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CD-Cover Neos Katzer
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Spätwerk-Ökonomie

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Neue CDs neuer Musik
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Der 2019 verstorbene Georg Katzer war auch nach der „Wende“ eine der interessantesten Stimmen der älteren Komponistengeneration. Die bemerkenswerte Vielseitigkeit seines Schaffens dokumentiert in komprimierter Form diese CD mit Stücken aus Katzers letzten beiden Lebensjahren.

Sie legen (weitestgehend in Ersteinspielungen) eine bezwingende Ökonomie und Verdichtung ihrer Ausdrucksmittel an den Tag: „postscriptum zu B.“ ist ein dreiteiliger Reflex auf Beet­hovens Sonaten für Cello und Klavier, der zwischen verspielter Rhetorik und traumverhangener Atonalität eine fast improvisatorische Sprunghaftigkeit präsentiert. Der Liederzyklus „…blüht nur im Gesang“ für Sopran, Cello und Klavier bewegt sich oft im melodramatischen Modus der frühen Moderne, gibt sich jedoch betont zeitkritisch. Katzer hat die Texte selbst beigesteuert, die voller Dichtungs-Anspielungen sind und zwischen „Fake News“, „Teuren Utopien“ und dem schlussendlichen „Nitschewo“ ein bitteres Fazit der Gegenwart ziehen. „Percussum“ wiederum ist ein luzides Schlagzeugquartett, das wie eine Hommage an diverse perkussive Praktiken asiatischer Musik anmutet, ohne jeden Anflug von Parodie oder gar Exotismus. Deutliche Jazz-Einflüsse bezeugt das vielfarbige Septett „La scuola dell’ascolto 5“, dessen melodische Diversität und rhythmische Verve vom Georg Katzer Ensemble Berlin mit gehöriger Energie aufgeladen wird. Glanzstück dieser Einspielung aber ist das Orchesterstück „discorso“, als Kommentar zur silves­tergeschändeten 9. Sinfonie Beethovens vom RSB Berlin bestellt: Dort werden verschiedene stilistische Ebenen momenthaft zu einer Polyphonie des Fragmentierten ineinandergeblendet. (Neos)

Inzwischen ist Christian Wolff fast 90 und nicht müde, seine Musik an der Schwelle von gestalterischer Freiheit und fixierter Formgebung immer weiter zu verfeinern. Deren spezielle Poetik wird hier evident in Ersteinspielungen des Trio Accanto, das mit viel Klangsinn Wolffs kompositorischen Grenzgängen nachspürt. Die Instrumentation der „Exercises“ (hier eine Auswahl von 2011–18) ist genauso flexibel wie wichtige musikalische Parameter. Dass diese „koordinierte Ungleichzeitigkeit“ aber nie beliebig klingt, ist das große Geheimnis dieser Musik und natürlich ganz und gar abhängig vom Vermögen der Spieler, ihre einkomponierten Freiheiten zu nutzen. Das Trio Accanto lässt hier keine Wünsche offen und macht aus diesen „Übungen“ vor allem Demonstrationen des Aufeinander Hörens. Manchmal verwandeln sich Marcus Weiss (Saxophon), Nicolas Hodges (Klavier) und Christian Dierstein (Schlagzeug) dabei in ein progressives Jazz-Trio, manchmal erreichen ihre Interaktionen eine kristalline Klarheit als hätten wir es mit Webern zu tun. Die „klassische“ Seite von Christian Wolffs Schaffen bezeugt das eigens für Accanto konzipierte „Trio IX“ (2017): eine vollständig im Notat fixierte Komposition, die aber nicht minder erfrischend unvorhersehbar klingt: Ein Patchwork voller Anspielungen und Pseudozitate zwischen Bach und Eisler, Choral und politischem Lied. (Wergo)

John Cages Affinität zur Musik von Erik Satie ist das Thema der 54. Folge der Cage-Edition beim New Yorker Label mode. Dreh- und Angelpunkt natürlich die „Cheap Imitation“ (1969), Cages „Re-Komposition“ von Saties „Socrate“ (1917/18). Eine Hommage, die aus der Not geboren war: Für eine Choreographie von Merce Cunningham wollte Cage eigentliche eine Klaviertranskription von Saties „Drame symphonique“ anfertigen, bekam aber die Rechte nicht. Also bastelte er seine eigene Version, indem er den Rhythmus der Gesangslinie beibehielt, aber die melodische Führung komplett änderte. Cages „Billige Imitation“ strahlt in ihrer puristischen Klarheit einen ganz eigenen Charme aus. Aki Takahashi, die große alte Dame der amerikanischen Piano-Avantgarde, adelt diese wie aus der Zeit gefallene Musik mit nobler Zurückhaltung. Bedeutend wird diese Veröffentlichung aber durch die Weltpremiere einer Instrumentation von Morton Feldman. Er transformierte den asketischen Klaviersatz in eine Klangfarben-Kontrapunktik, die Cages „Imitationen“ in prismatischen Brechungen von Flöte, Klavier und Glockenspiel melancholisch ausleuchtet. (mode)

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