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Quereinstieg als Problem und Chance

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Perspektiven des schulischen Musikunterrichts · Von Carl Parma
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Die grundständige Ausbildung des Musiklehrkräftenachwuchses an Musikhochschulen, Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ist eine Errungenschaft aus den 1920er-Jahren (Kestenberg-Reform) – in einer ökonomisch viel schwierigeren Zeit als der heutigen. Damals wurde das Selbstverständnis des Schulmusikers geprägt: weg vom Singelehrer hin zu einem vollwertigen künstlerisch-wissenschaftlich ausgebildeten Akademiker. Nur so konnte Musik letztlich als gleichberechtigtes, auch abiturrelevantes Fach in den Fächerkanon eingehen.

Der aktuelle Musiklehrkräftemangel untergräbt in mehrfacher Hinsicht die so mühsam erkämpfte Reputation des Faches: Durch den Einsatz unzureichend qualifizierter Quereinsteiger droht eine Entprofessionalisierung. Der Ersatz des Musikunterrichtes durch Musikprojekte verengt den weiten und offenen Musikbegriff auf ein Spezialgebiet, etwa das Musizieren auf Instrumenten. Darüber hinaus werden mit Musikschullehrkräften, die an die Schulen wechseln, neue Lücken an den Musikschulen aufgerissen – was sich auf die musikalische Bildung insgesamt nachteilig auswirkt. Um nicht missverstanden zu werden: Die einzelne Lehrkraft trägt keinerlei Schuld an der Misere und verdient allen Respekt und Wertschätzung – auch von uns als Verband. Der eigentliche Skandal aber ist, dass aufgrund fehlerhafter Bedarfsanalysen der KMK und einer Praxis des Wegschauens ein massives strukturelles Problem entstanden ist, dass die einzelnen musikalischen Professionen in ein ungutes Konkurrenzverhältnis zueinander getrieben hat, wo doch gerade die vertiefte Kooperation auf Augenhöhe gemeinsames Ziel sein sollte!

Während an den Gymnasien in Deutschland (noch) eine annähernd vollständige Erteilung des Musikunterrichtes durch ausgebildete Musiklehrkräfte gewährleistet ist, stellt sich die Situation an den übrigen Schulen dramatisch dar: Hier wird ein großer Teil des Musikunterrichtes fachfremd oder gar nicht erteilt – bis hin zu Schulen ohne jeden Musikunterricht. Das großflächige Fehlen allgemeiner musikalischer Bildung an der Grundschule lässt Entwicklungspotentiale brachliegen und befördert durch das fehlende Angebot musikalischer Vielfalt die einseitige Hinwendung der Heranwachsenden zu einzelnen Genres und Hörgewohnheiten, die weitgehend irreversibel sind. Die Diskrepanz zwischen der Abdeckung des Musikunterrichts an Gymnasien und den übrigen weiterführenden Schulen ist ein verheerendes bildungspolitisches Signal: Bildungsdisparitäten werden auch auf dem Gebiet der musikalischen Bildung weiter verstärkt, statt abgebaut.

Ab sofort müssen daher so viele Musiklehrkräfte für alle Schularten ausgebildet werden, dass eine Situation des akuten Mangels, wie sie derzeit gegeben ist, für die Zukunft ausgeschlossen werden kann (Vorsorgeprinzip). Die Zahl der einzurichtenden Studienplätze muss die des zu berechnenden Bedarfs angemessen übersteigen, denn erfahrungsgemäß bricht ein Teil der Studierenden das Studium ab, tritt das Referendariat nicht an oder verbleibt nach dem Referendariat nicht in der Schule.

Mittelfristige Lösungen durch angemessene Qualifikationen von Quereinsteigern

Über diese langfristige Perspektive darf aber die aktuelle Musikunterrichtsversorgung nicht aus den Augen verloren werden. Für eine Übergangszeit wird der notwendige Bedarf mit fachnah unterrichtenden Lehrkräften bzw. Quereinsteigern abgedeckt werden müssen. Durch angemessene Qualifizierung müssen diese auf den Unterrichtseinsatz vorbereitet werden, um dann – nach einer Bewährungszeit – als vollwertige Lehrkräfte eingesetzt werden zu können. Um die vielfältigen Anforderungen  in fachdidaktischer, allgemeindidaktischer und schulorganisatorischer Hinsicht bewerkstelligen zu können, brauchen die Quereinsteiger Unterstützung auf allen Ebenen:

  • In vorgeschalteten Einführungskursen müssen die wesentlichen Elemente/ Voraussetzungen des Unterrichtens (Leistungsbewertung, erzieherische Maßnahmen, Elterngespräche, Classroom Management) für QE nachgeholt werden.
  • In den allgemein-pädagogisch orientierten Hauptseminaren sollten die zentralen Fragen der Pädagogik und Didaktik in komprimierter Form erarbeitet werden.
  • In den Musik-Fachseminaren schließlich muss eine Einführung in didaktisch-methodische Fragen erfolgen (Anleitung zum Singen und Musizieren, Sprechen über Musik)
  • An der Schule bedarf es der engen Begleitung der QE durch erfahrene Kollegen (mit entsprechender Weiterbildung und Abminderungsstunden) und Möglichkeiten der Hospitation.

Nachdem eine Lehrkraft ein solches umfassendes Qualifizierungsprogramm durchlaufen hat – nur dann –, sollte sie den anderen Lehrkräften in jeder Hinsicht gleichgestellt werden: Vergütung, Verantwortung, Akzeptanz.

Langfristige Lösungen gegen den Fachkräftemangel im Musikunterricht

Die oben benannten Maßnahmen dürfen allerdings nicht den Blick auf das eigentliche Problem verstellen: den eklatanten Mangel an grundständig ausgebildeten Musiklehrkräften. Hierzu müssen sowohl auf hochschulischer Ebene (ausreichend Studienplätze, Studierbarkeit, Attraktivität) als auch auf bildungspolitischer Ebene (ausreichend Referendarsplätze und Planstellen sowie Attraktivität des Berufsfeldes) sehr große Anstrengungen unternommen werden.

Strukturell wären darüber hinaus Maßnahmen zu ergreifen, die insbesondere in der Grundschule eine fachorientierte Versorgung in jedem Fall sicherstellen: Über das Kernfachangebot Musik hinaus die Möglichkeit Musik als Wahlfach (ohne Aufnahmeprüfung, aber mit Instrumental- und Gesangsunterricht) zu studieren wie es in Sachsen praktiziert wird bzw. die Einführung einer obligatorischen Basisqualifikation in Musik für alle Grundschullehrkräfte wie sie Bayern vor einigen Jahren eingeführt hat.

Am besten jedoch schützt vor dem Ausverkauf der Musik immer noch eine vorausschauende Bedarfsplanung vor allem seitens der KMK, in der bildungspolitische und hochschulpolitische Anforderungen so mit­-   u ueinander abgeglichen werden, dass nicht alle zehn Jahre wieder das Lamento des Mangelfachs Musik angestimmt werden muss.

Carl Parma ist Präsident des BMU-Landesverbandes Berlin und Mitglied im Bundesvorstand des BMU


Zum Problem der Quereinsteiger-Praxis am Beispiel Berlins

Seit Jahren wird ein immer größerer Teil des Lehrkräftebedarfs der Berliner Schulen durch Quereinsteiger abgedeckt. Trotz gegenteiliger politischer Beteuerungen sind es 2018 wiederum 1.850 Quereinsteiger (im Bereich allg. bildender Schulen), wobei deren ungleiche Verteilung zu einer immer größeren Ballung in sozialen Brennpunkten führt: Die Zahl der Schulen mit mehr als 20% Quereinsteigern hat sich vervierfacht, in einigen Schulen beträgt sie gar ein Drittel. Und das zumeist in Grund- und Sekundarschulen mit schwierigem sozialen Umfeld. Die 1.850 Quereinsteiger in 2018 verteilen sich wie in nebenstehender Tabelle dargestellt. (Berufs- und Förderschulen sind hier nicht berücksichtigt).

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