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«Die Glasmenagerie»: Ballett über Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume
«Die Glasmenagerie»: Ballett über Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume
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«Die Glasmenagerie»: Ballett über Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume

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Hamburg - Nach «Endstation Sehnsucht» bringt John Neumeier Tennessee Williams' Theaterstück «Die Glasmenagerie» als Ballett auf die Bühne. In der Hauptrolle glänzt Ballettstar Alina Cojocaru. Lesen Sie eine Rezension von Carola Große-Wilde, dpa.

Wie tanzt eine Frau, die eigentlich nicht tanzen kann, weil sie gehbehindert ist? In seinem neuesten Ballett «Die Glasmenagerie» nach Tennessee Williams hat John Neumeier eine simple, aber effektive Lösung gefunden: Der linke Fuß von Ballettstar Alina Cojocaru steckt in einem Spitzenschuh, der rechte Fuß in einem Schuh mit Absatz. Wenn die weltweit gefeierte Solistin, regelmäßiger Gaststar des Hamburg Ballett, normal geht, geht sie nun wie jemand, der gehbehindert ist. Ganz vorsichtig tastet sie sich so voran, zart, zerbrechlich - wie die titelgebende «Glasmenagerie».

Hamburgs Ballett-Chef John Neumeier hat das Theaterstück als Ballett über die großen Sehnsüchte der Menschen auf die Bühne gebracht. Das Premierenpublikum spendete am Sonntagabend in der Hamburger Staatsoper langanhaltenden Applaus für die knapp dreistündige Inszenierung mit Musik von Charles Ives, Philip Glass und Ned Rorem, die musikalische Leitung hatte Simon Hewett. Im Mittelpunkt des Kammerspiels, das 1944 uraufgeführt wurde, steht das Schicksal der Familie Wingfield, deren Mitglieder allesamt Gefangene ihrer Illusionen und enttäuschten Hoffnungen sind.

Alle Familienmitglieder flüchten sich auf ihre Weise in eine andere Welt: Die verlassene Mutter Amanda (Patricia Friza) schwärmt von ihrer Jugend in der Südstaatenaristokratie, mit der die ärmlichen Verhältnisse, in denen sie nun lebt, nichts gemein haben. Ihr Sohn Tom (Félix Paquet), der in einer Schuhfabrik schuften muss, ist hin- und hergerissen zwischen seiner Verantwortung für die Familie und seinem Wunsch, auszubrechen und Maler zu werden. Seine schüchterne Schwester Laura (Alina Cojocaru) lebt in ihrer eigenen Traumwelt mit den zerbrechlichen Glastieren ihrer Glasmenagerie.

John Neumeier gelingt es, die unausgesprochenen Wünsche der Familienmitglieder in eine starke Bewegungssprache zu übersetzen. Mit purer Verzweiflung klammert sich die Mutter an ihre einstigen Verehrer, Tom versucht immer wieder, aus dem (Familien-)Gefängnis zu fliehen. In seltenen Momenten - wie bei einem Besuch im Kino - lässt Laura alle Ängste hinter sich und tanzt fröhlich und ausgelassen als Scarlett O'Hara zusammen mit ihrem Rhett Butler. Hoffnung auf ein Happy End verspricht der Besuch von Toms Arbeitskollegen Jim (Christopher Evans). Doch alle Träume zerbrechen, als plötzlich seine Verlobte an der Wohnungstür auftaucht.

Wie seine anderen Werke weist auch «Die Glasmenagerie» starke autobiografische Züge auf. Wie Tom hatte Tennessee Williams, als Erzähler auf der Bühne von Edvin Revazov verkörpert, eine Schwester, die psychisch krank war. Auch er musste zunächst in einer Fabrik arbeiten, bevor er Schriftsteller wurde. Das in dem Theaterstück unausgesprochene Thema der Homosexualität spricht John Neumeier durch Ausflüge Toms ins Nachtleben direkt an.

«Ich fühle mich Tennessee Williams in vielerlei Hinsicht eng verbunden», sagt John Neumeier im Programmheft. «Arthur Miller hat über Tennessee Williams nach dessen Tod gesagt, dass er die Poesie zurück auf die Bühne gebracht habe. Auch ich sehe meine Werke weniger als Demonstration von technischem Können, sondern eher als Körper-Gedichte, als plastisches Theater, wie Tennessee Williams es auch genannt hat.»

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