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Werther [konzertant], Musikalische Leitung: Enrique Mazzola, Konzertante Premiere Deutsche Oper Berlin am 23. Juli 2025, Fotos: Bettina Stöss

Werther [konzertant], Musikalische Leitung: Enrique Mazzola, Konzertante Premiere Deutsche Oper Berlin am 23. Juli 2025, Fotos: Bettina Stöss

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Hauch und Klang – Massenets „Werther“ konzertant an der Deutschen Oper Berlin

Vorspann / Teaser

Konzertante Opernaufführungen sollte es eigentlich öfter geben, da manch ein Werk dabei viel gewinnen kann. Die allermeisten Wagners vielleicht nicht, da man angesichts deren Längen und zuweilen Langatmigkeiten für szenische Abwechslung nur zu dankbar ist. Andere dann wiederum doch, und die profitierten dann vor allem in der Musik: Rossinis „Donna dell’ lago“ etwa, bei der die szenische Geschichte doch nur ablenkt vom spektakulären Klanggeschehen, oder Verdis „Falstaff“, der schlicht umwirft, allein wenn die Schnipp-Schnapp-Dramaturgie und die kniffligen Ensembles musikalisch genauestens auf den Punkt kommen. Konzertante Aufführungen von Opern also sind, sofern es die Werke hergeben und die Ausführenden die Gelegenheit wahrnehmen, Konzentrate. Ein solches gab es nun an der Deutschen Oper Berlin zum Spielzeitausklang, sozusagen als Parallelveranstaltung zur zerstreuenden und verausgabenden „Mahagonny“-Premiere

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In Goethes „Werther“-Briefroman, ebenso stilbildend wie erregungsbefördernd für die Epoche des Sturm und Drang und der Empfindsamkeit, stellte der auch ansonsten kalkulierte spätere Geheimrat den vollends sich verausgabenden Helden anhand einer postalischen Akte vor: als objektivierte Subjektivität, und man las quasi aus zweiter Hand, wie es einem, der Hand an sich legte, aus erster Hand erging. Über einhundert Jahre später dann in der französischen Belle Époque war das Subjektive längst schon Gegenstand der Darstellung selbst, und die zweite Hand fiel allmählich weg. Eines der musikalischen Meilensteine auf dem Weg dahin ist Jules Massenets „Werther“, das drame lyrique, das gleich zwei literarische Gattungen miteinander verschmilzt, das Drama und die Lyrik, und somit Handlung aus der Innenperspektive eines lyrischen Ichs bezieht. Das ist ebenso französisch wie un-deutsch, und es hat bis ins letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts gedauert, um hierzulande den Rang von Massenets Werk anzuerkennen: die Leichtigkeit der Durchkomposition, wo abgeschlossene Formen wie Arien, Szenen und dergleichen sich in einen unaufhörlichen subtilen Fluss ergießen, ohne jemals über die Ufer zu treten; die sensible musikalische Bewegung dieses Flusses vermittels einer ebenso freien wie feinsinnig zusammengeführten Motivik; die exquisiten Klangmischungen eines Brahms-Orchesters, dem Massenet sparsam Glockenspiel, Saxophon und Windmaschine hinzufügt.

Aus Sturm und Drang ward so Hauch und Klang

Und so war der konzertante Saisonabschluss an der Deutschen Oper ein großer und – beinahe – vollends beglückender Gewinn. Vor allem dank der Besetzung der enorm fordernden Titelpartie: in drei Akten je eine schwere Arie, im vierten der lange Tod und auch sonst beinahe durchgängig singend auf der Bühne. Nicht von ungefähr heißt die Oper wie die Titelrolle, von der Georges Thill, einer der wichtigsten Werther-Darsteller einst sagte, sie sei schlicht nicht zu interpretieren, sondern nur zu singen. Nun, Thill, Kraus, Gedda, Carreras, diesen großen Werthers des letzten Jahrhunderts, kann man Jonathan Tetelmann gut und gerne an die Seite stellen: mit seiner mühelosen Höhe, dem einnehmenden hellen Timbre, der intelligenten Gestaltung, elastischen Dynamik, feinen Phrasierung – und einer bei alldem bewunderungswürdigen Leichtigkeit (die Carreras dann doch manchmal abging). Beste Voraussetzungen also für dieses französische Singen, das, von Lully über Rameau bis zu Debussy und eben zuvor Massenet, stets auch ein gebundenes Sprechen ist. Um es auf ein exaltiertes Werther-Zitat zu bringen: „Ô spectacle idéal d’amour“.

Um auf das Beinahe zu kommen: Aigul Akhmetshina, zu Recht beinahe ebenso viel bejubelt wie Tetelmann, ist eine eindrucksvolle Sängerin mit angenehm natürlicher dunkler Farbe, großem Volumen und Potential, der zu Recht die großen Opernhäuser dieser Welt offenstehen. Nun schien es aber so, als ob sie nicht ganz die rechte Charlotte war. Mehr dramatischer als lyrischer Mezzo, fühlte man sich eher an Eboli, Amneris oder Ortrud erinnert, also, männlich gesprochen, ans Held*innen-Fach, zu dem diese innerlich und nicht äußerlich gebrochene Figur Massenets sicher nicht gehört. Hinzu kam, dass, bei allem guten Eindruck, Ausdruck noch nicht ganz ihre Stärke zu sein scheint – vor allem neben einem sich in dieser Hinsicht verausgabenden Jonathan Tetelmann. Während er mit seinem Werther „glauben“ machte, dass der konzertant im Stehen starb, schien ihre Charlotte, stets eindrucksvoll, aber mit dem biederen Albert die gemäßere Partnerwahl getroffen zu haben.

Diesen gab Dean Murphy mit rechtem, später bösem Kavaliersbariton, Lilit Davtyan eine silbrig schwärmerische Sophie, Michael Bachtadze einen profunden Amtmann, und wie so oft an dem Haus lieferten Chance Jonas-O’Toole und Gerard Farreras als die Kumpels Schmidt und Johann Kabinettstückchen. Allesamt Ensemblemitglieder, rundeten sie inklusive dem blitzsauberen und schwungvollen Kinderchor diese Starproduktion mehr als angemessen ab, sodass den Gewinn, den sie abwarf, Enrique Mazzola und die sichere Bank des Orchesters der Deutschen Oper reichlich verzinsen und vergolden konnten. 

Menschennäher als Götter- und Heldengetön

Massenets Klangsprache ist, vor allem im „Werther“, so fern derjenigen Wagners etwa, dessen Orchester rumpelstilzchenmäßig immer alles besser weiß und den Figuren unaufhörlich Knüppel zwischen die Beine wirft. Massenet trägt und erhöht seine Figuren, seien diese halt, wie sie seien; er lässt sie zu Atem und Sprache kommen, was auch immer sie nun zu sagen haben, ob als manisch Depressive wie Werther, verzweifelt Unentschlossene wie Charlotte, oder wissend Unwissende wie Sophie. Sentimental? Mag sein. Aber menschennäher als Götter- und Heldengetön. Und es war schieres Glück, wie das Orchester der Deutschen Oper, wohlgemerkt eines der zwei, drei deutschen Wagner-Orchester, aus dem Graben befreit auf der Bühne dem singenden Parlando sich hingab – mit Leichtigkeit und Klangsinn. Feine Soli, sensible Dynamik, aufmerksame Temporückungen, große Transparenz: Massenets Musik klang so wie sie ist (siehe oben). Es war, als ob der klug disponierende engagierte Mazzola und sein mitgehendes Orchester glücklich zusammenfanden. Ein glückliches Zusammenkommen darf es bei diesem Stück dann doch geben. Und konzertante Opernaufführungen sollte es auch öfter geben.

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