Der Karikaturenstreit ist selbst zur Karikatur verkommen. Und der Westen steht durchaus nicht gut da. Die europäische Welt verweist immer wieder auf die bei uns errungene Pressefreiheit und erhebt den Zeigefinger gegen den Islam. Das müsse dieser halt noch lernen: Die freie Presse kämpfe mit der Gewalt des Wortes und diese Gewalt richte sich auch manchmal unliebsam gegen einzelne Personen oder Gruppen. Demokraten halten das aus.
Diese Argumente wurden angeführt, um sich vor einem zu drücken: vor der Entschuldigung für die zunächst in Dänemark und dann noch in verschiedenen anderen Medien veröffentlichten Karikaturen des Propheten Mohammed, wo man diesen zum Beispiel mit einem im Turban versteckten Sprengsatz sehen kann. Dies verletzte tiefreligiöse Gefühle in den islamischen Ländern. Es bestätigte den dort immer wieder aufkommenden Verdacht, dass der Westen zwar am arabischen Öl oder an anderen Geschäftsbeziehungen zu den islamischen Ländern interessiert sei, dass er aber sonst die Region für zurückgeblieben, für im Mittelalter stehen geblieben halte. Eine Entschuldigung seitens der dänischen Regierung, der sich auch die anderen Länder angeschlossen hätten, in denen die Karikaturen erschienen sind, hätte vieles entzerrt. Im Grunde hätte sie sich von selbst verstanden.
Natürlich geht es gar nicht um Pressefreiheit, ohne dass hier ein genauerer Blick darauf geworfen werden soll, wie es um diese bei uns wirklich bestellt ist. Freiwillige Selbstzensur, das wissentliche Verbreiten von Lügen, wenn sie ins politische Umfeld passen, aber auch der Verlust von Arbeitsstellen oder der Veröffentlichungsmöglichkeiten, wenn ein Artikel zu sehr gegen herrschende Interessen verstößt, all dies ist durchaus an der Tagesordnung. Unsere vom Gesetz verbriefte Freiheit der Presse – das Erkämpfen dieser Rechte sei gar nicht abqualifiziert, es ist eine große Errungenschaft – endet schnell an übergeordneten Machtverhältnissen.
Sachen, die man vom Gesetz her vielleicht sagen darf, können die Gefühle anderer verletzen. Wenn man zum Beispiel gegenüber einem Arbeitslosen erwähnt, dass viele Arbeitslose gar keine Lust zum Arbeiten haben, dann kann man sich gegenüber dem dadurch Verletzten nicht mit dem Recht auf freie Meinung herausreden. Wenn man einem Kind etwas Beleidigendes sagt und dieses, vielleicht unbeabsichtigt, tief erschüttert, dann kann man nicht damit argumentieren, dass sich das Gesagte im Rahmen der Legalität bewege.
Es ist eine Frage des Anstandes, der eigenen Würde wie der des anderen, hier entschuldigende Worte zu finden.
Stolz und Überheblichkeit sind es häufig, die dies verhindern. Und so ist es auch im Karikaturenstreit. Die Regeln des menschlichen Umgangs miteinander wurden verletzt und es nutzt auch nichts, mit belehrender Miene auf die Gegenseite und deren Verfehlungen zu verweisen. Die westlichen Länder hätten die Chance gehabt, eigene Kultur zu beweisen. Kultur heißt immer wieder auch Rücknahme, Respekt, Einfühlungsvermögen, Freiheit des anderen. Sie haben im Eigendünkel kläglich versagt.