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„Das Leichte, das schwer zu machen ist“ – bei der 60. Ausgabe der Jungen Oper Weikersheim überzeugten junge Talente mit der „Fledermaus“ von Johann Strauß. Foto: Ufuk Arslan

„Das Leichte, das schwer zu machen ist“ – bei der 60. Ausgabe der Jungen Oper Weikersheim überzeugten junge Talente mit der „Fledermaus“ von Johann Strauß. Foto: Ufuk Arslan

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Das Leichte, das schwer zu machen ist

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„Die Fledermaus“ bei der 60. Ausgabe der Jungen Oper Weikersheim
Vorspann / Teaser

Sechzig Jahre „Sommerliche Oper im Schlosshof“ konnte die Jeunesses Musicales in diesem Jahr begehen. Während man den 50. Geburtstag mit Mozarts „Le nozze di Figaro“ gefeiert hatte, wagte man sich zum jetzigen Jubiläum ans leichte Fach – mit einer Inszenierung der „Fledermaus“ von Johann Strauß (Sohn).

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Dominik Wilgenbus inszenierte die beliebteste aller Operetten konsequent zwischen Frack und Revue: mit Slapstick und Tempo. Trotz allem operettigen Entertainment ließ er die ersehnten großen Operngefühle entstehen und seinen Protagonisten, auch das Bundesju­gend­orchester unter Dirk Kaftan sei hier hervorgehoben, stets Platz fürs große Musikerlebnis.

Dass das Leichte oft schwer zu machen ist, ist eine Binsenweisheit. Die Anforderungen an die bis zu 200 Bewerber für die Weikersheimer Opern­akademie orientieren sich jedenfalls auch bei der Operette an der Realität des Betriebs. Für den Sänger, für die Sängerin bietet die Operette einen Mehrwert im Vergleich zum „gewöhnlichen“ Operngesang: Textverständlichkeit und die Bedeutung von Wort und Schauspiel stellen hier hohe Anforderungen. Egal ob Komödie, tiefe Emotion, Monologe, Dialoge, Slapstickszenen: Die Kompetenz und Gewandtheit in allen Genres des Theaters zeichnet den Operettensänger von heute aus und davon profitierten auch die Weikersheimer Künstlerinnen und Künstler. Eine Operette wie die „Fledermaus“ ist im Ambiente einer Opern­akademie auch deshalb ideal, weil sie viele tragenden Rollen bietet: Hosenrollen, Sprechrollen, Tanzrollen und Chorpassagen. Nach diesem Abend in Weikersheim steht fest: Man sollte die Operette wieder mehr ins musikalische Bildungssystem bringen.

In den vier Wochen Probenphase mit anschließend neun Aufführungen hatten zwei bis drei Besetzungen die Gelegenheit, sich zu zeigen. Die Stimmen „meines“ Abends boten Musikgenuss ohne Abstriche, und das, obwohl die Akustik des Schlosshofs – ummantelt von vier Steinfassaden, die den Klang zurückspielen – doch mehr an Kraft und Volumen erfordert, als eine Opernbühne sonst.

11 Rollen umfasst das Libretto der Fledermaus, deren Zusammenspiel Johann Strauß und sein Librettist Richard Geneé als eine dreistündige Persiflage auf die bessere Gesellschaft des 19. Jahrhunderts konstruierten, deren Akteure von Geltungssucht, Aufstiegssehnsüchten, Rache, Hass, Lust, Leidenschaft, Emotion und Kalkül getrieben werden.

Adele (Valerie Haunz) seufzt ihre Koloraturen im Liebesspiel in den Armen von Frank (Tomas Garcia Santillan), derart hinreißend, dass man meint, sie sei eine Rossini-Primadonna. Sie treibt die Handlung in der Etage der Angestellten voran, mit ihrem Geliebten, dem Vollzugsbeamten Frank, ihrer Schwester Ida (Despina Louka) und dem Justizgehilfen Frosch (Katharina Blaschke). Blaschke hat als Frosch im 3. Akt ihr ausgedehntes „Solo“, das sie mit Wiener-Schmäh derart engagiert gibt, dass jeder spürt: SOKO Wismar ist vielleicht der Brotberuf, aber ein Gastspiel auf einer Operettenbühne ist ihr eine willkommene Kür. Der Jungen Oper Weikersheim ist sie – das soll nicht unterschlagen werden – seit 14 Jahren als Sprachcoach und Rollentrainerin verbunden.

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Zwischen Männern und Mädchenträumen: Valerie Haunz als die schöne Adele. Foto: Ufuk Arslan

Zwischen Männern und Mädchenträumen: Valerie Haunz als die schöne Adele. Foto: Ufuk Arslan

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Im Zentrum dieser besseren Gesellschaft agiert Rosalinde (Florentine Schumacher) nicht nur mit dem idealen Schmelz in der Stimme, sondern auch als exzellente Sänger-Schauspielerin. Als tragisches Opfer der Intrige von Dr. Falke (Tim Winkelhöfer), der auf Rache gegen ihren Mann, den Frauenheld Gabriel von Eisenstein (Luc Festner), sinnt, sind es nicht nur ihre goldenen Töne, die den Reiz ihrer Stimme ausmachen, sondern auch ihre Kompetenz im Erzeugen von allerlei Emotionen, die sich dann kribbelnd auf der Haut echter Musikliebhaber:innen manifestieren.

Im Zentrum des von Diandra Linde entworfenen Bühnenbilds steht ein schiefer Kronleuchter, Sinnbild für eine verrutschte Belle Époque. Das sonst schlichte, variable Bühnenbild bot die Szene für intime Duette genauso wie für rauschende Partyszenen mit Ensembles, Chor und Tanzeinlagen. Ein grandios agierender Projektchor, der auch tanzen musste und konnte, war genauso Handlungsträger wie die Solisten.

Wilgenbus Regiearbeit findet die goldene Mitte zwischen historischem Zitat und der Gegenwart, in der Szene, in den Kostümen (Uschi Haug) und dem Bühnenbild (Diandra Linde). Alfred (Marcelo Alexandre) als falschen Eisenstein ins Gerüst des Scheinwerferturms wegzusperren, ist einer der vielen originellen Regieeinfälle Wilgenbus‘. Von diesem „Balkon“ aus sang Alexandre nicht nur den Original-Strauß, sondern schmetterte en passant auch einige Zitate aus der Operngeschichte in Richtung Bühne.

Standbein-Spielbein gibt es bei Wilgenbus nicht, seine Sängerinnen tanzen, singen, sprechen und bewegen sich auf einem Niveau, wie man es sich nur wünschen mag. Das Besondere ist, das Orchester spielt mit, es übernimmt eine Bühnenrolle, es tritt vom Orchestergraben auf die Bühne: Zunächst kommen einzelne Musiker nach oben, machen die Bühnenmusik, tanzen mit Chor und Ballett; das ganze Orchester steht dann schließlich auf und spielt ohne Dirigenten, scheinbar aus dem Stegreif, ein eigens komponiertes irisches Medley: Da tanzt die Bassposaunistin mit dem Chorsänger und das ganze Orchester erhebt sich, drängt an die Rampe. Diese Balletteinlage wird gefolgt von einem hinreißenden Walzerrausch beim Maskenball des Prinzen Orlofsky (eindrücklich Julika Hing). Nach diesem Einschub übernimmt Kaftan wieder die Kontrolle, führt das BJO wieder an die Plätze und im Anschluss mit Bravour durch den gar nicht so einfachen Parcours der leichten Musik. Das Leichte, das schwer zu machen ist: Es gelang dieses Jahr in Weikersheim. Am Ende bleiben starke Eindrücke eines mehr als unterhaltsamen Open-Air-Operetten­abends.

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