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Sven Ferchow. Selfie

Sven Ferchow. Selfie

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Das flüssige Frühstück der Verdrängung

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Ferchows Fenstersturz 2025/06
Vorspann / Teaser

Was jahrzehntelang über die Volksmusik- und Schlagerszene nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde, scheint aktuell exzessive wie öffentliche Ausmaße anzunehmen. Gut, dass Stefan Mross mal eine Maß zu viel hebt, geschenkt. Aber als der Konzertmanager Klaus Leutgeb auf der letzten „Wiesn“ mit Kokain erwischt wurde (hervorragende Ausrede: „Niemand Dritter kam zu Schaden“), schien dies ein Hinweis zu sein, dass es sich in der Branche eher um einen Sau(f)stall handelt. Und nun ist es Heino, der sich gar nicht mehr die Mühe macht, etwas zu kaschieren, sondern uns mit seinem neuen Song „Ein Gläschen am Morgen“ gleich reinen Wein einschenkt. Es darf offiziell gebechert werden. Und obwohl Heinos Verbrauchertipp stark adressatenbezogen scheint (wer, wenn nicht Heinos Rentner-Rudel, kann sich nach dem Aufstehen ein Fläschchen Doornkaat gönnen), sollte man untersuchen, ob dieser gepflegte Kontrollverlust gesamtgesellschaftlich derart glorifiziert werden darf.

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Deshalb: Eine nähere Betrachtung, ob Heinos Liedchen lediglich als Soundtrack für alle, die gerne vor dem Einsetzen der Dritten lallen, dient. Oder ob der Song schlicht als winziger Vitaminschub verstanden werden sollte: Obstler statt O-Saft. Denn eventuell handelt es sich bei Heinos Hymne um eine tiefenpsychologische Ode an die Schnapsflasche in Kombination mit einem Lobgesang auf die heitere Selbstaufgabe. Literaten mögen in „Ein Gläschen am Morgen“ gar einen hermetischen Zynismus erkennen. Denn während sich zahlreiche Künstler bemühen, kritische Töne in die Welt zu setzen (Bob Dylan, Bob Dylan und Bob Dylan) ruft Heino eher enthusiasmiert zum musikalischen Frühschoppen auf und propagiert die wohltuende Wirkung eines Stamperls Korn, während sich die Kukident-Tablette schwerfällig im Wasser auflöst. Eine beruhigende Botschaft an alle: „Trink ruhig, es ist ja erst acht Uhr“! Was so harmlos als Hausarzt-Empfehlung daherkommt („Ein Gläschen am Morgen“), dezent nach volkstümlicher Wellnesskur und Kaffeeersatz klingt, mag tatsächlich die Feststellung sein, dass ein weiterer Tag am besten in einer sanften Nebelwand aus Fusel zu ertragen ist (Zitat: „Ein kleines Gläschen, ein Gläschen am Morgen, vertreibt alle Sorgen und tut mir so richtig gut“). Welch poetischer Euphemismus für das Bekenntnis: „Ich bin längst abgestumpft und will es nicht merken.“ 

Aber auf Ernst. Erhebt Heino an dieser Textstelle das Trinken nicht quasi zur täglichen Pflicht? Ist alles erst lebenswert, wenn die Morgensonne in der Pfütze des verschütteten Obstlers glänzt? Am Ende bleibt nur eine Schlussfolgerung. „Ein Gläschen am Morgen“ sollte nur mit Warnhinweis verkauft werden: „Der Konsum des Titels kann zum Schöntrinken und zu Sehstörungen führen. Hören Sie verantwortungsbewusst und schützen Sie Ihre Familie“.

Also, liebe Altherrenstammtische. Ein letztes Prosit auf Heino, den musikalischen Apotheker der Seele, und die Gesundheit. Oder was davon noch übrig ist.

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