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Über die Gitarre hinaus

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Zu einem Konzert im Mozarthaus Augsburg
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Zwei Stile prägten das zeitgenössische Repertoire für Gitarre solo, das Johannes Stickroth im Mozarthaus Augsburg Ende November spielte: das Sinnierende, frei Fantasierende als Intermezzo oder Charakterstück und das Kontrapunktische. Trotz vorweihnachtlichem Kaufrausch zur zeitgleichen boomenden Shopping-Night im Stadtzentrum war der Konzertraum voll besetzt – und das mit zeitgenössischem Programm.

Zwar war die Tonsprache gemäßigt modern, die meisten Komponisten auf dem Programm aber weitgehend unbekannt. Der 52-jährige Gitarrist Johannes Stickroth, der in Frankfurt studierte und zusammen mit Kollege Stefan Schmid eine bekannte Gitarrenschule in Augsburg leitet, bestritt die komplexe Musik zumeist auswendig und auf zwei Gitarren: eine davon war eine interessant gebaute zehnsaitige, die tiefen Saiten mittig gespannt. Damit interpretierte Stickroth etwa das älteste und bekannteste Opus, Benjamin Brittens „Nocturnal“, basierend auf John Dowlands melancholischem Song „Come, Heavy Sleep“, der sich im Eingangssatz „Musingly“ ansatzweise vorstellte und im neunten Teil schließlich in Reinform zeigte. Gerade der insistierende Abstieg in der „Passacaglia“, der im Verlauf jeder Regung der Oberstimme in immer gleicher Form entgegnete, ließ sich mit dieser Gitarre besonders plastisch herausstellen. Daneben tauchten Totentanz-ähnliche Einsprengsel auf, gewichtige Imitationen oder verebbendes Echo, auch die Stille zwischen den Sätzen zählte zum Gesamtwerk. Britten widmete seine Reflektionen über den Dowland-Song Julian Bream. Auch Richard Rodney Bennett ließ sich von dem berühmten Gitarristen inspirieren. Seine Impromptus sind Meister-Miniaturen, Aphorismengleich kurz, kein Ton klang fehl am Platz. Wie reduzierte abstrakte Malerei wirkten die vier ausgewählten Impromptus, an die zweite Wiener Schule erinnernd, eigentümlich und verständlich zugleich, schienen sie im „Agitato“ mit ihren klanglichen Anforderungen die Kapazitäten der Gitarre auf Klavierformat vergrößern zu wollen. Auch Robert Beasers hymnische Rhapsodie über das amerikanische Volkslied „Shenandoah“ kulminierte in einem Klangaufbau, der schier über die Gitarrenkräfte hinausging und suggestive Gestaltungskraft verlangte. Als Geschichte eines Herzinfarktes deklarierte Johannes Stickroth Roland Dyens’ „Libra Sonatine“, und er hatte, trotz ihrer populären Anklänge, nicht Unrecht damit. Dyens schrieb sie nach einer Herzattacke und die Verzerrungen in der Anfangs- Idylle etwa könnten Rhythmusstörungen sein, das Fuoco-Finale, quasi eine Toccata mit funky Einschlag, das einschneidende Erlebnis verarbeiten. In Larry Coopermans „Walking on the Water“ dagegen klangen anfangs die synagogalen Wurzeln durch, dann kam der „Flow“ und über sprudelndem Radschlag entspann sich die Melodie.

Als Hommage an den anwesenden Augsburger Komponisten Richard Heller schob Johannes Stickroth dessen „Impromptu Nr. 1“ ein, das als kantabler Zusammenklang zweier selbständiger Stimmen beide Stile des Abends vereinte. Für sein vielseitiges Programm und sein gekonnt virtuoses, farbiges Spiel bekam der Solist verdient starken Beifall.

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