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Dunkles Bühnengeschehen: Erleuchtet ist ein digitales Bühnentechnik Instrumente, eine Projektion an der Bühnenrückwand die viel blaue Fläche und einen Menschen zeigt. Vorne auf der Bühne in Rot sieht man ein Fahrrad und zwei Menschen daneben.

Postdigitale Performance. Foto: Hochschule für Musik Mainz/Nora Mittnacht

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Praxisorientierte Zugänge zur Musikkultur

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Konzepte für den „postdigitalen“ Musikunterricht an der MHS Mainz
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Wie gestaltet man Musikunterricht so, dass er im digitalen Zeitalter attraktiv für Schüler und inhaltlich spannend ist? Mit dieser Frage befasst sich Josef Schaubruch an der Mainzer Hochschule für Musik. Er tut dies in einem Teilprojekt innerhalb des Verbunds „Professionelle Netzwerke zur Förderung adaptiver, handlungsbezogener, digitaler Innovationen in der Lehrkräftebildung in Kunst, Musik und Sport“ (KuMuS-ProNeD).

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Das Projekt startete 2023, im Februar 2026 läuft die Finanzierung aus. Während der Projektphase werden Unterrichtsbausteine entwickelt. Sie basieren unter anderem auf zwei multimedialen Performances, die unter der Regie von Josef Schaubruch im interdisziplinären Teilprojekt „MuTaPro” (MusikTanzProjekt) zwischen der Hochschule für Musik und dem Institut für Sportwissenschaft an der Uni Mainz erarbeitet wurden.

Eine der Performances wurde von Jugendlichen aus dem Grund- und Leistungskurs „Musik“ eines Mainzer Gymnasiums mitentwickelt. Im Januar wurden sowohl die Performance der Mainzer Masterstudentinnen und Masterstudenten der Lehramtsstudiengänge „Musik“ und „Sport“ als auch jene der Jugendlichen schulöffentlich präsentiert. Die beiden Projekte standen inhaltlich unter den Oberthemen „KI und Community“ sowie „Gesellschaft im Wandel“.

Viele Wochen lang machten sich die Gymnasiasten zusammen mit ihrer Musiklehrkraft und den Mainzer Masterstudenten im Wintersemester 2024/25 Gedanken über Möglichkeiten, die vorgegebene Thematik „postdigital“ umzusetzen. „Postdigital“ meint dabei streng genommen „hybrid“, so Josef Schaubruch. Die Schüler waren aufgefordert, mit „GarageBand“ Live Loops zu produzieren: „Die sollten mit einem Instrument verbunden werden.“ Mithilfe der App „GoVJ” wurden Video-Clips in Echtzeit arrangiert. Und nicht nur das. Ziel war es, ein Gesamtkunstwerk aus digitaler und analoger Musik, aus Tanz, darstellendem Spiel und Medienkunst zu schaffen. Wie das gelingen kann, hatten die Studenten bereits im Sommersemester 2024 ausprobiert.

Veränderte ästhetische Praxen
Die Notwendigkeit, Strategien zu entwickeln, wie Musikunterricht besser auf die Bedürfnisse der Schüler ausgerichtet werden kann, stellt für Josef Schaubruch den Hauptgrund für das Projekt dar. Die ästhetischen Praktiken junger Menschen hätten sich nun mal verändert, so der Musiker und Gymnasiallehrer für die Fächer Musik und Deutsch. Das Digitale müsse Einzug in den Musikunterricht halten, um praxisorientierte Zugänge zur Musikkultur junger Menschen zu eröffnen: „Wobei es mir auch hier um Vielfalt geht.“ Ein guter, „postdigitaler“ Musikunterricht, so Schaubruch, vermittle das Nebeneinander verschiedener Musikpraktiken. Es werde begreifbar, dass das kulturelle Leben voll von ganz unterschiedlichen Phänomenen ist. Das erfordert von Musiklehrern die Kompetenz, souverän parallel offline und online, digital und analog arbeiten zu können. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. So kann es beim performativen Arbeiten im Musikunterricht didaktisch Sinn machen, VR-Brillen zu nutzen. Auch Livestreaming-Funktionen von Social-Media-Portalen können durchaus sinnvoll eingebunden werden. Besonders effektvoll werden Performances, wenn außerdem mit Licht gearbeitet wird. Die Frage „Was kann ich und was möchte ich mir aneignen?“ muss sich Josef Schaubruch zufolge jede Lehrkraft am Ende selbst stellen.

Der Informationsbedarf bei Musiklehrkräften ist in jedem Fall groß. Vor allem ältere Lehrerinnen und Lehrer haben in ihrer Ausbildung nicht gelernt, mit digitalen Medien zu arbeiten. Aktuell werden im Projekt Fortbildungen basierend auf den Evaluationen der bisher entstandenen Materialien und Konzepte entwickelt. Wichtig wäre es, so Josef Schaubruch, dass Musiklehrer auch nach Februar 2026 fortgebildet und zertifiziert werden. 
Der ideale Partner für eine feste Verankerung des Fortbildungskonzepts wäre die Landesmusikakademie NRW. Technisches Equipment wie iPads oder Kopfhörer könnten Musiklehrerinnen und Musiklehrer in Zukunft in Form eines „Mobilen Klassenzimmers“ von der Mainzer Musikhochschule leihen. Noch handelt es sich Schaubruch zufolge hierbei allerdings nur um Pläne. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Finanzierung nicht gesichert. „MuTaPro“ selbst wird, zusätzlich zur Förderung über den Projektverbund „KuMuS-ProNed“, vom Gutenberg Lehrkolleg der Universität Mainz finanziell unterstützt. 

Wie bereichernd es sein kann, den Musikunterricht fächerübergreifend „postdigital“ zu gestalten, wurde bei der Veranstaltung im Januar, als jedes Team seine Ideen präsentieren durfte, auf eindrucksvolle Weise erlebbar. Fünf Schülergruppen stellten dabei jeweils etwa fünfminütige, multimediale Performances zum Thema „Gesellschaft im Wandel“ vor. „Eine Gruppe befasste sich mit dem aktuellen Rechtsruck, eine andere mit ‚Krieg und Frieden‘“, berichtet Josef Schaubruch. Die Schüler nahmen zum Beispiel mit GarageBand Sounds auf und sampelten Reden von Politikern wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Bei der Live-Aufführung der Performances wurden stets auch akustische Instrumente wie Bassflöte oder Geige gespielt.

Eine dritte Gruppe kreierte eine multimediale Performance, bei der es um ein Thema ging, das vielen jungen Leuten auf den Nägeln brennt: den Klimawandel. Hier wurde zusätzlich, unter Verwendung vorgefundener Bilder und selbst produzierten Materials, stark mit Visualisierung gearbeitet. Das Publikum im Mainzer Gymnasium sah Bilder ausgetrockneter Landschaften, verdörrter Natur und abgebrochener Eisschollen, auf denen Eisbären treiben.

Kehrseite Software
Wissenschaft bedeutet, auch immer die Kehrseite der Medaille zu betrachten. So geht denn auch das Mainzer Teilprojekt in dem mit 1,1 Millionen Euro vom Bundesbildungsministerium und der EU geförderten Verbund KuMuS-ProNeD kritisch an die Hybridisierung des Musikunterrichts heran. Die Nutzung von GarageBand etwa kann Josef Schaubruch zufolge durchaus hinterfragt werden. Wer diese Musikproduktionssoftware verwendet, unterstützt Apple. Der US-amerikanische Hard- und Softwareentwickler wiederum ist ein marktbeherrschendes Unternehmen. Als solches wurde es vor einem Jahr auch vom Bundeskartellamt eingestuft. Weltweit gehört Apple mit seinem App Store und weiteren Diensten zu den gewinnstärksten Konzernen. Das sollte man wissen. Auch auf die Presets muss laut Josef Schaubruch kritisch geschaut werden: „Hier finden sich kulturelle Stereotype.“ Dennoch entschied man sich, im Projekt GarageBand zu nutzen. Schließlich handelt es sich um eine Software, die weithin bekannt ist, mit der viele Musikfans schon Erfahrung haben und die leicht bedient werden kann.

Zudem ist sie auf jedem Apple-Gerät vorinstalliert und komplett kostenlos, wichtig in einer Zeit der Ressourcenknappheit. Diese wirkte sich auch während des Projekts deutlich negativ aus. Zwar kamen zum ersten Netzwerktreffen im November 2023 rund 50 Interessierte – Musiklehrer von Gymnasien und Gesamtschulen, Fachberater sowie Ausbilder von Referendaren. „Insgesamt beobachten wir jedoch eine Fortbildungsmüdigkeit“, so Josef Schaubruch. Dies jedoch läge nicht an mangelndem Interesse: „Viele Musiklehrerinnen und Musiklehrer haben schlicht keine Zeit, sie sind unter anderem mit administrativen Aufgaben sehr belastet.“ 

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