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Ruslan und Ljudmila. Ilia Kazakov und Komparserie der Hamburgischen Staatsoper. © Matthias_Baus

Ruslan und Ljudmila. Ilia Kazakov und Komparserie der Hamburgischen Staatsoper. © Matthias_Baus

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Die Sehnsucht nach einer anderen Welt – Michail Glinkas „Ruslan und Ljudmila“ in Hamburg bejubelt

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Man fragt sich, ob das gutgehen kann, in diesen Zeiten die nahezu unbekannte erste russische „Nationaloper“ auf die Opernbühne zu bringen; 1842 wurde sie als erste Oper in russischer Sprache wenig erfolgrich uraufgeführt: „Ruslan und Ljudmila“, „große Zauberoper“ von Michail Glinka. Die Hamburgische Staatsoper wagte es mit dem sehr gefragten ungarischen Regieteam Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnen.

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Lustig, dass die KI erst mal Tobias Kratzer als Regisseur angibt, den neuen Hamburger Intendanten, der mit Robert Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“ seine erste Spielzeit insofern spektakulär eröffnete, als er sich zur Funktion der Oper bekannte als die Liebe zur „Schwärmerei, zur Unbequemlichkeit, zur Revolte und zum Träumen, zum berührenden Singen, zur Verführung zu Vernunft und Unvernunft“. Ihm schienen die erfolgreichen Ungarinnen die Richtigen für das schwierige Werk Glinkas: auf der Hochzeitsfeier von Ruslan und Ljudmila verschwindet die Braut und wird fortan von drei von ihrem Vater, dem Großfürsten von Kiew, in Auftrag gegebenen Liebhabern gesucht. Das Märchen nach Alexander Puschkin (1820) führt sie in die Welt von Finn, die eine gute Gegenwelt gegen die böse Zauberin Naina aufgebaut hat. Diese Welten bevölkert das Regieteam mit stets fahrenden Zügen, tunnelartigen U-Bahn-Schächten, kioskartigen Volksfesten und immer wieder Bansky-Zitaten, die die Sehnsucht nach einer anderen Welt verkörpern sollen.

Denn um die geht es in der Regie: Ljudmila hat sich selbst weggezaubert –(oder sie ist gestorben?) – nicht, wie im Libretto, der böse Zwerg Tschernomor. Weil sie diese Ehe gar nicht will, sie verzweifelt an einer patriarchalen Welt, die Sicherheit und Tradition über Selbstverwirklichung, Gleichheit und Freiheit stellen will, die über die Metapher von der Schlittschuh trainierenden Ljudmila Gehorsam und Leistung Erfüllung weiblicher Existenz zeigen will (über Videos). Da bleibt Ljudmila tot, im Gegensatz zum Libretto, das die erneute Hochzeit der Lebenden zum Volk hin öffnet – politisch gesehen also eine neue Diktatur. Barno Ismatullaeva (Ljudmila), von der noch eine mitreißende Elisabeth (Donizettis Maria Stuarda) aus der vergangenen Spielzeit in Erinnerung ist, glänzt hier mit einer Riesenleistung, denn Glinkas Musik klinkt sich ein in die großen Partien des europäischen Bel-Canto-Gesanges, angefüllt mit Hochdramatik, Lyrik und Koloraturen. Doch auch die anderen bieten mitreißenden Operngesang: Kristina Stanek als böse Naina, Ilia Kazakov als zunächst gesichtsloser Ruslan, der sich erst findet in der Liebe zu Farlaf (Alexei Botnarciuc). Der Tenor Nicky Spence berührt als Zauberer Finn, Countertenor Artem Krutko als Ratmir, Alexej Botnarciuc als Farlaf. Eine weitere verzweifelte Frauenrolle gibt es: Natali Tanasii als verlassene Gorislawa, die ebenso Glinkas feste Verankerung in den großen Traditionen der europäischen Operngeschichte glanzvoll realisiert. Auch Alexander Roslavets als Ljudmilas strengem Vater hat hier seinen bedrückenden Ort. 

Auch wenn in der Fülle der Bilder und den Handlungen der Menschen so einiges unverständlich bleibt – so ist es ja auch im Märchen –, überragend an diesem Abend neben den Leistungen der SängerInnen das Orchester unter der Leitung des Russen Azim Karimov, der seit 2022 in Deutschland lebt. Er machte aus Glinkas Werk große Oper aus ganz unterschiedlichen Ethnien, aber doch in sehr eigener Sprache mit starken Instrumentalsoli, was ihm am Ende zu Recht Ovationen einbrachte – ein paar Regie-Buhs schlichen sich ein, aber Tobias Kratzer kann schon jetzt einen Publikumszuwachs aus jugendlicher Seite nachweisen.

  • Weitere Aufführungen: 27.11., 2., 11., 13. und 19. 12.

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