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«Schön singen reicht nicht» - Thomas Quasthoff wird 60

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Berlin - Ohne diesen Preis wäre er wohl nicht soweit gekommen, sagt Thomas Quasthoff ganz sachlich. Der Sieg im ARD-Wettbewerb Gesang 1988 öffnete dem jungen Mann, der «die Träne im Ton» hatte, wie es Starsopranistin Anneliese Rothenberger einmal sagte, den Sprung zu einer beispiellosen Weltkarriere. Eine Karriere, die er für sein Publikum viel zu früh beendete und nach der sich der Sänger neu erfinden musste. Morgen wird er 60 Jahre alt.

Quasthoff will an diesem Samstag nicht zurückblicken - und auch nicht feiern. «Wir gehen mit meiner Familie essen.» Quasthoffs Frau Claudia schmunzelt im Hintergrund. Vielleicht gibt es doch eine Überraschung?

Quasthoff, das wird im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur deutlich, neigt nicht zur Sentimentalität, wenn er über sich erzählt. Ja, er habe mit allen großen Dirigenten gesungen. Claudio Abbado, Daniel Barenboim, Mariss Jansons, Simon Rattle, Bernard Haitink, Helmuth Rilling. Oper und Oratorien, Liederabende. Mahler, Schubert, Brahms, die «Matthäus-Passion» und «Parsifal». Viele Preise bekam er, darunter drei Grammys. Ein wenig Stolz schwingt da schon mit, wenn er über diese Zeit berichtet, verklärend ist es nicht.

Als «Contergan»-Kind ohne Arme zur Welt gekommen, hat Quasthoff seine Behinderung nie als Nachteil für seinen Beruf gesehen. «Da würde ich wohl heute nicht mehr auf der Bühne stehen.» Ja, klar, er werde älter, die Contergan-Schädigung hinterlasse Spuren. «Mein Rücken ist nicht mehr so fit wie früher.» Vor Jahren habe die Prognose gelautet, dass er im Rollstuhl sitzen werde. «Sehen Sie hier einen Rollstuhl?»

Nein, ein Rollstuhl ist nicht zu sehen. «Ich kann immer noch zu Fuß gehen. Und dafür bin ich irrsinnig dankbar.» Das habe auch damit zu tun, dass «die beste Frau der Welt» an seiner Seite stehe.

Dass er eine besondere Stimme hat, wusste der in Hildesheim geborene Quasthoff früh. Weil er aber wegen seiner kurzen Arme und Beine nicht gut Klavier spielen kann, wurde er zunächst vom Musikstudium ausgeschlossen. In Hannover studierte er Gesang und Jura, begann zunächst als Sprecher beim Norddeutschen Rundfunk. 1987 gewann er den Würzburger Mozart-Wettbewerb, 1988 dann bei der ARD.

Mit seinem warmen Bassbariton, mit dem er zuweilen Tenorhöhen erreichte, doch vor allem mit seinen klugen Interpretationen sorgte er fortan als Liedinterpret für Furore. Mit schönem Singen rühre man Menschen aber nicht, man müsse auch schon etwas zu sagen und zu wagen haben. Seine Behinderung wurde auf der Bühne zum Symbol für die Verletzlichkeit des Menschen.

Mit unbändiger Energie ließ er sich auf die Rollen ein, ob als Gralshüter Amfortas in Wagners «Parsifal» oder Minister in Beethovens «Fidelio». Doch 2010 erlebte er einen Bruch. Sein Bruder Michael, dem er sehr nahe stand, starb mit 52 Jahren an Krebs, seine Mutter war ein dreiviertel Jahr vorher gestorben, Quasthoff machte eine Ehekrise durch. Da blieb plötzlich die Stimme weg.

Die Stimmbänder waren völlig in Ordnung, wusste Quasthoff. «Ich habe eine verletzte Seele gehabt.» So entschied er sich, ein neues Leben zu beginnen - und kehrte der klassischen Musik als Interpret den Rücken. Fortan wollte er nur Jazz singen. In den Titeln etwa aus dem Great American Songbook oder den Bernstein-Songs entdeckte er eine neue Freiheit. «Da kann ich Tonarten wählen, die zu mir passen.»

Der Jazz war für ihn kein Neuland. «Ich habe immer Jazz gemacht und immer Jazz gehört. Wir hatten einen Nachbarn, der eine Single-Sammlung hatte, mehr als 300 Titel, von Bix Beiderbecke über Louis Armstrong bis Sydney Bechet - die habe ich rauf und runter gehört und aufgenommen.» Die Entscheidung, mit der Klassik aufzuhören, sei genau richtig gewesen, die beste seines Lebens.

Im Jahr 2004, zur Verleihung des Alternativen Nobelpreises, sang er mit der Berlin Philharmonic Jazz Group. Der Trompeter Till Brönner saß damals im Publikum. Nach einem ersten Treffen machten beide Musiker alles klar: Die Idee für eine gemeinsame Jazz-CD war geboren. Schnell einigten sich beide auf die Songs.

Doch ganz hat er die Brücken zur Klassik nicht eingerissen. Im kommenden Jahr wird er auf Einladung von Daniel Barenboim, den Quasthoff gegen alle Angriffe der jüngsten Zeit verteidigt, in Arnold Schönbergs «Ein Überlebender aus Warschau» an der Berliner Staatsoper in einer Sprecherrolle auftreten. Als Lehrer an der Berliner Musikhochschule «Hanns Eisler» bildet er Sänger für «den schönsten Beruf der Welt» aus.

Doch unterwegs ist er vor allem als Jazz-Sänger. Dann setzt er seinen ganzen Charme ein und stützt sich auf seine «drei Jungs» Frank Chastenier (Piano), Dieter Ilg (Kontrabass) und Wolfgang Haffner (Schlagzeug). «Zwischen uns vieren passiert im Konzert wirklich etwas Besonderes.»

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