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Ungarischer Komponist Peter Eötvös eröffnet Festival «Greatest Hits» in Hamburg. Foto: Marco Borggreve
Schöpfer kosmischer Klangwelten - Komponist Peter Eötvös wird 75. Foto: Marco Borggreve
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Schöpfer kosmischer Klangwelten - Komponist Peter Eötvös wird 75

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Budapest - Als am 12. April 1961 der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch ins Weltall flog, hat das einen 17-jährigen Budapester Musikstudenten zutiefst beeindruckt. Spontan schrieb er sein Opus No. 1, das Klavierstück «Kosmos». «Ich wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass nicht nur unsere kleine Umgebung auf der Erde vorhanden ist, sondern dass es auch außerhalb von uns etwas gibt», erinnerte er sich in einem Interview 56 Jahre später. Am heutigen Mittwoch wird der ungarische Komponist, Dirigent und Lehrer Peter Eötvös 75 Jahre alt.

Der Schöpfer von zehn Opern und von Orchesterstücken mit Titeln wie «Psychokosmos» (1993), «Seven - Memorial for the Columbia Astronauts» (2006), «Multiversum» (2017) oder «Reading Malevich» (2018) wurde 1944 geboren. Dass er in Odorheiu Secuiesc (heute Rumänien) das Licht der Welt erblickte, verdankte sich dem Zufall. Sein Vater hatte dort im Zweiten Weltkrieg als Soldat gedient.

Schon als Kind wollte Eötvös Komponist werden. Im Alter von 14 Jahren nahm ihn der große ungarische Komponist Zoltan Kodaly (1882-1967) als Schüler an der renommierten Budapester Franz-Liszt-Musikakademie auf. 1963 erhielt er sein Diplom als Komponist. Von 1964 bis 1966 studierte er mit einem Stipendium an der Musikhochschule Köln Dirigieren.

Noch als Student von Kodaly war der Teenager Eötvös als Auftragskomponist der Budapester Filmfabrik und großer Budapester Theater gefragt. Köln hingegen war in den 1960er-Jahren ein Zentrum der aufstrebenden Neuen Musik. Für Eötvös erschloss sich dort eine neue Welt. Karlheinz Stockhausen (1928-2007) holte ihn 1968 in sein Ensemble. Von 1971 bis 1979 arbeitete er am Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln. In der internationalen Szene der zeitgenössischen Musik erwarb sich der junge Tonsetzer aus Budapest zunehmend Rang und Namen.

1979 holte ihn Pierre Boulez (1925-2016) zu dem von ihm gegründeten Ensemble Intercontemporain. 1998 schaffte Eötvös mit den «Drei Schwestern» nach Tschechow, uraufgeführt 1998 in Lyon, den internationalen Durchbruch als Opernkomponist. Die Oper wird seitdem immer wieder gerne gespielt, zuletzt an der Oper Frankfurt zur Eröffnung dieser Saison. Mit seinen Werken und als Dirigent zeigt Eötvös vor allem in den Konzerthäusern und Musiktheatern Deutschlands starke Präsenz.

Der Kosmos jenseits unserer Erde, die Möglichkeit von Parallel-Universen, die Vielzahl von Dimensionen, die Relativität des Raum-Zeit-Kontinuums sind Motive, die Eötvös in seiner Musiksprache nicht loslassen. Klänge verweben sich bei ihm zu Flächen, Teppichen, Kaskaden. Manchmal reduzieren sie sich unmerklich zu einzelnen Tönen, die schwirrend und vibrierend im Raum stehen, ehe sie sich verflüchtigen.

Die Klangwelten des Peter Eötvös sind aus mannigfaltigen Elementen gefügt. Im 30-minütigen Orchesterstück «Multiversum», uraufgeführt im Oktober 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie, spielt die räumliche Anordnung der ausführenden Musiker eine zentrale Rolle. Zwei Kirchenorgeln bauen im Vordergrund einen Klangkosmos auf, die Töne einer Hammond-Orgel werden über Mikrofone von hinten eingespeist, während die verschiedenen Gruppen von Instrumentalisten nach einem genauen Plan des Komponisten über das Podium verteilt sind. «Das erzeugt einen multi-versalen Klang, sodass aus verschiedenen Ecken verschiedene Ereignisse entstehen», beschreibt es Eötvös.

In den «Drei Schwestern» reduziert der Ungar den Handlungsstrang des Tschechow-Stücks auf den Aspekt Abschied. Die Rollen der drei Schwestern sowie die der Schwägerin besetzt Eötvös mit Kontratenören, also Männern. «Jemand wird für immer verlassen. Ich wollte nicht eine Familiengeschichte verfolgen, sondern die emotionale Seite verstärken - es geht um ALLE Abschiede», sagte er vor der Frankfurter Premiere im letzte September der Deutschen Presse-Agentur.

Sein enormes Wissen gibt Eötvös gerne an die jüngeren Generationen weiter. Er lehrte an den Musikhochschulen in Köln und in Mannheim, er leitet bis heute immer wieder Meisterkurse. Die von ihm gegründete Peter-Eötvös-Stiftung für Zeitgenössische Musik fördert junge Komponisten, Dirigenten, Musiker, Musikwissenschaftler und Dramaturgen.

Bei aller Universalität wurzelt seine Musik auch in den Traditionen der Volksmusiken Ungarns und des Karpatenbeckens. Zoltan Kodaly, sein erster Lehrer, war einer der bedeutendsten Sammler und Bearbeiter dieses Musikgutes. Für Eötvös blieb sein Geburtsort Odorheiu Secuiesc (ungarisch: Szekelyudvarhely) in Transsilvanien ein Bezugspunkt, um den herum er sich eine eigene mythische, von archaischen Klängen gesättigte Traumwelt konstruiert hat. Aufgesucht hat er seinen Sehnsuchtsort tief drinnen in den Karpaten freilich noch nie. Wie er einmal sagte, will er das auch nicht mehr tun: «Ich möchte diesen Traum irgendwie behalten.»

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