Drei Volkshelden gaben sich binnen 14 Tagen das Marathontor des Münchener Olympiastadions in die Hand. „Uns Herbie“, Herbert Grönemeyer begann am 28. Mai 2003 frisch und pathetisch, die Rolling Stones quälten sich pomadig am 6. Juni 2003 und Bruce Springsteen machte das Publikum mit einem drei-Stunden-Programm am 10. Juni 2003 fix und fertig. Eines hatten die drei Konzerte gemein: den Olympiastadion-immanenten Grotten-Sound.
Herbert Grönemeyer
Die neue Stimme des Volkes hatte es leicht. Nur die Hartgesottenen fanden den Weg ins Stadion. Niemand, der die Texte nicht kannte. Keiner, der blöd fragte, welcher Song das sei. Fans und Künstler einig wie einst die SPD. Zwischen Kitsch (vorbereitete Videosequenzen) und Pathos (Ansagen wie: „Ich liebe die Menschen“) manövrierte Grönemeyer seine Gefolgschaft durch ein unfallfreies Konzert, fand die richtige Mischung an Songmaterial und durchtränkte das Liedgut des aktuellen Albums „Mensch“ mit einer „Best of“-Melange der letzten 20 Jahre Grönemeyer. Weit über zwei Stunden mussten die Menschen durchhalten, um entlassen zu werden. Vor allem vom deutschen Klatschautomatismus, der je zwei Sekunden nach Beginn eines Songs eine Lärmfräse durchs Stadion schnitt und den eh schon dünnen Sound in einer Getöseblase auflöste. Begleitet wurde der Klatschfimmel durch Aufspringen von den Sitzen bei älterem Songmaterial und durch wissendes, verständnisvolles Nicken bei den neueren, menschelnden Liedern. So sehr Herbert Grönemeyer dies alles zu gönnen ist – weil er wirklich brilliante Songs zu schreiben vermag –, so unheimlich wirkte an diesem Abend die scheinbar willenlose Folgschaft der Anhänger. Ja, Grönemeyer könnte furzen, 50.000 Menschen würden jubeln, nicken und mitfurzen. Die kritische Distanz würde sich in einer Gaswolke amortisieren. Aber Gänsehaut („Bochum“, „Halt mich“, „Mensch“), das ist das Gefühl, das Grönemeyer als einziger der drei Superstars vermitteln konnte. Wenngleich der Preis in jeder Hinsicht ein sehr hoher ist.
Rolling Stones
Mit 30 Jahren zählte man zu den jüngsten Konzertbesuchern. Vor dem Stadion wurden Tickets aller Kategorien zu Discounter-Preisen verschleudert (zehn Euro für zwei Tickets), im Stadion diskutierten penetrante Endsechziger und Reisegruppen aus Sachsen („Ich hab die ja schon 1966 gesehen.“) während des Vorprogramms der exzellenten Iren „The Cranberries“, welche Songs und Ansagen Mick Jagger dem Altersheim entgegen krächzen würde. Die Show begann mit „Brown Sugar“ und offenbarte den spektakulären Bühnenaufbau mit fahr- und teilbaren Videoleinwänden erst mit „Start me up“ und „Don’t Stop“ . Leider war die Bühnenkonstruktion alles. Die Hits kamen zwar, dennoch können bei einer 90-minütigen Show (einzige Zugabe: „Jumpin’ Jack Flash“ mit Feuerwerk) nicht alle erwarteten Klassiker gespielt werden. Als junger Mensch vermisste man schmerzlich „Mixed Emotions“ und fühlte sich beleidigt als Keith Richard – einem völlig verblödeten Vietnam-Veteran ähnelnd – zwei Songs („Slipping Away“ und „Happy“) in einer Gnadenlosigkeit herausrotzte, die das Nervengas „Agent Orange“ in ein völlig anderes Licht rückt. Richards und Jagger würdigten sich keines Blickes, obwohl sie Zeit hätten, denn Livemusik klingt anders, aber das wissen wir ja. Als sich die Stones – ohne Gehilfe – für ein paar Songs auf eine in der Stadionmitte platzierte Bühne bemühten und Clubatmosphäre verbreiten wollten, wurde es grausig. Denn nun spielten sie fast richtig live und begingen unüberhörbare Straftaten an der Livemusik. Gänsehaut Fehlanzeige, dafür Falten in Gesichtern und Musik.
Bruce Springsteen
Ein sensationelles Konzert. Drei Stunden und zehn Minuten zelebrierte der „Boss“ mit seiner E-Street Band eine Rockmesse, die dem mitpräsentierenden Radiosender Bayern 3 wohl heute noch verstörte Blicke in der Chefetage beschert. So sicher waren sie, dass Springsteen seine Radiohits (The River, Born in the USA, Streets of Philadelphia, Glory Days, Human Touch oder Better Days) spielen würde und das Publikum anschliessend formatförmiger als vorher wäre. Nichts da. Springsteen spielt die Songs, die seinen Fans am Herzen liegen, die nicht patriotisch ausgelegt werden können und so viel Seele in sich haben, dass die Rolling Stones wieder belebt werden könnten. Das Konzert beginnt mit einer Version von „Born in the USA“, die kaum jemand kennt oder erkennt. „Homebound“ nennt man das Gekratze auf der zwölfseitigen Gitarre. Dann beginnt ein Konzert mit der E-Street Band, das die heimlichen Klassiker wie „Bobby Jean“, „Tenth Avenue Freeze Out“, „Jackson Cage“, „Badlands“, „Born to Run“, „Mary’s Place“, „Seven Nights to Rock“, „Further On Up The Road“ oder „Ramrod“ offeriert und nach 26 Songs und drei Zugabenblöcken ein Ende findet. Schnörkellos (Bühne, Licht, Band) und ohne Pomp wie Grönemeyer und die Stones, legt Springsteen wert auf das Wesentliche. Ein reinigendes Konzert, von dem man wochenlang zehren kann, das eine tanzende Arena hinterließ und Bruce Springsteen im Zuge der aktuellen Welttournee zum grössten zeitgenössischem Superstar machen dürfte.
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