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Unterricht an zwei parallel aufgestellten Flügeln.

Prof. Schmidt-Oberländer im Unterricht. Foto: Franziska Epp

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Familiäre Atmosphäre

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Gero Schmidt-Oberländer über das Lehramts- und Musikpädagogik-Studium
Vorspann / Teaser

Prof. Gero Schmidt-Oberländer ist seit 2010 Direktor des Instituts für Musikpädagogik und Kirchenmusik. Schon immer, seit er im Jahr 1996 dem Ruf auf die Professur für Schulpraktisches Klavierspiel an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar folgte, hat er weit über sein Fachgebiet hinaus seine künstlerisch-pädagogischen Fühler ausgestreckt. So leitet er seit mehr als 25 Jahren die SchuMu-Bigband, begründete 2003 die erste rein musikalische Kinderuniversität Deutschlands in Weimar, arbeitet bundesweit in Gremien zur Weiterentwicklung des Musikunterrichts in Deutschland mit und ist Autor von einschlägigen Fachbüchern, darunter das preisgekrönte Lehrwerk „MusiX“.

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Jan Kreyßig: Welche Fachbereiche der Musikpädagogik kann man in Weimar studieren?

Gero Schmidt-Oberländer: Musikpädagogik ist ein weites Feld. Wir haben drei große Ausbildungsrichtungen am Institut. Die größten und gesellschaftlich wirksamsten sind sicherlich die Lehramtsstudiengänge, auch Schulmusik genannt, die künftige Musiklehrerinnen und Musiklehrer an Gymnasien ausbilden. Das zweite Feld sind die künstlerisch-pädagogischen Studiengänge, also die Ausbildung von späteren Instrumental- und Gesangslehrer*innen, die zum Beispiel an Musikschulen arbeiten. Das dritte Feld ist der Mas­terstudiengang Musik- und Bewegungspädagogik / Rhythmik, in dem elementare Elemente von Musik und Bewegung in allen Altersstufen gelehrt werden – vom Kindergarten bis zu den Senior*innen. Die Einsatzfelder sind hier vor allem die Musikschulen und Einrichtungen freier Träger. Viele Studierende machen sich auch selbstständig oder verwenden ihr Fachwissen als zweites Standbein neben der künstlerischen Tätigkeit.

Kreyßig: Was sind die Besonderheiten eines Schulmusik-Studiums in Weimar?

Schmidt-Oberländer: In der Schulmusik haben wir eine besonders hochwertige künstlerische Ausbildung, die aber immer eine pädagogische Zielrichtung hat. Wir haben ein eigenes Gebäude, fast nur für die Schulmusik, und ein Kollegium, das es in dieser Zusammensetzung an keiner anderen mir bekannten Musikhochschule gibt. Also ein Kollegium von etwa 15 fest angestellten Kolleg*innen, die ausschließlich für die Schulmusikstudierenden da sind. Eine weitere Weimarer Besonderheit ist, dass wir in unserer Ausbildung nicht unterscheiden zwischen E- und U-Musik. Wir haben zum Beispiel im Bereich Chor- und Ensembleleitung Spezialist*innen für Jazz/Pop sowie auch Klassik. Man kann sein künstlerisches Schwerpunktfach in jedem der Bereiche wählen und unkompliziert wechseln. Die dritte Besonderheit ist die personelle und qualitative Ausstattung im Bereich Schulpraktisches Klavierspiel (Schupra). Die Vierte ist die große Zahl an Ensembles wie Vokalensembles, Big Band, Latinband und so weiter., die wir am Institut haben, und in denen man ganz unterschiedliche künstlerische Ensemble-Erfahrungen sammeln kann. Als Fünftes und Letztes könnte man nennen, dass wir eine umfangreiche wissenschaftliche Ausbildung in Weimar anbieten können.

Kreyßig: In welcher Weise profitieren denn die Studierenden von wissenschaftlichen Angeboten?

Schmidt-Oberländer: Die Schulmusiker*innen haben in Weimar besonders große Wahlmöglichkeiten im Bereich der Musikgeschichte und der Musikanalyse, zum Beispiel Jazz-Pop-Geschichte, Transcultural Music Studies oder die Geschichte der jüdischen Musik. Was ab dem Wintersemester 2023/24 ganz neu hinzugekommen ist, ist das Forschungsfeld „Musikpädagogik in digitalen Kontexten“. Frau Professorin Anna Wolf wird die aktuellen digitalen Möglichkeiten erforschen und für die gesamte Hochschulausbildung nutzbar machen, zum Beispiel den Umgang mit digitalen Tools wie ChatGPT oder Remote Learning, Remote-Teaching-Tools oder auch soziologische Untersuchungen der jeweiligen Auswirkungen. Die künftigen Lehrenden an Schulen und Musikschulen müssen lernen, mit diesen Herausforderungen umzugehen und einen Methodenkoffer an die Hand zu bekommen.

Kreyßig: Wie sehen aus Ihrer Sicht aktuell die Berufschancen für Studierende der Schulmusik in Thüringen und ganz Deutschland aus?

Schmidt-Oberländer: Wir können, das sage ich ganz uneingeschränkt, jedem Studierenden eine Jobgarantie geben. Nicht immer am Wunschstandort, es kann nicht immer Erfurt, Weimar oder Jena sein. Sie müssen auch bereit sein, in die Regionen in Thüringen zu gehen. Aber es besteht in Deutschland in allen Fächern ein großer Lehrermangel. Es gibt Allianzen für Lehrerbildung, es werden Seiteneinsteiger eingestellt. Rund 15 Prozent der Lehrkräfte in Thüringen sind schon Seiteneinsteiger, die müssen natürlich pädagogisch nachqualifiziert werden. Das wird auch als Aufgabe auf uns zukommen, damit die Qualität des Musikunterrichts erhalten bleibt. Nicht jeder, der ein Instrument gut spielt, ist automatisch auch ein guter Musiklehrer.

Kreyßig: Das bedeutet, künftig immatrikulieren Sie Studierende auch berufsbegleitend?

Schmidt-Oberländer: Das machen wir schon jetzt, aber das ist noch nicht so häufig. Wir haben immer mal den einen oder anderen Orchestermusiker, der umsattelt, oder neulich eine ehemalige Blockflötenstudentin, die schon auf Honorarbasis in der Schule arbeitete und bei uns dann den Master of Education gemacht hat, um eine profunde musikpädagogische Ausbildung zu erhalten –  und eben auch eine feste Anstellung zu ordentlichem Salär. Man unterscheidet zwischen Quer- und Seiteneinsteigern. Der Quereinsteiger ist schon im System: zum Beispiel der Sportlehrer, der auch gut Gitarre spielt und gerne singt, und dann Musik unterrichten muss. Die Seiteneinsteiger kommen von außerhalb des Systems, sind Fachleute im Bereich der Musik, jedoch ohne schulpädagogische Qualifikation. Die können sogar im fortgeschrittenen Alter, etwa mit 35 Jahren, bei uns noch einen Master of Education nachholen, das ist möglich. Dann werden sie hinterher auch besser bezahlt.

Kreyßig: Welche Rolle spielt das Fach „Schulpraktisches Klavierspiel“ im Studium – und für die spätere Berufspraxis?

Schmidt-Oberländer: „Schupra“ ist das zentrale künstlerische Koordinationsfach der Schulmusik. Und zwar, weil es ganz spezifisch auf die Schulpraxis ausgerichtet ist, und weil in dem Fach viele andere Fächer eine Rolle spielen, wie etwa Gesang, Chor- und Ensembleleitung, weil wir uns auch mit Partituren auseinandersetzen. Weiterhin in der Musiktheorie, wo wir Modelle live am Klavier umsetzen, und schließlich in der Didaktik, da wir im Bereich der Lied-Erarbeitung auch didaktische Überlegungen in den Unterricht einfließen lassen.

Kreyßig: Und es wird auch improvisiert?

Schmidt-Oberländer: Natürlich! Improvisation ist die Kernkompetenz. In manchen Hochschulen heißt unser Fach auch improvisierte Liedbegleitung, was meines Erachtens aber etwas zu kurz greift, da wir uns eben auch mit Partituren, aber vor allem mit der Improvisation über das Lied auseinandersetzen. Wie zum Beispiel mit freier Improvisation – sei es im Bereich Jazz oder beim Improvisieren über klassische Formtypen, oder im ganz freien Bereich über Bilder und Texte, also außermusikalische Impulse. Freie Improvisation kann zur Bewegungsbegleitung eingesetzt werden. Und mit Improvisation kann man im Unterricht sehr viel verdeutlichen. Übrigens wird 2024 unser Bundeswettbewerb für Schulpraktisches Klavierspiel nun zum 16. Mal in Weimar ausgetragen, dieses Mal mit unserem neuen Förderer, der Carl Bechstein Stiftung.

Kreyßig: Vielen Dank für das Gespräch!

 

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