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Die Cembalistin Maja Mijatovic ist in der Alten und Neuen Musik gleichermaßen zu Hause.
Die Cembalistin Maja Mijatovic ist in der Alten und Neuen Musik gleichermaßen zu Hause.
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Immer wieder neuAnders

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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Musik von und mit: Lisa Streich, Ramón Gorigoitia, Maja Mijatovic, Margareta Ferek-Petrics, Sylvie Lacroix, Hannes Dufek, Peter Jakober, Hans-Joachim Hespos.

Lisa Streich war 2017 Förderpreisträgerin der Ernst von Siemens Musikstiftung und wird in der hauseigenen Portrait-Reihe mit einer Auswahl größerer Ensemblekompositionen vorgestellt. „Augenlider“ (2015) für Gitarre und Orchester ist eine dünnhäutige Klangwelt voller Andeutungen und schemenhafter Erinnerungen, in die jederzeit Attacken hineinschlagen können, die das Klingende mit Gewalt aus seinem versponnenen Traumzustand holen. Streichs Faszination für die rhythmische Poesie von Musik-Automaten manifestiert sich im Einsatz „motorisierter“ Anschlagtechniken in „Sai Ballare?“ (2013) und „Zucker“ (2016), wo Saiteninstrumente mit rotierenden Papierstreifen zum Klingen gebracht werden. Neben der gedämpften Zartheit von Streichs Personalstil nehmen sich die Gebrauchsmusikschnipsel in „Älv Alv Alva“ (2012) als überraschende Heimsuchungen der Außenwelt aus. (Kairos)

2013 erarbeitete die musikFabrik mit einer Reihe chilenischer Komponisten Ensemblestücke, die von der Siemens Musikstiftung in Auftrag gegeben worden waren. Nun sind die Ergebnisse unter dem doppeldeutigen Titel „Finis Terrae“ veröffentlicht. Mag vielleicht aus vermessen europäischer Zentralperspektive in Chile die Welt zu Ende sein, die Klänge dieser Uraufführungsmitschnitte tönen alles andere als weltfern, sondern präsentieren einen ausgesprochen sinnlichen und energetischen Einblick in die Kompositionsszene Chiles. Auffällig die Affinität zu Blech und Perkussion im Rahmen gestisch und rhythmisch impulsiver Klangverläufe: Boris Alvarado lässt dabei in „Alla“ nicht nur in schrägen Bläserglissandi und derber Perkussivität ganz bewusst Iannis Xenakis anklingen; Ramón Gorigoitia zeigt in den polyrhythmischen Verdichtungen von „Transgresiones“ (über ein Gedicht von Pablo Neruda) deutliche Jazz-Einflüsse, samt markiger Trompeten-Soli und Big Band-Einblendungen. (Da Vinci Classics)

Die Cembalistin Maja Mijatovic ist in der Alten und Neuen Musik gleichermaßen zu Hause. Eine reichhaltige Auswahl ihrer Kompositionsaufträge hat sie unter dem Titel „to catch a running poet“ eingespielt. Die Vielfalt der Zugangsweisen spricht für sich und es ist ganz erstaunlich, dass die meisten Beiträge auf die naheliegende Integration barocker Materialebenen (Sylvie Lacroix in „courante“) verzichten und versuchen, neue rhythmische, klangfarbliche und harmonische Qualitäten aus den historischen Voraussetzungen zu gewinnen. Natürlich ist da Ligetis wegweisendes „Continuum“ nicht selten im Hinter- oder auch Vordergrund (Margareta Ferek-Petrics „Istaratu“) anwesend. Aber epigonal ist das hier nie und es überwiegen sympathisch grelle und bizarre Zugriffe auf den ganz spezifischen Charakter des Instrumentes. Anspieltipps: Peter Jakobers schmutzige, brutal rhythmisierte Hybris aus Mensch und (Band-)Maschine in „dringen“ oder das stroboskopische Klanggeflacker von Hannes Dufeks „arresting images“. (Neos)

Eine ganz besondere Produktion hat der Deutschlandfunk zum 80. Geburtstag von Hans-Joachim Hespos initiiert: die Gesamteinspielung seiner Werke für Orgel, ergänzt mit Stücken für Cimbalom (Enikö Ginzery). Sie zeigen Hespos auch am Traditionsinstrument christlicher Liturgie als kantigen Klang-Extremisten, der die Bequemlichkeiten und Gewissheiten unserer Wahrnehmung in Frage stellt. Zarteste Schwebungen, gewaltige Klangmassierungen und eine Menge Phantasie dazwischen zeichnen auch Hespos’ Orgelwerke aus, die manchmal so unvorhersehbar klingen, dass ihre Ereignisse über den Hörer hereinbrechen wie ein akustisches Attentat. In „LUFTSCHATTENGELICHTE“ (2011) geht das von winzigen Bach-Partikeln aus. Eher geräuschhaft und perkussiv unter Einbeziehung der gesamten Apparatur inklusive Orgelbank geht es in „traces de ...“ (1972) und „s n s“ (1975) zu, oft nur ein tonloses Rascheln, Klappern und Knis­tern, als hätten sich Insekten der Orgel­empore bemächtigt. Das raumgreifende „- via . . . mqw“ (1992) ist mit seinen aleatorischen Abschnitten ein Paradestück für Dominik Susteck und die Klang-Möglichkeiten der Kunststation St. Peter-Orgel. Er verwandelt Hespos’ Spielanweisungs-Dichtkunst in ein imposantes Klang-Mosaik voller kontrastiver Farben, Formen und Befindlichkeiten, immer wieder „neuAnders“. (Deutschlandradio/kreuzberg records)

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