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Mandelring Quartett – Foto: © Uwe Arens

Mandelring Quartett – Foto: © Uwe Arens

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Mit einem „Quartenquintett“ von Christoph Schickedanz feiert das Mandelring Quartett sein vierzigjähriges Bestehen

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Um originelle Ideen war das Mandelring Quartett noch nie verlegen. Im Laufe seiner Karriere, die mit dem Gewinn renommierter Wettbewerbe wie Evian, Paolo Borciano und ARD spektakulär begann, hat sich das Ensemble natürlich die Standardliteratur erarbeitet – Gesamtaufnahmen von Schostakowitsch, Schubert oder Mendelssohn sind dafür besonders gelungene Beispiele. Doch suchte man auch immer das Besondere, Ungewöhnliche. 

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Schon ganz zu Anfang, als „karrieretechnisch“ ganz anderes geboten schien, engagierte sich das Ensemble für Berthold Goldschmidt; sein viertes Streichquartett konnte noch in Anwesenheit des neunzigjährigen, von den Nazis in die Emigration und jahrzehntelanges musikalisches Verstummen gezwungenen jüdischen Komponisten uraufgeführt werden. Nicht weniger als drei Alben sind ihm gewidmet, sein zweites Streichquartett gehört immer noch zum festen Repertoire. Konzertprogramme sind thematisch ausgerichtet, etwa als „Gipfeltreffen“ zwischen Beethoven und Bartók, stellt Ligetis „Métamorphoses nocturnes“ in den Mittelpunkt von „Metamorphosen und Genesung“, bezieht im Gedenken an Goldschmidt auch andere Stimmen der Verfolgten wie den in Auschwitz ermordeten Viktor Ullmann ein. Vor allem im eigenen „Hambacher Musikfest“ sind den Programmideen keine Grenzen gesetzt, sind – auch in eigenen Kompositionsaufträgen – auch ungewöhnliche Besetzungen möglich. Zum 30-jährigen Jubiläum war das Publikum aufgefordert, unter dem Motto „3 aus 30“ aus 30 Stückangeboten sein eigenes Programm zusammenzustellen (unser Bericht). Die ganze Vielseitigkeit seines Repertoires konnte das Mandelring Quartett hier zur Geltung bringen und zugleich darauf hinweisen, wie man mit der „richtigen Mischung“ eine Zuhörerschaft behutsam auf neue Wege leiten kann. Ligeti etwa wurde gleich zweimal gewählt, wenn auch Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ das Rennen machte.

 

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„Was Sie hier machen, straft alle Veranstalter Lügen, die behaupten, das wollten die Leute nicht“, lobte Folkert Uhde das Publikum im Radialsystem Berlin. „Und die Spannung steigt! The winner is ...“ Gut gelaunt...
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Weniger unbeschwert und positiv gestimmt musste das Geburtstagskonzert zum 40-jährigen Jubiläum ausfallen. Nach den frustrierenden Corona-Jahren glaubte man zur guten Laune zurückkehren zu können. Haydns geniales „Quintenquartett“ (was kann man aus zwei aufeinanderfolgenden Quinten alles machen!) regte dazu an, ein „Quartenquintett“ in Auftrag zu geben, an den befreundeten Komponisten und Geigerkollegen Christoph Schickedanz. Der sah sich in Zeiten des Krieges gegen die Ukraine zu einem politischen Statement gedrängt, zu dem ein Künstler spätestens dann verpflichtet sei, wenn es um die Bewahrung universeller Grundwerte gehe. 

Also entstand kein geistreiches Quartenspiel, sondern ein Werk „Zum Gedenken der Opfer des Krieges in der Ukraine“, dessen Satzbezeichnungen Zitaten des „europäischen Humanisten“ Friedrich Schiller entlehnt sind. „Der Krieg kennt kein Erbarmen“ ist der erste Satz nach „Wallenstein“ überschrieben. „Gehetzt“ ersteht ein Klangbild der Kriegsgreuel, in unruhigen Pianissimo-Parallelbewegungen, deren Quartenstruktur rasch in den dissonanteren Tritonus übergeht. Häufige Taktwechsel, dynamische Extreme, sich durchkreuzende Glissandi, Triller und Flageoletts erwecken in raschen Wechseln oder übereinander geschichtet den Eindruck von Chaos und Undurchdringlichkeit. Doch irgendwie bleibt das, obwohl mit großer Intensität gespielt und trotz einiger heftiger Akzente und plötzlicher clusterartiger Zusammenballungen, ein wenig brav, kann die Komposition die neoklassische Attitüde nicht ganz abstreifen, die aufgewühlte Klänge sind zu gelassen organisiert. Immerhin, gegen Ende überstürzen sich die Motive, spitzen sich geräuschhaft zu, bevor für ein paar Sekunden das Saallicht fast völlig abgedunkelt wird – ein Moment des erschrockenen Innehaltens. 

Viel besser gelingen Schickedanz die beiden folgenden Sätze, in denen zunächst „die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen“ (Die Jungfrau von Orleans). Den angestrebten Zustand der Erstarrung erreicht der Komponist mit engen, schmerzhaft sich reibenden, sich kaum von der Stelle bewegenden Akkordschichtungen, unterbrochen von den Anfangstönen eines ukrainischen Kinderliedes, das die Bratschen melancholisch intonieren. Eigenartig fallen seine ersten vier Tonschritte mit den ersten Tönen des „Dies irae“ zusammen, ein Anklang an den mittelalterlichen Hymnus des Jüngsten Gerichts, der hier auch neues Leben birgt. „Auf blutige Schlachten folgt Tanz und Gesang“, meint Schillers „Jungfrau von Orleans“ zum Schluss, ein tänzerisches Finale, in dem sich die Anfangstöne von Beethovens „Ode an die Freude“ verstecken und glücklicherweise selbst da diskret bleiben, wo „beschwingt“ der „Triumph der Menschlichkeit“ gefeiert werden soll. Er darf angesichts fahler dissonant an den ersten Satz gemahnender Stimmverflechtungen getrost bezweifelt werden. Ein vielschichtiges Werk eines als Komponist kaum bekannten Hochschulprofessors für Violine also, hervorragend dicht gearbeitet, das mehr diskussionswürdige Fragen aufwirft, als der Komponist in seinen Programmnotizen zu beantworten meint. 

Das Mandelring Quartett, verstärkt durch seinen früheren Bratscher Roland Glassl, der mit dem jetzigen Andreas Willwohl frappierend harmonierte, stellte sich den horrenden technischen Herausforderungen äußerst souverän, klanglich minutiös aufeinander abgestimmt und mit intensiver Ausdrucksspannung. Umrahmt von Haydns „Quintenquartett“ und dem Streichquintett G-Dur op. 111 Nr. 2 von Brahms erwies sich das „Quartenquintett“ bei seiner zweiten Aufführung in der Berliner Philharmonie (die Uraufführung fand am 14. April 2024 in Neustadt an der Weinstraße statt) als sehr brauchbares zeitgenössisches Repertoirestück. Die Zumutungen seiner Thematik brachten andere schlüssiger auf den Punkt.

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