs verkündeten die Juryvorsitzenden im Konzert die Ergebnisse, und 41 Musikerinnen und Musiker konnten sich über einen Sonderpreis freuen. Eine Ergebnisliste findet sich im Internet unter www.jugend-musiziert.org/bundeswettbewerb/wespe/ergebnisse.html. 23 von ihnen präsentierten sich im Matineekonzert. Und welche Rolle spielte der eingangs erwähnte Holzstuhl? Er gehörte dem Schlagzeuger Lukas Grunert aus Rostock. Sein selbst komponiertes Stück hieß „Need no snare, have a chair“.

Und nun raten Sie mal! 

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