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Am Abend des ersten Kongresstages bringt Wolfgang Hentrich die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Deutschen Streicherphilharmonie zu musikalischen Höchstleistungen. Foto: Kai Bienert

Am Abend des ersten Kongresstages bringt Wolfgang Hentrich die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Deutschen Streicherphilharmonie zu musikalischen Höchstleistungen. Foto: Kai Bienert

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Auf dem Weg zur Musikschule der Zukunft?

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Warum selbst ein durchschnittlicher Musikschulkongress Hoffnung macht
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„Wir leben Musikschule“ – unter diesem Motto haben sich vom 9. bis 11. Mai laut dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) über 1.700 Teilnehmer:innen zum 27. Musikschulkongress in Dresden versammelt. Im Laufe der drei Tage wurden in und zwischen über 80 Veranstaltungen im Internationalen Congress Centrum Dresden (ICD), der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, dem Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden (HSKD) und dem Kraftwerk Mitte Fragen zur Zukunft, Bedeutung und dem Alltag von Musikschulen beziehungsweise Instrumental- und Gesangspädagog:innen erörtert, diskutiert und praktisch erkundet. Über alles spannten sich dabei die Fragen, was letztlich gute Musikschularbeit ausmacht, wo damit verbundene Herausforderungen und Besonderheiten liegen und wie mit diesen sinnvoll umgegangen werden kann.

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Zahlreichen Gästen bot sich bereits bei ihrer Anreise ein aussagekräftiger Empfang: Bevor man es in den Kongresstagen vor lauter Gesprächen, Vorträgen und Reflexionen womöglich vergessen würde, präsentierten zahlreiche Gruppen und Ensembles des HSKD an unterschiedlichsten Orten das, was alle Besucher:innen des Kongresses wahrscheinlich unabhängig vom Kongress verbindet – die Begeisterung für die Musik.

Die 14 unter dem Titel „Klangmeile“ zusammengefassten Konzerte junger Musiker:innen waren eine von drei gro­ßen Darbietungen, in denen das ambitionierte Selbstverständnis der Musikschulen nicht ausgesprochen, aber musikalisch zur Schau gestellt wurde. Mit den Auftritten an verschiedenen öffentlichen Orten Dresdens wurden die Kongressbesucher:innen begrüßt, aber auch die ganze Stadt beschenkt. Die „Klangmeile“ transportierte eine erste Botschaft: Musikschulen bereichern das öffentliche Kulturleben.

Die nächste große Darbietung gab es gleich zur Eröffnung zwischen den Redebeiträgen von Vertreter:innen der Politik, des Verbands und der Wissenschaft mit der Aufführung von Peter Lawrences „Viva la Musica! Eine Suite in vier Sätzen“. Für den gemeinsamen Riesenauftritt mehrerer großer Ensembles reisten das Orchester und die Bigband der Musikschule des Landkreises Meißen an, bildete das Robert-Schumann-Konservatorium Zwickau und das Vogtlandkonservatorium „Clara Wieck“ Plauen ein Blechbläserensemble aus ihren Schüler:innen und steuerte das HSKD mehrere Tanzgruppen, seinen Knaben- und seinen Mädchenchor sowie sein inklusives Percussionensemble „Happy Drummers“ bei. Für den Fall, dass die zugehörige Botschaft nicht klar geworden sein sollte, stand sie auch im Programmheft: „Musikschulen sind für alle da.“

Was die Musikschulen im Hinblick auf musikalische Exzellenz und Professionalität ihrer Schüler:innen zu bieten haben, wurde schließlich am Ende des ersten Kongresstages deutlich: Im exklusiven Rahmen des 2017 erneuerten Konzertsaals des Dresdner Kulturpalasts spielte die Deutsche Streicherphilharmonie ein tief beeindruckendes und mitreißendes Konzert. Das mit VdM-Musikschulschüler:innen aus ganz Deutschland bestückte Streichorchester wurde für diesen Anlass in der zweiten Hälfte wiederum mit 40 Schüler:innen aus sächsischen Musikschulen angereichert. Zum 80. Tag der Befreiung standen Werke von Ödön Pártos, Dmitri Schostakowitsch, Pjotr Tschaikowski und eine Uraufführung von HSKD-Schüler Raphael Leichsenrings „Traum vom Frieden“ auf dem Programm. Neben der ansteckenden Spielfreude legten starke Solopassagen auf Hochschulniveau und die hohe Präzision des Tutti schließlich das dritte implizite Statement des Tages nahe: Musikschulen bilden die Elite.

Hohe Ansprüche

Kulturleben bereichern, Diversität und Elitenbildung: Mit Ausnahme der Spitzenförderung deckt sich das breitbrüstig zur Schau gestellte Selbstverständnis der Musikschulen auch mit der tags zuvor auf der VdM-Bundesversammlung offiziell formulierten eigenen „gesellschaftlichen Funktion“. In der Dresdner Erklärung spricht der VdM von „Musikschulen als Orte der kulturellen Teilhabe, der Demokratiebildung und der Persönlichkeitsentwicklung“ und fordert „ordnungspolitisch wie auch finanzpolitisch“ die entsprechende Unterstützung beziehungsweise Förderung.

Denn finanziell, so verdeutlichen mehrere Redebeiträge auf der Eröffnungsveranstaltung im großen Saal des ICD gleich zu Beginn des Kongresses, stehen die Musikschulen ganz grundsätzlich unter Druck. Eine so schwierige Haushaltssituation habe sie noch nicht erlebt, erklärt beispielsweise Sachsens Staatsminis­terin für Kultur und Tourismus Barbara Klepsch (CDU). Neben sich recht schnell wiederholenden Verweisen auf musikalische Gänsehautmomente und ihren sich ebenso ausdauernd abnutzenden Dankesbekundungen gegenüber der Musikschularbeit, hat sie dazu auch eine substanzielle Information im Gepäck: Trotz der angespannten Lage, werde der Musikschulhaushalt in Sachsen nicht gekürzt.

Dass das für viele Musikschulen nicht reichen dürfte, geht aus dem Beitrag von Annekatrin Klepsch (Die Linke) hervor. Dresdens Kulturbürgermeisterin, die nach Aussage ihrer Nachrednerin Barbara Klepsch weder mit ihr verwandt noch verschwägert ist, verwies vorher bereits darauf, dass Dresdens Musikschulen auch ohne Kürzungen beispielsweise die Unterrichtsgebühren anziehen müssen. Zusätzlich zur allgemeinen Kostensteigerung stelle auch das Herrenberg-Urteil die Musikschulen nachhaltig unter Druck. Kulturbürgermeis­terin Klepsch forderte entsprechend, dass die Politik bundesweit nach einer nachhaltigen Lösung für die aktuelle Situation suchen müsse. Die aktuelle Situation sei sowohl für die Finanzen der Musikschulen nicht tragbar, aber auch für den Arbeitsalltag der Musikschullehrkräfte, die sich dann, anstatt einen Teil ihrer Energie in die zehrende Auseinandersetzung mit dem Herrenbergurteil zu stecken, nämlich wieder voll auf ihre eigentliche Profession konzentrieren können.

Den Eröffnungsvortrag, und damit die inhaltliche Überleitung zum eigentlichen dreitägigen Kongressprogramm aus Bühnengesprächen, Arbeitsgruppen, Themenforen, Managementangeboten sowie Projekt- und Ausstellerpräsentationen, hielt die Schweizer Betriebsökonomin und Unternehmensberaterin Barbara Josef. Mit reichlich Humor und einigen Spitzen teilte sie gegen den Hype-Begriff „New Work“ aus, stellte die krisengeschüttelte Gegenwart als ein „plastisches Zeitfens­ter“ heraus, aus dem sich aktiv produktive Lehren ziehen ließen.

Die Musikschulen stellen hohe Ansprüche an sich stellen. „Wir leben Musikschule“ war das Motto dieses VdM-Musikschulkongresses. Unabhängig von der Finanzierung stellt sich dadurch die große Frage: Wie gelingt es, Musikschule entsprechend zu leben?

Das Kongressangebot war so reichhaltig, dass es diese Frage, auch mit individuellen Schwerpunktsetzungen, locker hätte beantworten können müssen. Ob die jeweilige Auswahl der Vorträge und Workshops, deren Themen sich von instrumentengruppenspezifischer Didaktik, Einblicke in allgemeine pädagogische Forschung und fachlich unabhängige Unterrichtspraxis über Verwaltungsfragen bis hin zu strukturellen Zielsetzungen und deren soziologischen Hintergründen erstreckten, die Fragen letztlich haben beantworten können, war aber auch eine Frage des Glücks.

Durchwachsener Kongress

Denn selbstverständlich kann nicht jeder Programmpunkt in der jeweiligen Auswahl den verschiedenen Ansprüchen der Besucher:innen gerecht werden. Garantiert ist jedoch, dass einige der über 80 angebotenen Veranstaltungen die Erwartungen von vielen übertroffen haben, wenn auch ähnlich viele darunter zurückblieben. So überzeugte beispielsweise Max Milles Beitrag zu Chancengleichheit im Kontext von Musikschule und sozialer Herkunft: Ein Vortrag mit geschickt eingesetzter Interaktivität, der einen umfangreichen Einblick in die teils strukturellen Probleme und Herausforderungen lieferte, die Musikschulen zunächst erst anerkennen und dann überwinden müssen, um dem Anspruch „für alle“ da zu sein, auch wirklich gerecht werden zu können. Generell konnte der Kongress bei vergleichbaren Themen punkten. Das Bewusstsein dafür, dass Inklusivität und Diversität nicht allein durch finanzielle Förderprogramme oder Kooperationen mit Brennpunktschulen gewährleistet wird, scheint sich an den deutschen Musikschulen immer weiter zu verbreiten.

Als eine herbe Enttäuschung stellte sich jedoch beispielsweise das Plenum „Roundtable zu KI“ heraus. Die Talkrunde, die zeitlich so gelegt war, dass möglichst viele ihr beiwohnen konnten, war mit der Ansage ins Rennen gegangen, „spannende Einblicke in unterschiedliche Perspektiven auf KI und ihre Rolle für die Zukunft der Musikschulen“ zu bieten. Damit hat die Runde den Nerv der Zeit getroffen. Geliefert wurde jedoch eher Ernüchterung.

Das vom scheidenden VdM Bundesgeschäftsführer Holger Denckmann moderierte Gespräch zwischen Thomas Hanz, dem Referenten Digitalisierung in der Musikpädagogik des Nord­rhein-Westfälischen Musikschul-Landesverbands, Rainer Kropf, dem Leiter der Musik- und Kunstschule Böblingen, Sebastian Murgul von der KI-Audioanalysefirma Klangio und ChatGPT bestand im Hinblick auf die Musikschulrealität primär aus frei assoziierten Wünschen und Visionen, denn aus wirklichen Einblicken, wie der Einsatz von KI die Musikschulen entlasten könne.

Interessante Aspekte des Gesprächs blieben zum einen die Einschätzung von Rainer Kropf, für einen erfolgreichen KI-Einsatz an Musikschulen zunächst die verbreiteten Ängste vor der Arbeit mit künstlichen Intelligenzen auflösen zu müssen. Dass ChatGPT als anwesende KI mit der Talk-Situation völlig überfordert war und zunehmend dazu neigte, die Gesprächspartner – wenn auch mit stoischer Höflichkeit – über die Saallautsprecher zu unterbrechen, dürfte zumindest im Publikum nicht zur Zerstreuung der Berührungsängste beigetragen haben.

Zum anderen lieferte Klangio-Chef Sebastian Murgul einen interessanten Einblick zum Stand von Audioanalyse-KI. Er prognostizierte, dass seine Firma innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre mittels KI ein akkurates Notentranskript einer isolierten Gitarrenaufnahme liefern könne und in 10 Jahren auch mit einer instrumentengenau und fehlerfrei „abgehörten“ Orchesterpartitur zu rechnen sei.

Kritisch wurde das es, als die Runde auf den EU AI-Act zu sprechen kam. Diese Regelung klärt ab voraussichtlich 2026, wie KI in Europa genutzt und trainiert werden darf. Murgul kritisierte den AI-Act entschieden dafür, dass der Bildungssektor darin der höchsten Sicherheitsstufe zugewiesen wurde – diese Innovationshemmende Entscheidung stehe laut Murgul in keinem Verhältnis zu dem im Bildungssektor bestehenden Sicherheitsrisiko. Diese Aussage traf in der Gesprächsrunde zumindest auf keinen hörbaren Widerstand. Dass es unabhängig von den möglichen Innovationsmöglichkeiten verantwortungslos wäre, die Arbeit mit jungen und sich intellektuell noch stark im Wachstum befindlichen Menschen für KI-Experimente zu nutzen, blieb also ungesagt.

Gleichwohl war dieses Plenum nicht der Hauptschauplatz des Kongresses – das Hauptaugenmerk lag ohnehin auf keinem einzelnen Beitrag oder Workshop, sondern wenn überhaupt auf der Vielfalt des Programms.

Wie zukunftsweisend eine Musikschulen ist hängt letztlich an den jeweiligen Menschen. Solange sich deren grundsätzliches Denken aber in der inhaltlichen Gestaltung dieses Kongresses widerspiegelt, steht es gut um das Zukunftspotenzial der Musikschulen.

Zum Ende ihres Eröffnungsvortrags erzählte Barbara Josef eine Anekdote aus einem Jugendgefängnis, das den Insassen ermöglicht habe, Instrumente zu lernen. Die zuständige Pädagogin habe berichtet, das dies bei einem Insassen in Tränen geendet ist: „Instrumente hatten immer nur die Kinder aus den ‚guten Familien‘“, habe er gesagt. „Jetzt gehöre ich auch dazu.“

Musikschulunterricht kann eine unglückliche Biographie nicht ungeschehen machen. Die damit verbundenen Erfahrungen können aber zu einem glücklicheren Leben führen. Und auch wenn ein Potenzial besteht, macht das alleine noch keine Musikschule der Zukunft. Dafür braucht es fortschrittlich denkende Lehrkräfte, einen motivierend Impuls wie solch einen Kongress und letzten Endes auch einen den Prozess tragenden politischen Willen.

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