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Arte will Analysen und Hintergründe liefern - «Wichtiger denn je»
Arte zeigt das Dokudrama «Leningrad Symphonie»
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Arte zeigt das Dokudrama «Leningrad Symphonie»

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Straßburg - Die Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht ist eines der grausamsten Kapitel des Zweiten Weltkriegs. Rund eine Millionen Zivilisten kostet die Blockade das Leben. Fast 900 Tage, von 1941 bis 1943, erleidet die Bevölkerung der russischen Stadt ein schwer fassbares Martyrium. Zumindest etwas Trost spendet den leidenden Menschen in dieser Zeit das Radio und die Musik von Karl Eliasberg und seines Rundfunkorchesters.

Als der sowjetische Dirigent die siebte Symphonie des Komponisten Dimitri Schostakowitsch zum ersten Mal aufführen soll, wird das Konzert zu einem kurzen Triumph der Kultur über die Barbarei. Das Dokudrama «Leningrad Symphonie - Eine Stadt kämpft um ihr Leben» auf Arte erzählt davon.

Der deutsch-französische Kultursender zeigt die aufwendige Produktion am Dienstag, 27. Februar um 21.45 Uhr. Interviews mit Zeitzeugen, darunter auch mit Schostakowitschs Sohn Maxim, seltene Archivaufnahmen aus dem besetzten Leningrad und eigens produzierte Spielszenen schildern die dramatischen Geschehnisse. Im Zentrum steht Eliasberg. Während Schostakowitsch mit seiner Familie kurz nach Beginn der Einkesselung ausgeflogen wird, damit er die Komposition der Leningrader Symphonie in Sicherheit beenden kann, harrt der Dirigent in der eingeschlossenen Großstadt aus.

Als er den Auftrag erhält, das Werk zu inszenieren, steht er vor einer kaum lösbaren Aufgabe: Sein Orchester besteht aus nur noch 16 Überlebenden. «Die Geschichte ist faszinierend, weil sie zeigt, welchen humanen Einfluss Kunst selbst in einem Umfeld totaler entmenschlichter Brutalisierung haben kann», sagte der Produzent Reinhardt Beetz der Deutschen Presse-Agentur.

 

Maxim Schostakowitsch: «Sie versuchen, uns abzuschießen»

Interview: Wilfried Urbe, dpa

Köln (dpa) - Kein anderes Werk ist mit der Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg so verbunden wie die siebte Symphonie des Komponisten Dimitri Schostakowitsch. Sein Sohn Maxim wurde in Leningrad geboren. Im Arte-Dokudrama «Leningrad Symphonie - Eine Stadt kämpft um ihr Leben» (27. Februar, 21.45 Uhr) ist er als Zeitzeuge zu sehen. «Zur Zeit der Belagerung war ich noch ein Kleinkind», sagte er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Aber er könne sich erinnern, wie die Familie mit dem Flugzeug aus Leningrad ausgeflogen wurde. «Es gab keine Sitze, nur Säcke und Gepäck lagen herum, und wir ließen uns auf diese Säcke nieder. Also habe ich aus dem Fenster geschaut und fragte den Piloten: «Was ist das?» Er antwortete: «Sie versuchen uns abzuschießen.»»

Frage: Die siebte Sinfonie Ihres Vaters gilt als sein bekanntestes Werk, was zeichnet es in Ihrer Sicht aus?

Antwort: Mein Vater hat stets komponiert, gleichgültig unter welche Umständen: Auch in Zeiten, in denen Krieg und Tod allgegenwärtig waren. Die Macht der siebten Sinfonie liegt in ihrer prophetischen Botschaft. Der letzte Satz nimmt den Sieg über die Invasoren vorweg, obwohl dieser in der Phase des Komponierens noch überhaupt nicht absehbar war. Das war in jenem Moment, als die schreckliche Invasion, dieser Siegeszug des Bösen noch im Gange war, nur schwer vorstellbar. Von daher sehe ich die spirituelle Komponente der Sinfonie.

Frage: Das hat ja auch der inzwischen verstorbene Komponist Boris Iwanowitsch Tischtschenko festgestellt.

Antwort: Ja, er war ein wunderbarer Schüler meines Vaters. Irgendwann berechnete er beim Studium der Sinfonie bestimmte numerische Zusammenhänge. Und wissen Sie, was er herausfand? Die Episode im ersten Satz, die die Invasion symbolisiert, dauert genau 666 Sekunden. Es ist die «Zahl des Tieres» aus der Apokalypse des Johannes, die für den Antichristen steht. Das ist sicher kein Zufall.

Frage: Können Sie sich noch an die Zeit der Leningrader Belagerung erinnern?

Antwort: Zur Zeit der Belagerung war ich noch ein Kleinkind. Erst später habe ich erfahren, dass unser Hund Bulka von ausgehungerten Menschen gegessen wurde. Aber ich erinnere mich, wie wir mit dem Flugzeug aus Leningrad ausgeflogen wurden, damit mein Vater die Sinfonie in Sicherheit beenden konnte. Unter uns waren kleine weiße Wolken zu sehen. Wir befanden uns in einem Militärflugzeug, es gab keine Sitze, nur Säcke und Gepäck lagen herum, und wir ließen uns auf diese Säcke nieder. Also habe ich aus dem Fenster geschaut und fragte den Piloten: «Was ist das?» Er antwortete: «Sie versuchen, uns abzuschießen.»

Frage: Wie haben Sie als Kind über die deutschen Soldaten gedacht?

Antwort: Es war im Jahr 1946, als wir nach Komarovo bei Leningrad zurückkehrten. Damals arbeiteten deutsche Kriegsgefangene an der Küstenstraße. Irgendwann kam ein zerlumpter Mann in zerrissener Uniform, der furchtbar unglücklich aussah, zu uns. Er war hungrig und bat um ein Stück Brot. Er war ein armer, hungriger deutscher Gefangener. Er wurde sofort mit Essen versorgt und kam dann öfter.

Frage: Und sie hatten keine Angst vor ihm?

Antwort: Doch, meine Schwester Galya und ich hatten Angst davor, ihm nahe zu kommen. Später gewöhnten wir uns an ihn und nannten ihn «unser Deutscher, der zum Essen kommt». Eines Tages kam unser Vater zu mir und sagte sehr ernst: «Weißt du, er ist ein armer Mensch. Er hatte ein Haus und eine Frau und Kinder wie wir. Und auch er wurde als junger Mann in dieses Gemetzel geworfen.» So lernte ich, dass auch der deutsche Kriegsgefangene ein menschliches Wesen war.

ZUR PERSON: Maxim Schostakowitsch wurde am 10. Mai 1938 in Leningrad geboren. Sein Vater Dmitri ist einer der bedeutendsten Komponisten Russlands. Auch Maxim ist Musiker. 1971 wurde er Chefdirigent des Radiosinfonieorchesters der UdSSR und dirigierte unter anderem die Uraufführung der 15. Sinfonie seines Vaters. 1981 setzte er sich nach einem Konzert in Fürth ab und emigrierte in die USA. Nachdem er das New Orleans Symphony Orchestra und das Hong Kong Philharmonic Orchestra geleitet hatte, kehrte er 1994 in seine Heimat zurück.

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