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Carlo Bohländer mit Jutta Hipp bei einem Konzert. Foto: Nachlass Bohländer
Carlo Bohländer mit Jutta Hipp bei einem Konzert. Foto: Nachlass Bohländer
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Vom Wesen der Jazzmusik

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Die Jazzlegende Carlo Bohländer: ein musikhistorisch wichtiges Filmporträt
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Die jungen Jazzmusiker kennen Carlo Bohländer (1919–2004) nicht, haben nie von ihm gehört, wenn sie nicht mal gelegentlich in jazzhistorische Bücher und Jazzlexika schauen oder Aufnahmen aus den 50er- und 60er-Jahren hören. Sie wissen zu wenig über die Entwicklung des Jazz in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und noch weniger über die mutigen jungen Jazzmusiker, die trotz der Gefahren durch Gestapo und Hitlerjugend ihre Musik hörten und spielten.

So gründete Carlo Bohländer mit Horst Lippmann und Emil Mangelsdorff 1941, mitten im Krieg, den Hot Club Frankfurt. Nach 1945 wurde Bohländer zu einer der wichtigsten Figuren der Frankfurter Szene, als Musiker, als Theoretiker und Autor und nicht zuletzt als Gründer diverser Jazzclubs. Der gerade für den Hessischen Filmpreis 2014 nominierte Dokumentarfilm „Carlo – Keep Swingin’“ könnte dem abhelfen, was Fritz Rau im Film mit den Worten anmahnt: „Es ist für mich erschreckend, wie wenig über Bohländer gesprochen und geschrieben wird. Wir müssen aber auch an die Pioniere denken, an die Lehrer, und da ist Carlo ganz wichtig. Ich kann seine Rolle für die Entwicklung des Jazz made in Germany – und das war in großem Maße Jazz made in Frankfurt! – nicht hoch genug loben.“

Die Filmemacherin Elizabeth Ok, die als Autorin, Regisseurin und Produzentin fünf Jahre an ihrem Film gearbeitet hat, fand wie zufällig eine besondere Beziehung zu Carlo Bohländer. Durch dessen Witwe, die Sängerin/Songwriterin Anita Honis, hatte sie Bohländers seit seinem Tod leerstehendes Apartment beziehen können. Und als sie eines Tages den zur Wohnung gehörenden Keller sichtete, stieß sie auf einen ungehobenen musikhistorischen Schatz – den ungeordneten Nachlass Bohländers: Unmengen von Fotos, Zeitungsausschnitten, Zeitschriften, Briefwechsel mit Berühmtheiten wie Lee Konitz, Chet Baker oder Ernst-Ludwig Petrowsky. Die Sichtung und Einordnung des Materials kostete Elizabeth Ok Monate. Doch sie war so fasziniert von dem vor ihr entstehenden Menschen Carlo Bohländer, dass sie beschloss, den Fund zur Grundlage eines Dokumentarfilms über ihn und die Frankfurter Szene zu machen, in Absprache mit Anita Honis und Sohn John-Charles. Elizabeth Ok kombinierte, zum Teil im Splitscreen, Archivaufnahmen des Hessischen Rundfunks, großteils aus dem von Bohländer gegründeten und geführten „domicil du Jazz“, zahlreichen Fotos aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, live geführten Interviews mit Zeitzeugen wie Paul Kuhn, Günter Lenz, Gustl Mayer, Dusko Goy-kovich, dem Jazzjournalisten Werner Wunderlich und eben Fritz Rau, nicht zuletzt auch ausführlich mit der souverän-humorigen Anita Honis. So entstand ein lebendiges und hoch informatives Porträt nicht nur dieses erstaunlichen Menschen Carlo Bohländer, der auch reichlich zu Wort und Ton kommt, sondern überdies ein Gesamtbild der vitalen Frankfurter Jazzszene, die prägend wurde für den deutschen Jazz, vor allem durch den Cool Jazz der Combos mit Emil und Albert Mangelsdorff, Joki Freund, Jutta Hipp, Attila Zoller, Hans Koller und Roland Kovac. 

Auch Dusko Goykovich gehörte dank Bohländer dazu. Er hatte den Trompeter bei einem Gastspiel der German All Stars in Belgrad entdeckt und ihn spontan nach Frankfurt eingeladen, ihm das Visum besorgt und seinen Start in der Bundesrepublik ermöglicht, wie Dusko im Film ausführlich und dankbar schildert. Und der Saxophonist Gustl Mayer bekennt, dass er als junger Amateur – wie viele andere junge Musiker – vom viel älteren Carlo, der „alles über Musik wusste“, Theorie und deren praktische Umsetzung gelernt hat. Bohländer, der in den Dreißigern Trompete, Klavier und Harmonielehre am Hoch’schen Konservatorium studiert hatte, war auch Autor zahlreicher musiktheoretischer Bücher, so „Harmonielehre für Jazz-Melodie-Improvisationen“, „Das Wesen der Jazzmusik – Metrum, Rhythmus, Stil“, ein Reclam-Jazzlexikon. „Sein Anliegen war“, erzählt Goykovich, „so zu schreiben, dass es auch jeder verstehen kann. In den Pausen im Keller hat er uns seine Theorien erklärt. Das war für uns sehr wichtig. Wir haben dabei viel gelernt.“

Hoffentlich gibt es diesen jazzhistorisch wichtigen Film bald als DVD, damit er auf Festivals und in Jazzclubs gezeigt werden kann, auch und gerade für die junge Jazz Community (aktuelle Informationen bei www.facebook.com/okstockfilmproduktion).

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