Beaumarchais-da Ponte-Mozart brauchen Konkurrenz nicht zu fürchten: ihre Attacke auf die damaligen Stände-Grenzen und die darin verstrickten Menschen ist so zeitlos wahr, dass sie bis in unsere Chef-Boss-CEO-Jahre gültig bleibt. Sie wird daher derzeit meist in heutigen Kostümen vorgeführt und die Staatsoper tritt damit in Konkurrenz zum Staatstheater am Gärtnerplatz.
Holzhammer-Erotik samt Hanf-Nebel – Mozarts „Le Nozze di Figaro“ im Münchner Nationaltheater
Es sollte eine Neuinszenierung aus französischer Hand werden. Dieser Plan kam nicht zu Stande und so übernahm der kasachisch-russisch geprägte Evgeny Titov die Regie. Er siedelte die ganze Handlung in einer vom hippen Boss noch nicht zum Erfolg oder schon halb ruinierten Hanf-Plantage an. Ausstatterin Annemarie Woods hat dafür heruntergekommene Schloss-Räume erfunden, deren „Besonderheiten“ zwischen „platt“, „befremdlich“ und „misslungen“ changierten. Der wohl sex-besessene Graf hat für Figaro-Susannes Eheleben in den sonst grau-schwarzen, trist leeren, bühnenbreiten Hallenraum einen monströsen Sado-Maso-Stuhl gestiftet, der nach Beinspreizung auch sechs Dildos zu Verfügung stellt. Der nur durch die nach hinten gefahrene Rückwand vergrößerte „Salon“ der Gräfin vereint Malergerüste samt Farbeimern, ein unsinnig hoch hängendes modernistisches Lüster-Modell, eine Riesencouch aus quietsch-rosa Bällchen – und architektonisch völlig absurd: eine schräge Kellerklapptür aus Metall, die von innen wie dem Keller her verschließbar ist. In seinem Büro hat der Graf außer einer Hanf-Pflanze auf dem Schreibtisch auch einen Tresor mit Geldbündeln und einen Revolver, mit dem er dann zum Versteckspiel in der Hanf-Plantage des Schlussbilds herumknallt. Und zur Schlussfeier des „tollen Tages“ wird der Graf auf seinen hereingeschobenen Sado-Maso-Stuhl gesetzt… kein Buh, nur schwächer werdender Schlussapplaus für das Regie-Team.
Den als „Ball grotesque“ kostümierten Chor (Einstudierung Christoph Hell) und das Staatsorchester – in kleiner Besetzung hochgefahren – forderte Dirigent Stefano Montanari: er kommt von der Musik des 17. und 18.Jahrhunderts und betont daher den „Feuerkopf“ Mozart mit viel „Allegro assai“ bis hin zu einem gerade noch spiel- und singbaren Prestissimo. In bester Tradition begleitetet er die Rezitative vom Hammerklavier aus und beeindruckte mit nahtlosen Übergängen ins instrumentale Accompagniato, was den dramatischen Fluss sehr begünstigte. Trotz seiner heftig ausgreifenden, aber sehr genauen Gestik kann da mal etwas wackeln, aber das Autoren-Trio der vorrevolutionären Jahre um 1780 hatte keine nur „saubere“, nette Unterhaltung im Sinn. Einem Teil des Premierenpublikums gefiel das nicht – nur freundlicher Applaus über ein paar Buhs hinweg – doch dem visuell und intellektuell mauen Abend tat Montanaris Furor gut. Näher am Gesamtkunstwerk „Figaro“ kann der Mozart-Freund ab Februar 2024 im Gärtnerplatztheater sein.
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