Tumultartiger Applaus nach zweimal 45 Minuten mit geballter Aufmerksamkeit im vollen Auditorium der Deutschen Oper Berlin: Im Orchestergraben saßen zahlreiche Mitwirkende des Landesjugendorchesters Berlin, Schüler*innen des Arndt-Gymnasiums Dahlem, der Musikschule City West, der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg, Musiker*innen des Orchesters der Deutschen Oper Berlin und Studierende der Universität der Künste Berlin.

Die drei Rätsel an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Nancy Jesse
Kinderoper total! Märchenhafter Erfolg für Glanerts „Die drei Rätsel“ an der Deutschen Oper Berlin
Großkampftag also zur Premiere von Detlev Glanerts als Koproduktion von Hans Werner Henzes Cantiere d'Arte Montepulciano und der Oper Halle 2003 uraufgeführten Oper „Die drei Rätsel“. Ein Plädoyer für ganz große Oper als partizipatives Projekt mit personeller und künstlerischer Schlagkraft. Ein imponierender Beweis für die ehrliche Breitenwirkung von Musiktheater.
Der zur Premiere anwesende Detlev Glanert (geb. 1960) arbeitete keineswegs mit der groben Pranke, um eventuell lautstark artikulierte Langeweile mit noch größeren Lautstärken auf der Bühne und im Orchestergraben zu übertönen. Ganz im Gegenteil: Mit einer von seinem Lehrer und Mentor Hans Werner Henze angeeigneten Instrumentationskunst setzte Glanert irisierende Farben da und dort – aus der Stille und immer wieder mit konzentriertem Melos aus Überzeugung. Natürlich gab es auch die große, laute, hymnische Musikgestik für die (Kinder-)Chormassen, die die riesige Bühne an der Bismackstraße bevölkerten, dazu Soli von anspruchsvoll geforderten Kinderbesetzungen und Hausensemble. Neben dem regulären Probenzyklus eines großen Opernbetriebs kamen die jungen Gäste für ein intensives Workshop-Wochenende und der im Sommer begonnenen Vorbereitungszeit zusammen.
Trugen die beiden Berliner Hauptinterpreten Emil Vandersee (Rätselfuchs Lasso) und Milla Luisa Dell' Anna (die spröde Prinzessin Scharada) überhaupt Mikroports? Sie waren hervorragend zu hören. Da hat Klanggestalter Alexander Choeb ganz unspektakulär und für die Sounddesign-Szene ungewöhnlich bescheiden bis unauffällig nachgeholfen – zum Besten der kurzweiligen Premiere am frühen Samstagabend. Kleiner Makel: Gegen die generell mäßige Textverständlichkeit konnte auch Choeb nichts ausrichten. Christian Lindhorst (Leitung Kinderchor und Junger Chor der DOB) und Dirigent Dominic Limburg, den beim Schlussvorhang das szenische Team mit Brigitte Dethier (Inszenierung) und Carolin Mittler (Ausstattung) durch vorzeitiges Durchtreten um einen Teil des verdienten Applauses bringt, stellen sich mit Liebe und Teamgeist ganz in den Dienst der kollektiven Theaterschöpfung.
Glanerts Opus nach dem Libretto von Carlo Pasquini in der deutschen Übersetzung von Erdmuthe Brand macht Eindruck: Mit einer differenzierten Adaption des Turandot-Stoffes über die ihre Freier mit Rätseln und Hinrichtungen killende Prinzessin hat Glanert eine feine Alternative zur weitaus massiveren und psychologisch vergröberten Oper Puccinis gesetzt: Der von allen guten Märchengeistern begünstigte Junge Lasso und die Prinzessin Scharade lassen die dümmlich-arrogant-korrupte Erwachsenenwelt schließlich hinter sich. Sie reifen zu einer Besinnung auf sich selbst, ohne dass es gleich um die ganz große Liebe gehen muss.
Damit ist „Die drei Rätsel“ auch ein emanzipiert bzw. emanzipierendes Folgewerk zu Henzes Oper „König Hirsch“, welche in der aktuell im Foyer gezeigten Ausstellung über die Geschichte der Skandale an der Deutschen Oper seit den 1950er Jahren einen Ehrenplatz innehat. Zum andern verweigert sich Glanerts Oper einem pädagogischem Augenwisch-Theater. Gleich in der ersten (Weinkeller-)Szene wird die Erwachsenenwelt mit ihrer dumpfen Lust auf Suff und Spaß eine treffliche, nicht übertriebene Show. Trotz einer Kostümierung in schrillem Rokoko (Philipp Jekal als König Zephalus) über fesch-groteske Hellebardiers und Lassos ihren Sohn mit Tötungsabsichten zusetzende Mutter Popa (Martina Baroni) in Erdfarben gibt es keine klare Signifikanz für Gut und Böse. Die unterschwellige Botschaft dieses subtilen Musiktheaters gewährt Raum für eigene Kopfleistungen des Publikums: Der Welt plus Tierwelt im allgemeinen und der Erwachsenenwelt im ganz Besonderen ist nicht zu trauen. Chance Jonas-O'Toole, Joel Allison, Byung Gil Kim und Maria Vasilevskaya zeigen das in jeweils mehreren Partien und einem von virtuosem Geifer beflügeltem Intrigenterzett.
Trotzdem liefert diese große ungewöhnliche Produktion ein Stück Orientierung an der realen 'Normalität', weil Humor, Ernst, Satire und Kalauer wohldosiert sind. Das Hauptpaar Emil Vandersee und Milla Luisa Dell' Anna – in Folgevorstellungen hoffentlich auch die alternierende Besetzung mit Jonathan Betzold und Ksenia Cheskis – erhält Applaus nicht aufgrund des Status als Kinderstars, sondern weil es im Knochenjob von geforderten Musiktheater-Darstellenden eine erstklassige Leistung erbringt. Vor allem Vandersee, weil Lasso den Umfang einer großen Opernpartie wie Lohengrin oder Freischütz zu bewältigen hat. Unterm Strich von allen eine ganz tolle Sause mit einem pädagogischen Input, dem man gut vertrauen kann.
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