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Endless Breakfast in Wels. Foto: Eckhart Derschmidt

Endless Breakfast in Wels. Foto: Eckhart Derschmidt

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Die Liebe zur freien Musik kennt keine Grenzen – Das Festival „Music Unlimited“ in Wels

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Das Festival „Music Unlimited“ im oberösterreichischen Wels fand am zweiten Novemberwochenende bereits zum 39. Mal statt. Und weil es der Anspruch der Macher und Macherinnen, dem Namen gerecht zu werden und „Vielfalt nicht als Beliebigkeit erscheinen zu lassen“, so jedenfalls Festivalgründer Wolfgang Wasserbauer im wie immer üppigen Programmheft, konnte man auch diesmal gespannt sein, ob ihnen der Spagat gelingen wird.

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Was die Bandbreite der musikalischen Genres, deren Grenzen und Abgrenzungen eh immer künstlicher erscheinen, angeht, kann man dies zu einhundert Prozent bejahen: Freunde der freien Improvisation kamen bei den 19 Konzerten ebenso auf ihre Kosten wie Anhänger des Noise, der zeitgenössischen Musik oder elektronischer Musik. 

Das Quartett „Trapeze“ mit der großartigen Saxophonistin Sakina Abdou (sax) vereinte gar alles in einem Auftritt. Gemeinsam mit Matthias Müller (tb), Joke Lanz (tt) und Peter Orins (dr) entwickelte sie einen dynamischen Reigen, bei dem alle Mitspieler*innen ihren gleichberechtigten Platz hatten. Soli kamen nur im Ausnahmefall vor, stattdessen begab sich die Vier auf die gemeinsame Suche nach neuen Formen, die mitunter arg verfremdet und frei, dann wieder rhythmisch und beinahe tonal daherkamen. Das alles funktionierte nicht ohne einen gewissen Hauch von Selbstironie: Joke Lanz war sich nicht zu schade, seine Vinyls bis zum Anschlag zu scratchen, um sie anschließend im hohen Bogen von der Bühne zu schleudern. Von wegen „Jazz Master“! Lautes Gelächter und lang anhaltender Applaus. 

Die Supergroup „Fire!“ mit Mats Gustafsson (sax, elec), Johan Berthling (b), Andreas Werliin (dr) und Gast Oren Ambarchi (g, elec) hatte es danach nicht leicht und versuchte auch gar nicht, in die Trickkiste zu fassen. Stattdessen spielte man eine dekonstruierte Krautrock-Meditation, die von einem schweren Beat getragen wurde und sich zu einem wahren Klang-Gewitter entwickelte. Das ist zwar nicht neu, am letzten Abend kann man das aber durchaus als angemessenes Statement gelten lassen.

Auch an den ersten beiden Tagen überwogen die positiven Eindrücke, wenngleich die Programmierung nicht immer ganz glücklich war. Am Samstag standen im Schl8chthof insgesamt fünf Formationen auf der Bühne, von denen man vier durchaus der mittlerweile klassischen freien Improvisation, beziehungsweise dem Free Jazz zuordnen kann. Dennoch gab es auch hier feine Unterschiede. Besonders die erste Gruppe „JeJaWeDa“ – unter anderem mit dem Vokalakrobaten Jaap Blonk und dem aus dem Metal- und Hardcore-Kontext stammenden Schlagzeuger Weasel Walter – bot ein organisiertes Chaos mit Dada-Versatzstücken. Bassist Damian Smith und Posaunist Jeb Bishop hatten alle Mühe, den Laden zusammenzuhalten. Am Ende mussten auch sie sich der neuen Unübersichtlichkeit fügen.

Ähnliches galt für das Quartett „Plüsch“ mit Ada Rave und Camila Nebbia (sax), Marta Warelis (p) und Christian Lillinger (dr). Rave und Nebbia zeigten, dass sie zu den wichtigsten Saxophonstimmen der Gegenwart gehören. Sie beherrschen alle Spielweisen und Tempi, Spaltklänge und Zirkularatmung funktionieren wie von selbst und werden entsprechend locker eingesetzt – dennoch hätte man sich gewünscht, dass sie häufiger ins Adagio hinübergleiten. Diesmal war es sogar Lillinger, der das Quartett zügeln musste, um sich und dem Publikum Pausen zu gönnen. Die Pianistin Warelis blieb dabei leider etwas unterrepräsentiert, dabei waren es ihre Licks und Patterns, die ihre Mitspieler*innen einfingen und für die besten Momente sorgten.

Einen Kontrast in jeglicher Hinsicht bot das Trio „Endless Breakfast“ mit Gabby Fluke-Mogul (vl), Paula Sanchez (clo) und Mariá Portugal (dr). Zeitgenössische Komposition traf hier auf freie Improvisation. Streicher und Perkussion verschmolzen zu einem sehr konzentrierten Vortrag, bei dem zwar die Geräusche dominierten, diese aber derart wohlklingend daherkamen, dass man gespannt auf die nächste musikalische Wendung wartete. Aufgelockert wurde das Konzert durch Gesangseinlagen, die den Gesamtsound allerdings nicht dominierten und sich in das Grundrauschen perfekt einfügten. Portugal wurde übrigens als Kuratorin der Jubiläumsausgabe im kommenden Jahr angekündigt, was mit großem Applaus bedacht wurde.

„Archer“ mit dem Dave Rempis (sax), Terrie Hessels (g), Jon Rune Strøm (b) und Tollef Østvang (dr) konnten das Niveau nicht ganz halten. Rempis gehört zu den wichtigsten Saxophonisten der Szene und das zeigt er auch bei dem Auftritt, dennoch blieb vieles zu brav und zu erwartbar, sodass selbst die Störmomente von Ex-Punk Terrie Hessls auf Dauer keine Abhilfe schaffen konnten. 

Bereits am Freitagabend hatte das Quartett „Turquoise Dream“ für einen ersten Höhepunkt gesorgt. Mitunter ging es stakkatoartig nach vorn, auf energetische Dialoge folgten dichte Patterns, in denen sich Marta Warelis am Klavier (hier wesentlich auffälliger als bei „Plüsch“) sowie Helena Epsvall am Cello und Carlos Zingaro an der Violine gegenseitig pushten. Marcelo Dos Reis steuerte an der Gitarre überaus vielschichtige Licks bei und scheute sich auch nicht, durchdringende Riffs auszupacken. Die ruhigen Parts dienten auch dazu, Anlauf zu nehmen und sich in den nächsten wilden Ritt zu stürzen. Das Quartett ist ein Beispiel dafür, wie freie Improvisation in spontane Komposition übergehen kann. Kammermusik für die große Bühne.

Zu den Besonderheiten in Wels gehören auch die Nachmittagskonzerte. Der Samstag widmete sich dem Solo, Duo und Trio. Saxophonist Akira Sakata zeigte mit seinem berührenden Auftritt, dass Spiritual-Jazz nichts von seiner Magie verloren hat: Wunderbare Melodien und wilde Ausbrüche ergänzten sich perfekt. Am Abend konnte er mit seinem Trio phasenweise daran anknüpfen. Das Duo Petr Vrba (tp, elektr) und Andria Nicodemou (vib) sowie das Trio „Flowers we are“ mit Arnold Noid Haberl (vcl), Marina Džukljev (p) und Matija Schellander (b, elektr) waren also herausgefordert und schafften es zumindest teilweise, die Stimmung aufzunehmen. Besonders Letztere spielten ein sehr reduziertes Set, das die Gäste entspannt in den Samstagabend entließ.

Letztlich zeigte das diesjährige Festival, dass es mittlerweile unzählige junge Musiker*innen gibt, die ihr Handwerk überragend beherrschen und die alte Garde nach und nach ablösen. Wer aber auf der Suche nach einer musikalischen Identität war, suchte vergeblich, denn die Musiker*innen kümmern sich kaum noch um Genregrenzen. Das funktioniert zwar längst nicht bei allen Projekten und Bands, macht die Sache aber ungemein spannend und löst den Anspruch „Music Unlimited“ bis auf wenige Ausnahmen ein. 

Im kommenden Jahr steht das 40. Jubiläum an, es darf und sollte kräftig gefeiert werden. Denn wer die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen kennt – die ehemalige Arbeiterstadt und jahrzehntelange Hochburg der Sozialdemokraten wird seit zehn Jahren von der rechtsextremen FPÖ regiert – weiß, mit welch widrigen Umständen sie am alten Schl8chthof zu kämpfen haben. Bislang haben sie sich nicht unterkriegen lassen, denn auch die Liebe zur freien Musik kennt keine Grenzen. Das zeigt nicht zuletzt die Resonanz: Alle drei Tage waren mit jeweils knapp 500 Besucher*innen ausverkauft.

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