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Weezer - OK Human
Weezer - OK Human
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Tonträger-Bilanz 2021: Genial im Bodenlosen

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Der persönliche Jahresrückblick der nmz-Phonokritiker: Sven Ferchow
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Die Foo Fighters und ihr Mastermind Dave Grohl scheinen die Corona-Krise gut zu meistern. Im April 2021 erschien die Band-Doku „What drives us“, am 2. November Dave Grohls Autobiographie und zu Beginn des Jahres das neue Album „Medicine at Midnight“. Natürlich. Es verkörpert alles, was man von einer Foo Fighters-Platte erwartet: wild, laut, ungezügelt, teils ausschweifend und tatsächlich romantisch. Funktioniert zufriedenstellend. Was auffällt: Die unverwechselbaren Refrain-Hymnen der Foo Fighters sind eindeutig unterrepräsentiert. Das ist schade, aber vielleicht das entscheidende Manko der Platte (RCA).

Ein unerlässliches Geschenk unter dem geschmückten Baum sollte das Album „OK Human“ von Weezer sein. Seit Jahrzehnten unterhalten Weezer mit dieser leichtfertigen Art des Pop-Rock-Alternative-Indie-Groove. Belanglose Melodien, abgesoffen im Zuckerbad, kristallisieren sich als hirnspaltende Ohrwürmer, die seriöse Hintergedanken haben. Die Bandbreite reicht von Pop bis (choreographiertem) Punk. Man darf Weezer und ihre Songs lieben. Sie machen diese Welt eindeutig erträglicher (Atlantic).

Die britische Hardrock-Band Thunder ist der Inzidenzwert der Hardrock Branche. Geht es Thunder gut, geht es allen gut. Stets erschreckend: die unfassbare Qualität dieser Band. Sänger Danny Bowes bleibt der Meistersänger, kein anderer kann diese Stimmschattierungen vorweisen. Die Abteilung Rhythmus zeigt sich seit Jahrzehnten dezent, aber laut genug, um lehrbuchtauglich aufhorchen zu lassen. Dazu gibt es griesgrämige Hardrock-Gitarren, die jedoch ohne Weiteres auf Stimmung schalten können. Das alles strukturiert sich in einer messerscharfen Mischung aus Rock, Soul und Blues. Es kann nur eine Hardrock-Band geben: Thunder (BMG Rights Management, Warner).

Ryan Adams begeht seinen Weg der Läuterung 2021 mit zwei Alben: „Big Colors“ und „Wednesdays“. Musikalisch bietet er immer noch das Nonplusultra im Bereich „Songwriting zwischen Americana/Rock/Pop/Blues/Folk“. Beide Alben triefen vor unkitschiger Romantik, verlieren sich zu Recht in Unmengen karamellisierter Zuckerwatte und treffen dennoch jeden mitten ins Herz und damit mitten im Leben. Musikalisch ist ihm nichts vorzuwerfen (Pax-Americana).

Was sich die Österreicher Granada mit ihrem Album „Unter Umständen“ erlauben, hat das Zeug zur „Platte des Jahres“. Insgesamt ein Irrsinn. Rock trifft Pop. Aber eigentlich scheint „Unter Umständen“ ein Indie-Album zu sein. Egal. Mag der Song noch so fröhlich sein (Summerfieber, Mein Velo), Granada schaffen es ziemlich heimtückisch, die Songs mit feinem Melancholie-Staub zu überziehen. Das ist nicht nur bei den „stilleren“ Songs (Leuchtturm, Die Lichter gehen aus) herzzerreißend, sondern immerwährend so. Dazu kommt dieser österreichische Humor, der in Selbstzerfleischung mündet und dennoch einfach nur grinsen lässt (Armer schwarzer Kater, Cordoba). Granada und „Unter Umständen“ sind ein unkontrollierter, irrer und genialer Sturz ins Bodenlose (Sony Music).

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