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Die Tivoli Youth Guard, das legendäre Kopenhagener Jugendorchester mit eigener Musikschule hat auf Wunsch der Kinder mehrere Gade-Stücke bearbeitet und führte sie bereits im Tivoli auf. Fotos: Oliver Hochkeppel

Die Tivoli Youth Guard, das legendäre Kopenhagener Jugendorchester mit eigener Musikschule hat auf Wunsch der Kinder mehrere Gade-Stücke bearbeitet und führte sie bereits im Tivoli auf. Fotos: Oliver Hochkeppel

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Der erste Tango von Kopenhagen

Untertitel
Wie sich Dänemark an den Komponisten Jacob Gade und seinen einzigen Hit erinnert
Vorspann / Teaser

One-Hit-Wonder gibt es nicht nur in der neueren Pop-Geschichte. Schon 1925 wurde der „Tango Jalousie“ ein riesiger Welterfolg, allerdings der einzige seines Komponisten. Und dieser Tango-Komponist war nicht etwa ein Argentinier oder Franzose, sondern ein Däne: Jacob Gade, von den Dänen ungefähr wie „Gahl“ ausgesprochen. Es braucht sich hierzulande niemand zu grämen, wenn er mit dem Namen nichts anfangen kann. Nur absolute Spezialisten wissen um das Werk des 1963 gestorbenen Dänen. Und dänische Musiker, speziell klassische. Aus gutem Grund.

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Der bei uns so unbekannte Jacob Thune Hansen Gade wurde 1879 im westdänischen Städtchen Vejle geboren. Der Vater war Fiddler, Stadtmusikdirektor und Musikladenbetreiber in einem. Mit seiner Volksmusik-Combo spielte er zu allen Gelegenheiten in der Gegend. Jacob machte da ab dem zehnten Lebensjahr mit, zuerst an der Trompete, dann an der Geige. Eine unbeschwerte Jugend war dies freilich nicht, zu ihr gehörte unter anderem ein Alkoholkonsum, bei dem es fast einem Wunder gleicht, dass Gade ein stattliches Alter erreichte. Immerhin, sein Talent und Ehrgeiz reichten über Vejle hinaus, und so ging er mit 16 nach Kopenhagen, um zu studieren und ein großer Komponist zu werden.

Wer war Ihr Lehrer?

Zunächst wurde freilich alles noch beschwerlicher. Die Konservatorien nahmen ihn nicht an, die Frage „Wer war Ihr Lehrer?“ bedeutete für den Autodidakten stets das Ende der Bewerbung. Also musste er Jobs annehmen, „Mucke spielen“, wie man heute sagen würde. Dank seiner praktischen musikalischen Fähigkeiten stellte sich aber bald der Erfolg ein. 

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Jakob Gade um 1905. Historisches Foto/Abb.: Jacob Gade Stiftung

Jakob Gade um 1905. Historisches Foto/Abb.: Jacob Gade Stiftung

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Gade spielte nicht nur schnell in Lokalen wie dem recht berühmten „Lorry“, er leitete auch ebenso schnell die Ensembles. Außerdem schrieb er unter Pseudonym Songs, die sich wie warme Semmeln verkauften. So viel Geld kam zusammen, dass Gade 1919 nach New York übersiedelte, dort auch prompt ins National Symphony Orchestra aufgenommen wurde und unter Stardirigenten wie Artur Bodanzky oder Willem Mengelberg spielte. Außerdem wurde er Mitglied im Orchester des Capitol Theatre, damals das größte Kino der Welt.

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„Tango Jalousie“

„Tango Jalousie“ 

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Was er dort lernte, konnte er zurück in der Heimat (seiner Frau zuliebe) gut gebrauchen, unter anderem als Orchesterleiter im „Palads“, dem noch heute bestehenden großen Kino-Palast Kopenhagens. Für eine Stummfilmbegleitung ebendort schrieb Gade den „Tango Jalousie“. Das Stück mit einem aufpeitschenden Geigen-Intro und der Ohrwurm-Melodie war nicht nur sofort ein Hit, es wurde auch zum echten Dauerbrenner. Bis heute vergeht kein Jahr, in dem nicht ein Orchester (klassisch die Version der Boston Pops) oder Stars von Dizzy Gillespie bis Plácido Domingo das Stück neu eingespielt hätten. In über hundert Film-Soundtracks fand es Verwendung. Und anders als bei Kompositionen in unserem Streaming-Zeitalter floss hier viel Geld.

Das Geld fließt

Es dauerte ein wenig, aber dann begriff Gade, dass er ausgesorgt hatte. Er zog sich auf die Insel Fünen zurück, um sich ganz dem Komponieren zu widmen. Übrigens sind dabei einige schöne Sachen entstanden, die der Entdeckung wert sind, ein weiterer Tango etwa, die „Romanesca“. Zehn Jahre vor seinem Tod machte Gade sein Testament. Darin bedachte er seine drei Kinder mit großzügigen Einmalzahlungen, der Rest aber und alle künftigen Einnahmen gingen in eine Stiftung. In der Erinnerung an seine beschwerlichen Anfänge sollte sie talentierte junge Musiker fördern und ihnen Ausbildung und Unterkunft ermöglichen.

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Auch der international renommierte Akkordeonist Bjarke Mogensen hat den „Tango Jalousie“ in seinem Repertoire.

Auch der international renommierte Akkordeonist Bjarke Mogensen hat den „Tango Jalousie“ in seinem Repertoire.

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Diese Jacob Gade Stiftung nahm nach seinem Tod 1964 die Arbeit auf, und man darf sagen, dass ohne sie die dänische Musiklandschaft anders aussähe. Ihre Stipendien, Förderprogramme und fünf Studentenwohnheime (drei in Kopenhagen) prägen vor allem den Klassikbetrieb: Ein großer Prozentsatz der Musiker in Dänemarks Orchestern haben ihre Förderung durchlaufen. Anlässlich des 100. Geburtstags des „Tango Jalousie“, der am 14. September 1925 uraufgeführt wurde, hat sich die Institution nun vorgenommen, Gade und sich selbst etwas bekannter zu machen, auch international. Schon seit Mai läuft deshalb ein Programm mit vielen Musikern und im Verbund mit assoziierten Institutionen wie dem Dänischen Rundfunk mit seinem Radio Sinfonieorchester samt altem und neuem Radio Konzerthaus oder der Tivoli Youth Guard. Rund um Gade und den Tango Jalousie gibt es noch das ganze Jahr Veranstaltungen und Konzerte. Nicht zuletzt mit dem Geiger Niklas Walentin, der gleich zwei Projekte daraus abgeleitet hat: ein Gade-Album mit der Philharmonie Südwestfalen unter der Leitung von Nabil Shehata. Und sein erstes Jazz-Werk mit dem Trio des Schlagzeugers Snorre Kirk.

Fast unglaublich also, welche Wirkung das One-Hit-Wonder „Tango Jalousie“ bis heute hat entfalten können. Nun sind es noch acht Jahre, dann läuft – 70 Jahre nach dem Tod des Autors – das Urheberrecht aus, der Strom der Tantiemen versiegt. Die Jakob Gade Stiftung ist einigermaßen vorbereitet. Ihre Immobilien werden dann die Basis der Einnahmen. Den Gewinn aus dem Werk selbst sahnen dann wohl – brave new world – vor allem die Tech-Konzerne und Streamingdienste ab.

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