Banner Full-Size

Konzertpädagogik geht neue Wege

Untertitel
Band 1 der GMP-Reihe Musikpädagogik im Diskurs
Publikationsdatum
Body

Konzertpädagogik ist ein schillernder Begriff, der eine ganze Reihe musikpädagogischer Praktiken umfasst und bisher kaum von dem der Musikvermittlung abgegrenzt worden ist. In dem vorliegenden Tagungsband, der auf die Jahrestagung der Gesellschaft für Musikpädagogik vom 21. bis 23. Februar 2014 an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen zurückgeht, wird einer Aufgliederung des Feldes Rechnung getragen, das auf eine mittlerweile lange Geschichte zurückblicken kann, spezielle Interessensbereiche ausgeprägt hat sowie Ansätze zur Etablierung als eigene Fachdisziplin erkennen lässt.

Die  siebzehn Beiträge von Hochschullehrern, Doktoranden und Praktikern aus den Bereichen Musikpädagogik, Musikdidaktik, Rhythmik, Management und Musikvermittlung, Rezeptionsdidaktik sowie Improvisationsdidaktik werden analog zu der Gliederung der Beiträge auf der Tagung auch im vorliegenden Tagungsband entsprechend ihres jeweiligen Schwerpunktes gruppiert.

Dabei blicken die ersten vier Beiträge in historischer Perspektive auf die Konzertpädagogik. Katharina Schilling-Sandvoß gibt einen Überblick über die weite Zeitspanne konzertpädagogischer Ansätze. In Hunderterschritten rückwärts vom Jahr 2000 zu 1900 und 1800 werden dabei verblüffende Parallelen zwischen den konzeptionellen Überlegungen der verschiedenen Epochen sichtbar. Einen vertieften Einblick in ein konkretes konzertpädagogisches Konzept gibt Hans-Joachim Erwe, indem er sich der pädagogischen Seite des Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein zuwendet. Ausgehend von dem ersten Konzert aus Bernsteins Reihe „Young People’s Concert“ zeigt er einerseits, was an diesem konzertpädagogischen Ansatz neuartig war, aber auch, welche Vorbilder zum Zeitpunkt der Durchführung bereits existierten. Alexander J. Cvetko fokussiert das Erzählen von Geschichten als eine prominente konzertpädagogische aber auch musikunterrichtliche Methode des frühen 20. Jahrhunderts. Diese kennt verschiedene Ausprägungen, die neben der pädagogischen Erzählung über die zyklische Anordnung von Werken im Konzert bis zum Verfassen eigener Geschichten zu textloser Instrumentalmusik durch die Schüler reicht. Eine interessante Perspektive bietet die Frage nach der narrativen Qualität der unterschiedlichen Erzählungen. Konzertpädagogische Annäherungen der jüngeren Geschichte macht Lukas Bugiel zum Gegenstand und untersucht sie in einem diskursanalytischen Zugriff. Dabei arbeitet er eine Metaphorik der Krise des Konzerts heraus und diskutiert die Konsequenzen, die eine solche für die Konzeption konzertpädagogischer Angebote haben kann.

Konzeptionelle Aspekte

Die zweite und umfangreichste Gruppe des vorliegenden Bandes wird von Beiträgen gebildet, die sich mit konzeptionellen Aspekten der Konzertpädagogik befassen. Mit der Frage „Konzertpädagogik – Warum? Wie?“ nimmt Hans Christian Schmidt-Banse seine reichhaltigen Erfahrungen als Veranstalter und Performer von konzertpädagogischen Veranstaltungen zum Ausgangspunkt. Bezogen auf ein Beispiel aus seiner eigenen konzertpädagogischen Praxis – die Kontextualisierung des Streichtrios op. 45 von Arnold Schönberg mit historischen Informationen und Berichten von Zeitgenossen – stellt er die von ihm intendierte Wirkungsweise der zur Musik gebotenen Informationen dar. Sein Beitrag mündet in eine gegenüberstellende Begriffsbestimmung von „Konzertpädagogik“ und „Musikvermittlung“. Christoph Richter stellt die Beziehung zwischen Konzertbesucher und Musik in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die Konzertpädagogik – zu der auch die Musiker selbst gehören – hat die Aufgabe, den Hörer in seinem Prozess lebensgestaltender Bildung zu unterstützen. Dagegen fragt Daniel Mark Eberhard in seinem Beitrag kritisch, ob nicht trotz der wachsenden Zahl konzertpädagogischer Projekte ein nachhaltiger Effekt in Frage steht und es sich bei der pädagogischen Ausrichtung von Konzerten eher um ein Alibi-Unternehmen handelt. Gerade auch die kulturellen Bedürfnisse Jugendlicher finden kaum Berücksichtigung. Eberhard entwirft einen Katalog von Projektkriterien, die erfüllt sein müssen, um dieser Gefahr zu begegnen.

Die Frage der Wirksamkeit konzertpädagogischer Projekte wird auch in dem Beitrag von Constanze Rora thematisiert. Ausgehend von dem Format des „Taschenkonzerts“ der Musikvermittlung am Gewandhaus Leipzig untersucht sie an einem videografierten Konzertbeispiel Unterschiede zwischen am Lernen und am Erleben orientierten Situationen. Silke Schmid fokussiert gleichfalls den Begriff des Musikerlebens und untersucht ihn im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung eines Opernvermittlungsprojekts. Sie arbeitet vier Dimensionen des Begriffes heraus, um ihn für die empirischen Untersuchungen zugänglich zu machen. Mit der Dimension der Narrativität stellt sich eine Verbindung zu dem Beitrag von Alexander J. Cvetko her sowie auch zu dem folgenden von Jan-Peter Koch, der das Storytelling im Rockkonzert thematisiert. Das Erzählen erweist sich in dieser mehrfachen Thematisierung als ein bedeutungsvoller Aspekt konzertpädagogischer Konzeptionen. Mit der Wahl des Genres Rockmusik wendet sich Jan-Peter Koch einem blinden Fleck konzertpädagogischer Praxis und Reflexion zu.

Die Darstellung von Elisabeth Gutjahr gibt einen Einblick in die Arbeitsweise der Rhythmik mit ihren konzertpädagogischen Anknüpfungspunkten. Diese liegen nicht zuletzt in der von Émile Jaques-Dalcroze entwickelten Ursprungsidee – dem Prinzip „Zeige, was Du hörst“ – das zu einer sichtbaren Verkörperung der Musik anregt. Neben dem mehrfach angesprochenen Aspekt der Narrativität, wird hier eine an die Nonverbalität des (musikalischen) Erlebens anschließende Methode deutlich.

Projektbeispiele

Bei der dritten Gruppe von Beiträgen handelt es sich um Darstellungen von Projektbeispielen und konzeptionellen Ansätzen im Wechselspiel mit ihrem jeweiligen institutionellen Rahmen. Andrea Tober reflektiert hier die Education-Arbeit der Berliner Philharmoniker der letzten zehn Jahre und gibt einen Ausblick auf das 2013 begonnene Chorprojekt „Vokalhelden“. In ihrer Darstellung werden die Schwierigkeiten und Bedingungen sichtbar, auf die konzertpädagogische Konzeptionen reagieren müssen. In ähnlicher Weise differenzierend hinsichtlich der institutionellen Ansprüche berichten Andrea Welte und Tamara Schmidt von Projekten, die an der Musikhochschule Hannover in Zusammenarbeit mit der „Jungen Oper“ Hannover durchgeführt werden. Anhand konkreter Projekte beschreiben und analysieren sie, welche Anforderungen und Möglichkeiten aus der Kooperation der beiden Institutionen entstehen. Claudia Maria Heuger nimmt die Veranstaltungsreihe „Studio Neue Musik“ an der Universität Siegen in den Blick. Auf der Grundlage einschlägiger didaktischer Literatur zum pädagogischen Umgang mit neuer Musik und einem „Stimmungsbild“ unter Studierenden zeigt sie die Rezeptionsschwierigkeiten, mit denen auf Neue Musik bezogene Vermittlungsprojekte rechnen müssen. Tobias Wollermann und Katrin Bock stellen ein erfolgreiches konzertpädagogisches Projekt in Hamburg vor. Ein Projekt, in dem das konzertpädagogische Angebot direkt auf die Anforderungen des Musikunterrichts abgestimmt ist, reflektiert Christian Hörburger in seinem Beitrag. Dabei macht er auch Reaktionen der Kinder sichtbar. Abschließend gibt Thomas Wenk einen kurzen Einblick in ein regelmäßig veranstaltetes Studienangebot an der Musikhochschule Trossingen, in dessen Rahmen die Aufführung eines musikalisierten Märchens vorbereitet und durchgeführt wird. Es werden die Lernmöglichkeiten für die Studierenden dargestellt, die sich besonders aus dem Anspruch der Improvisation ergeben.

Nach den Jubiläumsband – Musik im Diskurs, Bd. 25 – soll nunmehr die Schriftenreihe unter dem Namen „Musikpädagogik im Diskurs“ (Bd. 1 ff.) fortgesetzt werden, da er die musikpädagogische Ausrichtung der Gesellschaft für Musikpädagogik und ihrer Schriftenreihe deutlicher hervorhebt.

Print-Rubriken
Unterrubrik