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Interview mit Oliver Reese: Wir haben die Theaterautoren ausgegrenzt

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Berlin - Ein starkes Schauspieler-Ensemble und eine geballte Ladung Zeitgenössisches. Oliver Reese (53), Nachfolger von Claus Peymann am Berliner Ensemble (BE), hat sein Programm für die erste Spielzeit vorgestellt. «Wir schätzen Stücke, in denen die guten alten Tugenden des Theaters eine zentrale Rolle spielen: Drama, Figuren, Dialog, eine Geschichte und ein starkes Thema», sagt Reese im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Sie gelten als Mann des Schauspieler-Theaters. Was genau verstehen Sie unter Schauspieler-Theater?

Antwort: Unter Schauspieler-Theater verstehe ich das, was sich darunter zu verstehen gehört: Nämlich als Kern ein festes Ensemble. Schauspieler, die drei, vier Rollen pro Jahr spielen. Schauspieler, die das Publikum wiedererkennt und wegen derer es auch ins Theater geht. Mit unseren 28 festangestellten Schauspielern machen wir im Kern den ganzen Spielplan. Ich finde es sehr gefährlich, die Struktur des Ensemble- und Repertoiretheaters aufzulösen. Denn ohne Ensemble gibt es auch kein Repertoire. Soll heißen: Keine täglich wechselnden Vorstellungen, nicht die Lebendigkeit eines großen, breiten Angebots.

Frage: Dann ist es für Ihre Ensemble-Mitglieder sicher schwierig, zwischendurch mal einen «Tatort» oder einen Kinofilm zu drehen...

Antwort: Ich bin für das Drehen. Denn am Theater wird kein Schauspieler reich. Aber natürlich hat das Theater Terminpriorität. Und: das Theater hat dem Schauspieler schließlich auch etwas zu bieten. Nämlich die Möglichkeit, sich mit den Regisseuren am Haus zu entwickeln. Es gibt kein Dogma gegen das Drehen, ganz im Gegenteil. Das Publikum freut sich doch, wenn es Judith Engel oder Corinna Kirchhoff gestern im Fernsehen gesehen hat und jetzt auf der Bühne.

Frage: Mit welchen Regisseuren werden Sie arbeiten?

Antwort: Michael Thalheimer wird Hausregisseur und Mitglied der Künstlerischen Leitung. Er wird in Zukunft Schauspiel in Berlin exklusiv nur noch am Berliner Ensemble inszenieren. Jedes Jahr zwei Stücke. Michael Thalheimer hat damit eine neue Heimat. Thalheimer inszeniert zur Eröffnung «Der kaukasische Kreidekreis» - das Stück, das Brecht selber zu Beginn seiner Zeit am Berliner Ensemble inszeniert hat. Frank Castorf wird die nächsten fünf Jahre in Berlin Schauspiel ebenfalls exklusiv am Berliner Ensemble inszenieren. Er nimmt sich zuerst eines großen Romanstoffes an, der es verrückterweise nur auf die Musicalbühne, aber nie auf die Theaterbühne geschafft hat: Victor Hugos «Les Misérables». Unbenommen davon kann es sein, dass Thalheimer und Castorf in Berlin an der Oper inszenieren. Kontinuierlich am Haus arbeiten werden außerdem die Regisseure David Bösch und Antú Romero Nunes. Außerdem inszenieren am Berliner Ensemble die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik und Ola Mafaalani, eine Holländerin mit syrischen Wurzeln.

Frage: Werden Sie auch selbst inszenieren?

Antwort: Ich selbst bringe «Panikherz» von Benjamin von Stuckrad-Barre zum ersten Mal auf die Bühne. Ein großer Stoff, der auch junge Leute packen könnte. Es wird sehr viel Musik geben, dieser Text ist ja durchdrungen von Musik, hauptsächlich der von Udo Lindenberg.

Frage: Beim Theatertreffen war gerade viel Performance-Kunst zu sehen. Sie setzen aber nicht nur auf Schauspieler-Theater, sondern auch auf Autoren-Theater ...

Antwort: Wir haben in Deutschland etwas richtig falsch gemacht mit unseren Autoren. Es gab eine Zeit, da hatte der deutschsprachige Raum die stärksten Theaterschreiber zu bieten: Heiner Müller, Thomas Bernhard, Botho Strauß, Franz Xaver Kroetz. Es war vollkommen selbstverständlich, dass sie in den großen Häusern uraufgeführt wurden und danach im ganzen Land nachgespielt wurden. Das ist vorbei.

Frage: Warum?

Antwort: Weil wir die Autoren ausgegrenzt haben. Wir haben viele Förderprogramme für die jungen Autoren. Diesen Autoren haben wir aber nur die Nebenbühnen und die kleinen Häuser gegeben. Es ist wichtig, dass wir neue Stücke auch im großen Haus spielen. Wir müssen mehr über den Tellerrand gucken und auch schauen, welche internationalen Autoren es gibt, die wir spielen können. Der Schriftsteller Moritz Rinke wird als Mitglied des BE-Leitungsteams der Chef eines neuartigen Autorenprogramms sein. Wir sprechen gezielt Autoren an, deren Arbeit uns auffällt. Zum Beispiel wird der Filmemacher Burhan Qurbani für uns ein Stück entwickeln. Wir wollen die Autoren in die Theaterarbeit einbinden und nicht einfach abwarten, bis ein neues Stück fertig ist.

Frage: Wie muss ein Stück aussehen, das am neuen Berliner Ensemble Premiere feiert?

Antwort: Wir schätzen Stücke, in denen die guten alten Tugenden des Theaters eine zentrale Rolle spielen: Drama, Figuren, Dialog, eine Geschichte und ein starkes Thema.

Frage: Wie politisch wird das neue Berliner Ensemble sein?

Antwort: Es wird sicher sehr politisch sein. Von 17 Premieren sind 12 von lebenden Autoren. Und wenn man sich dem Gegenwärtigen verschrieben hat, dann kommt man an unserer Zeit ja gar nicht vorbei. Aber politisch vielleicht in einem nicht so plakativen Sinne. Es sind Stücke, die vom Leben und also auch von Gesellschaft erzählen.

Frage: Ihr Vorgänger Claus Peymann hat Sie unter anderem als «Repräsentant einer Generation von gescheiten, gut informierten, aber handzahmen Verwaltern» bezeichnet. Wie geht man mit solch fortgesetzten Anwürfen um?

Antwort: Ganz einfach: Man schlägt die Einladung ins Schlammbad aus. Mein Gott, wir alle sind in diesem Beruf wahrscheinlich auch von latentem Größenwahn nicht ganz uninfiziert. Und jeder von uns Theaterleitern meint vielleicht heimlich, dass er es schöner macht als die anderen. Ich sage es allerdings nicht so laut. Auf der Arbeitsebene laufen die notwendigen Dinge jedoch durchaus. Ich kann im Haus ungehindert und unterstützt Bauproben durchführen oder und Gespräche führen.

Frage: Aber Peymanns Büro werden Sie nicht weiter nutzen...

Antwort: Nein, sein Büro nutze ich nicht weiter. Aber nicht aus Karma-Gründen, sondern aus ganz praktischen Gründen. Das Berliner Ensemble leidet unter großer Platznot. Das jetzige Intendantenbüro ist sehr groß und dort werden zukünftig unsere Assistenten einziehen. Ich nehme ein normal großes Büro.

Antwort: Welche BE-Inszenierungen werden Sie in Ihr Repertoire übernehmen?

Frage: Wir übernehmen selbstverständlich das Stück Theatergeschichte schlechthin, das Berlin zu bieten hat: Heiner Müllers Brecht-Inszenierung «Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui», die sogar noch vor der Zeit von Claus Peymann Premiere hatte. Außerdem übernehmen wir Jürgen Goschs «Der Gott des Gemetzels», die Robert-Wilson-Inszenierungen «Die Dreigroschenoper» und «Endspiel» sowie Peymanns «Prinz Friedrich von Homburg».

ZUR PERSON: Oliver Reese, geboren 1964 in Schloss Neuhaus bei Paderborn, ist in Berlin kein Unbekannter. Von 1994 bis 2001 war er Chefdramaturg am Berliner Maxim Gorki Theater. Danach wurde Reese Chefdramaturg und Stellvertretender Intendant unter Bernd Wilms am Deutschen Theater Berlin. Dort arbeitete er unter anderem mit Hans Neuenfels, Robert Wilson, Michael Thalheimer und Jürgen Gosch. In der Spielzeit 2008/09 war Oliver Reese Intendant am Deutschen Theater Berlin. Ab der Spielzeit 2009/10 leitete er das Schauspiel Frankfurt.

 

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