2024 feiert Péter Eötvös nicht nur seinen 80. Geburtstag, sondern auch die Uraufführung seiner neuen Oper „VALUSCHKA“. 1944 in Székelyudvarhely (Transsilvanien) geboren, zählt Eötvös zu den einflussreichsten Musiktheater-Komponisten der Gegenwart. Darüber hinaus ist Eötvös auch als international renommierter Dirigent bekannt, der unter anderem die Uraufführung von Stockhausens Oper „Donnerstag aus Licht“ an der Mailänder Scala dirigierte.
Groteske Oper am Puls der Zeit
Den Stoff für seine dreizehnte, im Dezember 2023 an der Ungarischen Staatsoper premierte Oper „Valuska“, die in einer parallel komponierten deutschen Fassung, „Valuschka“, im Februar 2024 am Theater Regensburg uraufgeführt wurde, findet Eötvös in dem Roman „Melancholie des Widerstands“ von László Krasznahorkai. In einer inhaltlich leicht abgeänderten Version wird die Geschichte des tragischen Antihelden János Valuska erzählt, ein gutherziger, aber verträumter Zeitungsausträger, der sich in der Kneipe einer heruntergekommenen Kleinstadt Abend für Abend zum Gespött macht, indem er mit betrunkenen Gästen Bewegungen der Himmelskörper während einer Sonnenfinsternis nachstellt. Seine Beschäftigung mit dem Sonnensystem gleicht einer Suche nach einer im Alltag fehlenden Ordnung. Einen Gleichgesinnten findet er in dem emeritierten Musikwissenschaftler „Professor“, der wiederum in der Reinheit der Werckmeister-Stimmung ein Ordnungssystem zur Rettung vor kulturellem Verfall zu finden glaubt. Der Professor ist der getrennt lebende Ehemann von Tünde, der neu gewählten, höchst korrupten Bürgermeisterin. Zur Stärkung ihres politischen Einflusses gründet sie die Bürgerinitiative „Es grünt so grün“, die durch Green Washing davon ablenkt, eine neoliberale bis rechte Vereinigung zu sein, deren Ziel die Umwälzung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse ist. Um dafür die eh schon in ihrer Kleingeistigkeit gefangene Gesellschaft emotional aus den Fugen zu reißen, holt Tünde einen Wanderzirkus in die Stadt, dessen Attraktion ein ausgestopfter Wal ist. Zum Zirkus gehört auch ein mysteriöser Prinz, dessen Ankündigung das Publikum zunächst fasziniert, der aber nie in Erscheinung tritt, was zu zunehmender Frustration des Publikums führt, die sich schließlich entlädt: Als wütender Mob bringen die Menschen mit derbsten Gewaltausbrüchen Zerstörung und Plünderungen in die Stadt, die nur durch den Einmarsch des Militärs gestoppt wird. Der Prinz wird gerade durch seine Abwesenheit zu einer manipulativen, nicht greifbaren Übermacht. Valuska durchschaut – trotz oder gerade wegen seiner Weltfremdheit – diese Verstrickungen, bleibt aber in seiner Einfalt handlungsunfähig; eine Passivität, auf die sich Krasznahorkais titelgebende Melancholie des Widerstands beziehen lässt. Valuska wird schlussendlich von Tünde als Sündenbock zum Anstifter der Unruhen erklärt und lebenslänglich in eine Nervenanstalt eingewiesen.
Um dem Publikum einen möglichst großen Interpretationsspielraum zu geben, zeichnet das Bühnenbild von Kristopher Kempf einen Schauplatz, der in keine konkrete Zeit eingeordnet werden kann. Regisseur Sebastian Ritschel kreiert mit dem langsam hineinschwebenden Wal und dem regungslos darunter sitzenden Valuska ein imposantes Schlussbild, das durch den Aufmarsch Fackel tragender Soldaten im Hintergrund eine Mehrdimensionalität und emotionale Schärfe bekommt. Aus der Langsamkeit dieser Szene entsteht eine poetische Stärke, die an die Bildsprache von Béla Tarrs Verfilmung des Romans erinnert. Das bis dahin oft unruhig überzeichnete Opernschauspiel unterstreicht zwar den grotesken Charakter des Gesamtwerkes. Zugunsten eines bedrohlichen Tiefgangs, den die musikalische Komposition erreicht, hätte mit Mitteln der Langsamkeit und Ruhe in anderen Szenen durchaus stärker gearbeitet werden können.
Mit der Vertonung von László Krasznahorkais „Melancholie des Widerstands“ als Parabel auf sich unmerklich einschleichende gesellschaftliche Bedrohungen und Machtergreifungen, trifft Péter Eötvös einen Nerv der Jetztzeit. Eine diskursive Rahmung erhalten die Regensburger Aufführungen dafür durch Vor- und Nachgespräche, in denen Chefdramaturg Ronny Scholz engagiert mit einem interessierten Publikum in den Dialog geht. Das Theater Regensburg sieht die Notwendigkeit eines Vermittlungsauftrags, um über traditionelles Repertoire hinaus aktuelle Impulse der Gegenwartskultur in sein Programm aufzunehmen: „Es ist gut, wenn sich auch Musiktheater politisch positioniert und wir nicht immer nur – bei allem Respekt – Geschichten aus der Vergangenheit in einem schönen Kleid präsentieren.“ (Zitat R. S.)
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