Gilt es Wagner, so geraten dessen Premieren an deutschen Opernhäusern immer noch gern zu kulturellen Staatsakten, bei denen mehr als sonst wesensmäßige Getragenheit sowie die schwarze Abendkleidung dominieren. So auch anlässlich der zweiten Premiere dieser Spielzeit an der Berliner Deutschen Oper nach der Saisoneröffnung mit Detlev Glanerts Kinder- und Erwachsenenoper „Die drei Rätsel“. Nach der bunt-virtuosen Kinderrepublik-Buffa, nun also die dunkel-tragische Haupt- und Staats-„Handlung in drei Aufzügen“. Nach dem umfassend quietschvergnügten Jubel, nun also die notorischen Bravos (Musik) und Buhs (Szene). Also ob nur die Politik an Lagerkämpfen litte.
  TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin. Foto: © Bernd Uhlig
Im Lampenladen – „Tristan und Isolde“ an der Deutschen Oper Berlin
Womöglich hätte sich der scheidende Donald Runnicles einen einhelligeren Erfolg gewünscht bei diesem Stück, mit dem er vor 16 Jahren seine erste Wagner-Premiere als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper bestritt und der seitdem mit dem Orchester einige Wagner-Meriten erwarb. Der Zuspruch war überwältigend, jedenfalls für seine Abteilung, die Sänger und das samten, zuweilen wie entfesselt aufspielende Orchester – passagenweise zu entfesselt etwa in der Balance zwischen Streichern und Bläsern. Der Schreiber dieser Zeilen jedoch kann sich an einen „Tristan“ mit Runnicles vor schier doppelt so vielen Jahren erinnern, in Köln, mit notorischen Bravos und Buhs (damals Günter Krämer), als die Temporelationen elastischer schienen und weniger terassendynamisch sprunghaft, die Lautstärkegrade vielfältiger, es mehr Linien zu hören gab und weniger wuchtige Blöcke. Und wohl wie zum Ausgleich geriet der Beginn des zum Liebesakt drängenden zweiten Aufzugs wie rasend, sodass die entfernten Jagdhörner klangen, als würden sie um ihr eigenes Leben spielen und nicht dem Tristans nachstellen. Insgesamt aber ein Abend von erhabener musikalischer Größe.
Dementsprechend die Bühnenpräsenz und Stimmkraft von Elisabeth Teige bei ihrem Rollendebüt, deren Isolde wie eine Nachfahrin der Medea und Norma wirkt – schlank und gewaltig. Schlank und beweglich im Ton, mit feinem Strahl auch der Tristan von Clay Hilley, der darstellerisch über sich hinauswächst bei dessen Tod im 3. Akt. Ansonsten aber eher von statuarischer Präsenz, wird er von der Personenregie wie auch die übrigen Figuren links liegen oder besser: stehen gelassen. Zuerst zieht Isolde ihr Geschick am öfter zu schlaffen Seil hinter sich her, zum Schluss dann Tristan, was aber die beiden zueinander zieht, das erlebt man nicht. Halt ein Bild. Ebenso, dass die beiden sich vereinigungshalber die Adern aufschlitzen mit einer Glasscherbe vom zuvor genossenen Zaubertrank, der Scherbe, mit der Isolde schließlich sich die Kehle durchschneidend ihren Schlussgesang anstimmt. Bilder bloß, Zeichen vor einer Wand aus 260 Lampen (Bühne: Henrik Ahr), deren Bronzeton wenig spezifisch auf- und abdimmt, bis auf dass es, wenig überraschend, zur Liebesnacht dunkel und zum Liebestod hell wird. Und so stehen auch die einnehmende Irene Roberts (Brangäne) und der tapfere Thomas Lehman (Kurwenal) ihre Partien sängerisch tadellos durch. Wenn man allerdings die Geschichte nicht kannte, dann wüsste man schlicht nicht, was sie tun. Aber vielleicht war das auch der Kern, unbewusst, höchste Lust, von Michael Thalheimers Reduktionstheater: Sie wissen einfach nicht, was sie tun. Sie alle nicht. Stills im Lampenladen.
… Sie wissen einfach nicht, was sie tun. Sie alle nicht …
Bis auf, ja, Georg Zeppenfeld als der betrogene König Marke in dieser Ménage à trois Wagners von vielen. Der, ohne die Leistungen der zuvor genannten auch nur im geringsten zu schmälern, es vermochte, die Leere zu füllen, kraft Gestaltung, Farbgebung, Linienführung und Diktion, seine Klage „Wozu der Dienste ohne Zahl“ ebenso raumgreifend wie ergreifend wirken zu lassen ‑ trotz des zähen Tempos ‑, indem er einfach nur sang. Gesang freilich aus einer anderen Dimension.
Und so endete dieser musiktheatralische Staatsakt an der Deutschen Oper mittlerweile habituell mit heftigsten Gunstbezeugungen und -verweigerungen, sodass man sich fragen könnte, ob Wagner hierzulande nicht mittlerweile überschätzt wird. Habituell.
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