Alfred Schnittkes (1934-1998) Oper „Leben mit einem Idioten“ wurde 1992 in Amsterdam uraufgeführt. Da Librettist Viktor Jerofejew (*1947) die Roman-Vorlage schon 1980 in der Sowjetunion und für die Schublade geschrieben hat, liegt es nahe, darin vor allem die bissige Satire auf die politischen Zustände des auf sein Ende zueilenden Sowjetreiches zu sehen.
Der Idiot im Manne …– Kirill Serebrennikov inszeniert das „Leben mit einem Idioten“ von Alfred Schnittke am Opernhaus Zürich
Veröffentlicht wurde der Roman erst 1991, drei Jahre nach der Rehabilitierung des kritischen Geistes. Noch eine Zeitenwende später, 2021, kam er auch in Deutsch heraus. 2022 ist Jerofejew dem Regime des aktuellen „Zaren“ mit der ganzen Familie in den Westen entflohen. Dass er sich an der Seite von Regisseur und Ausstatter Kirill Serebrennikov in der Zürcher Oper dem Schlussapplaus stellte, verlieh dem Abend etwas von einem politischen Statement. Zumal der scheidende Intendant des Hauses Andreas Homoki heute mit einigem Stolz auf seine Entscheidung verweisen kann, bereits 2018 das Risiko einer „Cosi fan tutte“ – Inszenierung über den neuen Limes zwischen liberalem Westen und autoritärem Russland hinweg eingegangen zu sein, als Serebrennikov noch im Moskauer Hausarrest schmorte. Diese Homeoffice-Inszenierung der besonderen Art ist inzwischen auch an der Komischen Oper in Berlin zu sehen. Serebrennikov hat sich seit seiner Übersiedlung in den Westen 2022 ziemlich zügig einen Platz unter den für Schauspiel und Oper gefragten Regisseuren gesichert. Wenn sich zu spektakulär gelungenen, hochpolitischen Wagner-Inszenierungen (wie dem „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper und „Lohengrin“ an der Pariser Bastilleoper) auch mal ein veritabler Flop wie sein „Don Carlos“ in Wien gesellt, kann man bislang als Ausnahme verbuchen, die die Regel bestätigt.
Seine Schnittke-Inszenierung hatte zwar im Vorfeld einigen Wirbel verursacht, weil er sich bewusst gegen eine plakative Attacke auf den aktuellen Kremelherrscher entschieden hat. Wobei man ausschließen kann, dass die Art wie in Zürich eine Geschichte erzählt wird, die die traditionelle heteronormative, männliche Identität der zentralen Ich-Figur in ihren Grundfesten erschüttert und in die Katastrophe führt, unter einem Regime, zu dessen Merkmalen auch ein Crescendo hysterischer Homophobie gehört, es dort jemals auf eine Bühne schaffen würde. Damit ist in diesem Fall Russland gemeint, aber es steht da längst nicht mehr allein.
Bei einem Regisseur wie Serebrennikov ist das Persönliche allemal politisch. Gerade, wenn es um die gesellschaftliche Akzeptanz (oder eben Nichtakzeptanz) von sexueller Identität geht. Auch wenn er aus Schnittkes grotesker Vorlage kein Politspektakel, sondern eine ziemlich artifizielle Selbsterkundung eines lyrischen, respektive dramatischen „Ichs“ macht.
Die Ausgangskonstellation ist geradezu kafkaesk. Wie anders sollte man die Strafe nennen, die eine nicht näher bezeichnete Institution für ein ebenso im Ungewissen bleibendes Vergehen der Empathielosigkeit verhängt: der Verurteilte muss sich in der Psychiatrie einen Idioten aussuchen, mit dem er fortan zu leben hat. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.
Die gängige Zuschreibung, dass Schnittke und Jerofejev mit diesem „Wow“ (Koseform für Wladimir) den Sowjetsäulenheiligen Lenin vor Augen gehabt hätten, ist das eine und sicher ein Weg, in der Eskalation der absurden Geschichte nach einem höheren Sinn zu fahnden. Das Ergebnis wäre dann wohl die individuelle und gesellschaftliche Zerstörungskraft einer aufgezwungenen Ideologie zu diagnostizieren. In die Falle, den einen Wladimir (Lenin) womöglich mit dem anderen (Putin) zu überblenden und deren Eindringen ins exemplarische Ich als Ursache allen Übels auszumachen, lässt sich Serebrennikov zum Glück nicht locken. Dass der Chor allerdings Recht hat, wenn er skandiert „Das Leben mit einem Idioten ist voller Überraschungen“ das wird ausführlich durchdekliniert.
In dem weißen Einheitsraum, der Labor oder Hörsaal sein könnte, werden die Szenen einer Ehe immer mehr zu einer aus dem Ruder laufenden Performance. Den ausgesuchten Idioten (das „Schätzchen“) gibt es hier gleich zweimal: In Gestalt des aufs lautmalende „Äch“ begrenzten Sängers (in diabolischem Schwarz: Matthew Newlin). In der adonishaften Gestalt von Campbell Caspar ist er hier ein besonders exzentrisches Kunstobjekt, das „Ich“ aus einer Galerie mit nach Hause nimmt und seiner Frau präsentiert. Nachdem der dann seine Hannibal-Lector-Maske abgelegt hat, setzt er seine männliche Nacktheit virtuos und verführerisch in Szene. Damit überblendet er fast das Destruktive, mit dem er die Wohnung zerlegt, zugleich aber „Ich“ immer mehr in seinen Bann zieht. Er wird dessen Liebhaber, vergewaltigt und ermordet die Ehefrau. Er wird aber auch in einer Vitrine ausgestellt und mit Dampf beweihräuchert. Einmal sitzt er oben zwischen dem Chor und sein Kopf wird wie der des Christenheilands von einem Strahlenkranz umrahmt. Susanne Elmark als die sehr irdische Frau hat da kaum eine Chance. Sie verliert im wahrsten Wortsinn ihren Kopf, wird im Müllschlucker entsorgt, um dann der selbst ziemlich irren Stücklogik folgend, davon zu berichten. Dass ihre Stütze in all dem tobenden Wahnsinn ausgerechnet Marcel Proust ist, der in Gestalt von Birger Radde nicht nur nach der verlorenen Zeit sucht, sondern auch persönlich auftaucht, ist ein Punkt auf dem I einer Handlung, die sich gar nicht gradlinig nacherzählen lässt.
So wie Campell Caspar den Hauptteil der körperlichen Präsenz bewältigt ist es Bo Skovhus, der sich als „Ich“ wieder einmal als exzellenter Interpret solcher extremen Rollen bewährt. Die Szene und die im wahrsten Wortsinn ver-rückte, sprunghafte, parlando- und zitatoffenen Musik von Schnittke, so wie sie Jonathan Stockhammer mit der Philharmonia Zürich präsentiert, passen zusammen. Auf das Wort harmonisch kommt in diesem Falle stückbedingt nicht. Es würde aber passen. So wie der angefügte Chor „Herbst“ aus Schnittkes Filmmusik zum sowjetischen Rasputin-Film „Agonia“.
Am Ende: Durchatmen, Staunen, Jubel.
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